Neutron (n) | |
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Klassifikation | |
Fermion Hadron Baryon Nukleon | |
Eigenschaften [1] | |
Ladung | neutral |
Masse | 1,008 664 915 88(49) u 1,674 927 471(214) · 10−27 kg 1838,683 661 58(90) · me 939,565 4133(58) MeV/c2 |
Compton-Wellenlänge | 1,319 590 904 81(88) · 10−15 m |
magnetisches Moment | −0,966 236 50(23) · 10−26 J / T |
g-Faktor | −3,826 085 45(90) |
gyromagnetisches Verhältnis | 1,832 471 72(43) · 108 1/(sT) |
SpinParität | 1/2+ |
Isospin | 1/2 (z-Komponente −1/2) |
mittlere Lebensdauer | (frei) |
Wechselwirkungen | stark schwach elektromagnetisch Gravitation |
Quark-Zusammensetzung | 2 Down, 1 Up |
Das Neutron [ˈnɔɪ̯trɔn] (Plural Neutronen [nɔɪ̯ˈtroːnən]) ist ein elektrisch neutrales Teilchen mit dem Formelzeichen n. Es ist, neben dem Proton, Bestandteil der meisten Atomkerne und somit aller uns vertrauten Materie. Beide gehören zu den Hadronen und Nukleonen.
Neutronen existieren auch ohne Einbindung in einen Atomkern. In diesem Zustand werden sie als freie Neutronen bezeichnet und sind instabil.
Das Neutron trägt keine elektrische Ladung (daher der Name); es hat aber ein magnetisches Moment von −1,91 Kernmagnetonen. Es gehört mit einer Masse von rund 1,675 · 10−27 kg (also etwa 1,008 665 u) zu den Baryonen und ist aus Quarks aufgebaut – zwei down-Quarks und einem up-Quark (Formel udd). Das Neutron hat den Spin 1/2 und ist damit ein Fermion. Als zusammengesetztes Teilchen ist es räumlich ausgedehnt und hat einen Durchmesser von circa 1,7 · 10−15 m, also 1,7 Femtometer (fm).
Das Antiteilchen zum Neutron ist das Antineutron, das erstmals 1956 von Bruce Cork am Bevatron bei Proton-Proton-Kollisionen nachgewiesen wurde.
Das Neutron unterliegt allen in der Physik bekannten vier Wechselwirkungen: der Gravitationskraft, der starken, der elektromagnetischen und der schwachen Wechselwirkung.
Die starke Wechselwirkung – genauer: die „Kernkraft“, eine Art Restwechselwirkung der zwischen den Quarks wirkenden starken Wechselwirkung – ist dafür verantwortlich, dass Neutronen in Kernen gebunden sind, und bestimmt auch das Verhalten von freien Neutronen bei Stößen mit Atomkernen.
Das Neutron ist zwar elektrisch neutral und unterliegt damit nicht der elektrostatischen Anziehung oder Abstoßung, aber aufgrund seines magnetischen Moments trotzdem der elektromagnetischen Wechselwirkung. Diese Tatsache sowie die räumliche Ausdehnung sind klare Indizien dafür, dass das Neutron ein zusammengesetztes Teilchen ist.
Die schwache Wechselwirkung ist verantwortlich für den Betazerfall des freien Neutrons in ein Proton, ein Elektron und ein Elektron-Antineutrino.
Mit Ausnahme des häufigsten Wasserstoffisotops (Protium, 1H), dessen Atomkern nur aus einem einzelnen Proton besteht und das den normalen Wasserstoff bildet, enthalten alle Atomkerne sowohl Protonen als auch Neutronen. Protonen und Neutronen werden zusammenfassend Nukleonen (von lateinisch nucleus, Kern) genannt.
Die Anzahl der Protonen im Atomkern bestimmt die Kernladung, und damit die Zahl der Elektronen, die im neutralen Atom gebunden sind. Die Elektronenhülle wiederum bestimmt die chemischen Eigenschaften des Atoms. Deswegen gehören sogenannte Isotope, also die Atomsorten mit gleicher Protonen-, aber unterschiedlicher Neutronenzahl, zum gleichen chemischen Element.
Ein Neutron und ein Proton haben jeweils fast die gleiche Masse, die rund 2000-mal höher als die Masse eines Elektrons ist. Die Nukleonenzahl, also die Gesamtzahl der Neutronen und Protonen eines Atoms, wird deswegen auch als Massezahl bezeichnet. Sie stimmt etwa mit der Gesamtmasse des Atoms in u überein. Wenn einzelne Isotope unterschieden werden sollen, wird die Massezahl meist als Hochzahl vor oder mit einem Bindestrich hinter das Elementsymbol geschrieben, z. B. 60Co oder Co-60, 235U oder U-235. Um aus der Massezahl die Neutronenanzahl zu ermitteln, muss die Ordnungszahl (Protonenanzahl) des Elements abgezogen werden. Uran hat z. B. die Ordnungszahl 92; der Uran-235-Kern enthält also 235 minus 92 gleich 143 Neutronen.
Das Neutron hat eine etwas höhere Masse als das Proton. Daher kann sich ein freies Neutron durch Beta-minus-Zerfall in ein Proton, ein Elektron und ein Elektron-Anti-Neutrino umwandeln. Die Differenz der Masse zwischen dem Neutron und den Zerfallsprodukten wird den Zerfallsprodukten als Bewegungsenergie mitgegeben.
In Atomkernen ist die Situation komplizierter: Für den Zusammenhalt des Kerns ist die Kernkraft, eine Art Restwechselwirkung der starken Wechselwirkung verantwortlich. Sie wirkt gleichermaßen auf Neutronen und Protonen anziehend, aber nur auf sehr kurze Distanz (quasi nur auf die unmittelbaren Nachbarn). Daher ist die Bindungsenergie pro Nukleon in allen Atomkernen ungefähr gleich. Die Bindung eines zusätzlichen Neutrons an einen Atomkern setzt einen Energiebetrag frei, der meist ca. einem Prozent der Neutronenmasse entspricht. Protonen werden von der Kernkraft etwa gleich stark gebunden wie Neutronen, jedoch muss hier zusätzlich die elektrische Abstoßung zwischen den positiv geladenen Protonen überwunden werden. Entsprechend geringer ist bei diesen die Energiefreisetzung bei der Bindung an einen Atomkern.
Es hängt damit von der Zusammensetzung eines Atomkerns ab, ob die Bindung eines zusätzlichen Neutrons oder eines zusätzlichen Protons zu einem stärkeren Anwachsen der Masse des Kerns führt. Ist der neue Kern mit dem zusätzlichen Neutron schwerer als der mit dem Proton, ist der mit dem zusätzlichen Neutron bestrebt, per Beta-minus-Zerfall ein Neutron in ein Proton zu verwandeln. Ist hingegen der Kern mit dem Proton schwerer, ist dieser bestrebt, per Beta-plus-Zerfall oder Elektroneneinfang ein Proton in ein Neutron umzuwandeln (siehe Mattauchsche Isobarenregel). Es gibt nur ein recht kleines „Fenster“ (fast) gleicher Masse, bei der weder der Beta-minus- noch der Beta-plus-Zerfall (wohl aber der Elektroneneinfang) möglich ist. Paare solcher Nuklide sind z. B. Eisen-55 und Mangan-55 oder Jod-125 und Tellur-125.
Es kommt vor, dass zwei Kerne gleicher Massenzahl, die sich in der Protonenzahl um zwei unterscheiden, beide stabil sind. Dies lässt sich dadurch erklären, dass gerade Neutronen- und Protonenzahlen energetisch günstiger sind als ungerade (siehe Paarenergie). Der Kern dazwischen kann dann meist auf zwei Wegen zerfallen: per Beta-minus-Zerfall zu dem Kern mit der nächsthöheren Ordnungszahl oder per Beta-plus-Zerfall oder Elektroneneinfang zu dem Kern mit der nächstniedrigeren Ordnungszahl. In der Regel überwiegt der Zerfallskanal mit der höheren Energiefreisetzung. Als Beispiel sei Arsen-74 angeführt (Ordnungszahl 33, also 33 Protonen und 41 Neutronen), das zu etwa einem Drittel zu Selen-74 (Ordnungszahl 34) und zu zwei Dritteln zu Germanium-74 (Ordnungszahl 32) zerfällt.
Von den meisten Elementen existieren nur ein oder wenige stabile Isotope. Kerne mit mehr Neutronen als ihre stabilen Isotope unterliegen meist dem Beta-minus-Zerfall, Kerne mit weniger Neutronen dem Beta-plus-Zerfall. Bei den Ordnungszahlen 43 (Technetium), 61 (Promethium) und allen oberhalb 82 (Blei) gibt es keine stabilen Isotope. Die Instabilität der schweren Kerne ergibt sich aber nicht aus dem Beta-Zerfall, sondern aus der ab dem Eisen abnehmenden Bindungsenergie pro zusätzlichem Nukleon, die zur Folge hat, dass sehr schwere Kerne sich durch Spontanspaltung oder durch Alpha-Zerfall in leichtere umwandeln.
Stabile leichte Kerne bestehen aus ungefähr gleich vielen Protonen und Neutronen. Mit steigender Massenzahl wächst die Neutronenzahl überproportional allmählich bis auf fast das Anderthalbfache der Protonenzahl an. Die Nuklidkarte in der üblichen Anordnung nach Segrè (Neutronenzahl nach rechts, Protonenzahl nach oben aufgetragen) macht dies dadurch augenfällig, dass der Streifen der stabilen Nuklide nicht gerade, sondern abwärts gekrümmt verläuft.
Es gibt viele verschiedene Arten von Neutronenquellen, in denen Neutronen aus Atomkernen freigesetzt werden.
Zur Untersuchung von kondensierter Materie durch elastische und inelastische Neutronenstreuung werden vor allem Neutronen aus Forschungsreaktoren genutzt. Dort werden die Neutronen bei der Kernspaltung frei. Diese schnellen Neutronen haben Energien im Bereich von einigen MeV und müssen für Materialuntersuchungen erst auf rund ein Millionstel ihrer Bewegungsenergie abgebremst werden. Eine neuere Alternative zu Forschungsreaktoren sind Spallationsquellen.
Auch Gewitter können schnelle Neutronen mit Energien bis zu 30 MeV produzieren.[3] Neuste Forschung hat gezeigt, dass die Fluenz dieser Neutronen zwischen 10−9 und 10−13 pro ms und pro m2 liegt abhängig von der Detektionshöhe. Die Energie der meisten dieser Neutronen, selbst mit anfänglichen Energien von 20 MeV, sinkt binnen 1 ms in den keV-Bereich.[4]
Die Abbremsung von Reaktorneutronen geschieht in einem den Reaktorkern umgebenden Wassertank (leichtes oder schweres Wasser als Moderator). Bei jedem Zusammenstoß eines schnellen Neutrons mit einem Atomkern des Wassers wird Energie an den getroffenen Kern abgegeben. Nach vielen solchen Stößen weisen die Neutronen ein der Wassertemperatur (etwa 300 K, „Zimmertemperatur“) entsprechendes Energiespektrum auf. Man spricht dann von thermischen Neutronen (siehe untenstehende Tabelle).
Mit zusätzlichen Moderatoren kann das Energiespektrum der Neutronen verschoben werden. Diese zusätzlichen Moderatoren an Forschungsreaktoren bezeichnet man auch als sekundäre Neutronenquellen. Zur Gewinnung von sogenannten kalten Neutronen kommt häufig flüssiges Deuterium mit einer Temperatur von etwa 20 K zum Einsatz. Sogenannte heiße Neutronen werden in der Regel mit Graphit-Moderatoren bei etwa 3000 K erzeugt. Kalte, thermische und heiße Neutronen weisen jeweils eine bestimmte, mehr oder weniger breite Energieverteilung und damit Wellenlängenverteilung auf.
In jedem Fall werden die Neutronen durch Strahlrohre (Neutronenleiter) aus dem Moderatortank oder den sekundären Neutronenquellen zu den Experimenten geleitet. Allerdings müssen noch genügend viele Neutronen im Reaktorkern verbleiben oder dorthin zurück reflektiert werden, um die Kettenreaktion aufrechtzuerhalten.
Ultrakalte Neutronen (UCN) besitzen nur eine sehr geringe kinetische Energie und bewegen sich mit weniger als 5 m/s, wodurch sie sich magnetisch, mechanisch oder gravitativ speichern lassen. Von Gefäßen aus Beryllium, Berylliumoxid oder Nickel werden sie reflektiert. Speicherexperimente ermöglichen minutenlange Beobachtungsdauern, viel länger als bei Experimenten an Neutronenstrahlen.[5]
Für viele Experimente werden monoenergetische Neutronen, also Neutronen einheitlicher Energie, benötigt. Diese erhält man an Reaktoren z. B. durch den Einsatz eines Monochromators. Dies ist ein Einkristall oder Mosaik-Kristall aus beispielsweise Silizium, Germanium, Kupfer oder Graphit; durch Nutzung bestimmter Bragg-Reflexe und Monochromatorwinkel können verschiedene Wellenlängen (Energien) aus der Wellenlängenverteilung ausgewählt werden (siehe auch Neutronensuperspiegel).
Monochromatische Neutronen höherer Energien können an Beschleunigern aus geeigneten Kernreaktionen gewonnen werden.
Die Wirkungen freier Neutronen auf Materie sind je nach dem Energiebereich der Neutronen ganz verschieden. Deshalb werden Klassen oder Bereiche der Neutronenenergie mit besonderen Bezeichnungen belegt. Folgende Einteilung hat sich herausgebildet:
Typ | kinetische Energie | Wellenlänge | Geschwindigkeit (km/s) |
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ultrakalte Neutronen | < 0,2 meV | > 2 nm | < 0,197 |
kalte Neutronen | < 2 meV | 2000…640 pm | < 0,622 |
thermische Neutronen | < 100 meV | 640…90 pm | < 4,4 |
epithermische Neutronen | < 1 eV | 90…28 pm | < 13,9 |
mittelschnelle Neutronen | 0,5 eV…10 keV | 9,8 … 44 | |
schnelle Neutronen | 10 keV…20 MeV | 44 … 62.000 | |
relativistische Neutronen | > 20 MeV | > 62.000 | |
Beispiele: | |||
Neutronen bei 273,15 K (0 °C) | 0,0353 eV | 2,611 | |
Neutronen aus der Kernspaltung (Mittelwert) | 2 MeV | 1.960 | |
Neutronen aus der DT-Kernfusion | 14,1 MeV | 52.000 |
Da Neutronen keine elektrische Ladung tragen, können sie nicht direkt mit auf Ionisierung beruhenden Detektoren nachgewiesen werden. Der Nachweis von Neutronen geschieht mittels Neutronendetektoren. Bei niedrigen Neutronenenergien (unter etwa 100 keV) beruhen diese stets auf einer geeigneten Kernreaktion. Bei höheren Energien kann stattdessen auch der Rückstoß ausgenutzt werden, den ein geladenes Teilchen (meist Proton) bei der Streuung des Neutrons erfährt.
Ein freies (nicht in einem Atomkern gebundenes) Neutron hat eine mit 939,6 MeV um etwa 1,3 MeV (0,14 %) größere Ruheenergie als ein (freies) Proton. Das freie Neutron ist radioaktiv und zerfällt als Beta-Minus-Strahler (β−-Strahler) in ein Proton, ein Elektron und ein Elektron-Antineutrino:
Die Lebensdauer beträgt ca. 880 Sekunden[2] (knapp 15 Minuten); dies entspricht einer Halbwertszeit von etwa 610 Sekunden. Das ist die mit Abstand größte Halbwertszeit aller instabilen Elementarteilchen. Sie ist schwierig zu messen, denn ein in normaler materieller Umgebung freigesetztes Neutron (auch in Luft) wird meist in Sekundenbruchteilen wieder von einem Atomkern absorbiert, „erlebt“ seinen Zerfall also nicht. Dementsprechend ist der Zerfall bei praktischen Anwendungen bedeutungslos, und das Neutron kann dafür als stabiles Teilchen angesehen werden.[6] Grundlagenphysikalisch ist der Zerfall jedoch interessant. In einer frühen Phase des Universums machten freie Neutronen einen bedeutenden Teil der Materie aus; man kann die Entstehung besonders der leichten Elemente (und deren Isotopenverteilung) besser nachvollziehen, wenn die Lebensdauer des Neutrons genau bekannt ist. Außerdem erhofft man sich ein besseres Verständnis der schwachen Wechselwirkung.
Proton und Elektron sind die Bausteine für ein Wasserstoffatom, so dass größere Mengen freier Neutronen im Weltall zu Wasserstoffgas werden, sobald die β-Strahlen ihre Energie verloren haben.
Die Umkehrung des Neutronenzerfalls tritt z. B. bei der Entstehung eines Neutronensterns auf:
Freie (also nicht in einem Kern gebundene) Neutronen können an Atomkernen gestreut werden oder von ihnen absorbiert werden, was eine Kernreaktion darstellt.
Die Streuung kann elastisch oder inelastisch sein. Bei inelastischer Streuung verbleibt der Atomkern in einem angeregten Zustand, der dann (meist) durch Emission von Gammastrahlung zum Grundzustand zurückkehrt. Die elastische Streuung schneller Neutronen an leichten Atomkernen (Moderatoren) bewirkt ihre Abbremsung, bis sie zu thermischen Neutronen werden.
Insbesondere thermische Neutronen werden von vielen Atomkernen absorbiert. Wird danach nur Gammastrahlung, aber kein Teilchen mit Masse emittiert, heißt der Vorgang Neutroneneinfang. Der entstandene neue Atomkern ist ein um eine Einheit schwereres Isotop des ursprünglichen Kerns und kann radioaktiv sein (Neutronenaktivierung). Als Neutronenabsorber werden Nuklide mit besonders großen Wirkungsquerschnitten für die Absorption eines thermischen Neutrons bezeichnet. Die meist verwendeten sind Cadmium-113 und Bor-10; sie werden in Neutronenabschirmungen und zur Steuerung von Kernreaktoren verwendet.
Bei einigen sehr schweren Nukliden kann die Absorption eines Neutrons zur Kernspaltung führen. Da diese wiederum Neutronen freisetzt, kann der Vorgang u. U. als Kettenreaktion mit Freisetzung großer Energiemengen verlaufen. Dies wird in Kernreaktoren und auch in Kernwaffen ausgenutzt.
Die Materialeigenschaften von Metallen und anderen Werkstoffen werden durch Neutronenbestrahlung verschlechtert. Dies begrenzt die Lebensdauer von Komponenten in z. B. Kernreaktoren. In Kernfusionsreaktoren mit ihrer höheren Energie der Neutronen tritt dieses Problem verstärkt auf.
Die Wirkung auf lebendes Gewebe ist ebenfalls schädlich. Sie beruht bei schnellen Neutronen größtenteils auf von diesen angestoßenen Protonen, die einer stark ionisierenden Strahlung entsprechen. Diese Schadwirkung ist gelegentlich als Strahlentherapie zur Bekämpfung von Krebszellen erprobt worden. Thermische Neutronen erzeugen durch Neutroneneinfang in Wasserstoff eine Gammastrahlung, die ihrerseits ionisiert.
Ernest Rutherford sagte im Jahr 1920 einen neutralen Kernbaustein voraus, bei dem es sich möglicherweise um eine Proton-Elektron-Kombination handele, er sprach von einem „kollabierten Wasserstoffatom“.[7] William Draper Harkins bezeichnete dieses Teilchen 1921 als Neutron.[8]
Die ersten Schritte zur Entdeckung des Neutrons wurden von Walther Bothe und seinem Studenten Herbert Becker getan. Sie beschrieben im Jahr 1930 einen ungewöhnlichen Typ von Strahlung, der entstand, wenn sie Beryllium mit Alphastrahlung aus dem radioaktiven Zerfall von Polonium beschossen. Ziel war es, Beobachtungen Ernest Rutherfords zu bestätigen, wonach bei diesem Vorgang eine sehr energiereiche Strahlung emittiert wurde. Dementsprechend hielten sie die durchdringende Strahlung, die sie bei diesen Versuchen mit Hilfe von elektrischen Zählmethoden feststellen konnten, anfänglich fälschlicherweise für Gammastrahlung. Die gleichen Versuche machten sie auch mit Lithium und Bor, und kamen schlussendlich zum Ergebnis, dass die beobachteten „Gammastrahlen“ mehr Energie besaßen als die Alphateilchen, mit denen sie die Atome beschossen hatten. Bei der Bestrahlung von Beryllium mit Alphateilchen entstand nicht – wie zuvor erwartet – Bor, sondern Kohlenstoff. In heutiger Schreibweise lautet die beobachtete Kernreaktion:
oder in Kurzform
Die beobachtete, sehr energiereiche Strahlung hatte ein großes Durchdringungsvermögen durch Materie, zeigte jedoch sonst ein für Gammastrahlung ungewöhnliches Verhalten. Sie vermochte zum Beispiel leichte Atome in schnelle Bewegung zu versetzen. Eine genauere Analyse zeigte, dass die Energie dieser „Gammastrahlung“ so groß hätte sein müssen, dass sie alles bis dahin Bekannte weit übertroffen hätte. So kamen mehr und mehr Zweifel auf, ob es sich wirklich um Gammastrahlen handelte. Entsprechend dem durchgeführten Versuch nannte man die Strahlung inzwischen „Beryllium-Strahlung“.
1931 stellten Irène Joliot-Curie und ihr Ehemann Frédéric Joliot-Curie bei Experimenten mit der Beryllium-Strahlung folgende Tatsache fest: Lässt man die „Beryllium-Strahlung“ in eine Ionisationskammer treffen, so zeigt diese keinen nennenswerten Strom an. Bringt man jedoch vor die Ionisationskammer eine wasserstoffhaltige Materialschicht (zum Beispiel Paraffin), dann steigt der Strom in der Kammer stark an. Als Ursache vermutete das Ehepaar Joliot-Curie, dass die „Beryllium-Strahlung“ aus dem wasserstoffhaltigen Paraffin Protonen herauslöst, welche dann in der Ionisationskammer Ionisierung bewirken. Sie konnten ihre Vermutung durch den Nachweis solcher Rückstoß-Protonen in der Wilsonschen Nebelkammer belegen. Als Mechanismus vermuteten sie einen dem Compton-Effekt verwandten Vorgang. Die harte Gammastrahlung sollte den Protonen den notwendigen Impuls übertragen. Abschätzungen zeigten jedoch, dass zur Erzeugung eines Rückstoßprotons, dessen Spurlänge in der Nebelkammer etwa 26 cm betrug, eine unrealistisch hohe Gammaenergie von etwa 50 MeV notwendig wäre.
James Chadwick – ein Schüler Rutherfords, der wie er zunächst die Hypothese eines stark gebundenen Elektron-Proton-Zustands vertrat[7] – glaubte wie dieser nicht an einen „Compton-Effekt beim Proton“ und nahm an, dass die „Beryllium-Strahlung“ aus Teilchen bestehen müsse. Als Irène und Frédéric Joliot-Curie ihre Versuchsergebnisse veröffentlichten, in denen sie zeigten, dass Bothes „Beryllium-Strahlung“ in der Lage war, aus Paraffin Protonen mit hoher Energie herauszuschlagen, war für Chadwick klar, dass es sich nicht um Gammastrahlung, sondern nur um Teilchen mit einer dem Proton vergleichbaren Masse handeln konnte. In den zahlreichen Versuchen wiederholte er die Experimente von Joliot-Curie und bestätigte deren Beobachtung. 1932 konnte er experimentell erhärten, dass es sich bei der „Beryllium-Strahlung“ nicht um Gammastrahlen, sondern um schnell bewegte Teilchen handelte, die ungefähr die Masse des Protons besitzen, jedoch elektrisch neutral sind; die Eigenschaften dieser Strahlung waren eher mit denen eines bereits zwölf Jahre zuvor von Ernest Rutherford als Kernbaustein vermuteten neutralen Teilchens in Einklang zu bringen. Da die nunmehr entdeckten Teilchen keine elektrische Ladung trugen, nannte er sie Neutronen. Chadwick veröffentlichte seine Entdeckung im Jahr 1932.[9] Die Publikation erschien unter Letters to the Editor, ist knapp eine Seite lang und trug ihm im Jahre 1935 den Nobelpreis für Physik ein.
Dass gerade die Kombination von Beryllium als Target und Polonium als Alphateilchen-Quelle eine hohe Neutronenausbeute ergibt, erklärt sich nach heutigem Wissen daraus, dass der Energiegewinn (Q-Wert) der $ (\alpha ,{\text{n}}) $-Reaktion an $ {}^{9}\mathrm {Be} $ mit 5,7 MeV besonders hoch ist und dass 210Po mit 5,3 MeV eine der höchsten natürlichen Alphaenergien liefert.
Mit der Entdeckung des Neutrons konnte die Beschreibung des Atomaufbaus vorerst vollendet werden: Der Atomkern, bestehend aus Protonen und Neutronen, wird von einer Hülle aus Elektronen umgeben. Bei einem elektrisch neutralen Atom ist die Anzahl der negativ geladenen Elektronen gleich der der positiv geladenen Protonen im Atomkern, wohingegen die Anzahl der Neutronen im Kern variieren kann.
Im gleichen Jahr 1932 stellte Werner Heisenberg seine Nukleonentheorie auf.
Noch 1940 nahm man an, dass das Neutron eine Verbindung aus Proton und Elektron darstellt. So hätte man alle Atome auf diese zwei Bausteine zurückführen können. Erst mit der weiteren Entwicklung der Quantenmechanik und der Kernphysik wurde klar, dass es keine Elektronen als dauerhafte Bestandteile des Kerns geben kann.
„Neutron“ war ursprünglich Wolfgang Paulis Bezeichnung für das 1930 von ihm postulierte Auftreten eines (Anti-)Neutrinos beim Betazerfall gewesen. Die Bezeichnung Neutrino, vorgeschlagen von Enrico Fermi, etablierte sich erst später.