OTRAG

OTRAG

Version vom 2. Juli 2017, 16:43 Uhr von imported>Vulkaistos
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
OTRAG
OTRAG CRPU

Die OTRAG (Orbital Transport- und Raketen Aktiengesellschaft) war eine deutsche Firma, die in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren an einem alternativen Antriebssystem für Raketen arbeitete. Das Unternehmen und seine OTRAG-Rakete gehören somit zu den Ursprüngen der nichtstaatlichen Raumfahrt.

Entwicklung

Die OTRAG-Rakete sollte eine preisgünstige Alternative zu den seinerzeit noch im Planungs- bzw. Entwicklungsstadium befindlichen Systemen der „Europa-Rakete“ Ariane und des US-amerikanischen Space Shuttle darstellen. Die Rakete wurde von einem privaten Betreiber-Konsortium (Orbital Transport und Raketen AG, Stille Gesellschaft) entwickelt. Die OTRAG wurde von zahlreichen Stillen Gesellschaftern (Im Jahre 1978 waren es 1.150) zur Aktiengesellschaft finanziert.

Leiter des Projekts war der süddeutsche Diplomingenieur für Luft- und Raumfahrt Lutz Kayser. Kayser, geboren 1939, beschäftigte sich schon als Jugendlicher mit Raketen, hatte unter Eugen Sänger an der Stuttgarter Universität Luft und Raumfahrttechnik studiert, und gehörte seit 1954 der Gesellschaft für Weltraumforschung an.

1971 hatte Kayser die Technologieforschung GmbH gegründet, die neben ERNO, Dornier und MAN als viertes Unternehmen einen Auftrag des Bundesforschungsministerium erhielt, eine kostengünstige Alternative zur Europa III B Rakete, aus der später die Ariane hervorgehen sollte, zu entwickeln. Der Betrieb sollte billiger sein als die Europa II, dabei die Entwicklungskosten für die Europa III von 2 Mrd. DM unterbieten. Das Unternehmen erhielt bis 1974 insgesamt 4 Mio. DM. Danach richtete sich die Aufmerksamkeit des Ministeriums auf die Europa-Rakete.

Konzept

Die OTRAG setzte auf das Konzept der Bündelrakete, das bereits in den 1930er Jahren vorgeschlagen und auch in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde erörtert worden war. Es sollte ein Flugkörper gebaut werden, der mit möglichst einfachen Mitteln eine möglichst hohe Schubkraft erreichen sollte. Technische Teile des Konzeptes, beispielsweise die radiale Einspritzmethode für Raketenbrennkammern wurden später von Wolfgang Pilz nach Frankreich gebracht und dort in den Raketen Véronique und Ariane weiterentwickelt.

Die Rakete bestand im Unterschied zu den seinerzeit und heute verbreiteten Trägerraketen aus modular ineinandergeschachtelten Antriebsrohren. An deren Spitze hätte eine Trägerkapsel von bis zu zwei – später geplant: zehn – Tonnen, das Gewicht eines damals üblichen Fernmeldesatelliten, in einen geostationären Orbit befördert werden können.

Dieses Common Rocket Propulsion Unit (CRPU) – zu deutsch „Einheitliches Raketentriebwerksmodul“ – sollte die Basis für kostengünstige mittlere und schwere Trägerraketen für kommerzielle und wissenschaftliche Nutzlasten sein.

Technik

Die Module stellten jeweils einzelne Flüssigraketen dar und bestanden aus Rohren, die drei Meter Länge und 27 Zentimeter Durchmesser hatten. Jeweils acht dieser Rohre würden übereinander montiert, durch Bajonettverschlüsse zusammengehalten, sodass die Trägerrate 24 m lange Tanks genutzt hätte. Die Versuchsraketen bestanden dagegen nur aus zwei und vier Tanks von sechs beziehungsweise zwölf Metern Länge. Unter jedem Tank war ein eigenes Triebwerk montiert, das bei 27 cm Durchmesser einen Meter Länge aufwies.

Als Treibstoffe wurden Kerosin und Salpetersäure im Volumenverhältnis 1:3 eingesetzt; ein Tankrohr war zu 66 % mit Kerosin gefüllt und die drei darüberliegenden mit Salpetersäure. Die Zündung erfolgte durch einen chemischen Initiator(Furfurylalkohol). Der Treibstoff wurde nicht durch Pumpen gefördert, wie bei größeren Flüssigraketen üblich, sondern durch elektronisch gesteuerte Kugelventile, welche die unter Überdruck stehenden Treibstofftanks öffnen und schließen konnten. Der Überdruck in den Tanks nahm dabei von 40 bar bei der Zündung auf 15 bar zum Brennschluss ab (adiabate Druckförderung).

Das Triebwerk bestand aus einer einfachen zylindrischen Brennkammer mit einer radialen Treibstoffeinspritzung. Als Düsenverengung diente ein variabler Graphitring, dessen Öffnung den Startschub in einem Bereich von 5 bis 50 kN regulierte. Als Hitzeschutz diente eine Beschichtung aus Phenolharz und Kohlenstofffasern im Inneren der Raketenbrennkammern, die auf den Abbrand während der Brennzeit von 130 Sekunden ausgerichtet war (Ablativer Hitzeschild).

Bedingt durch die kurze Düse, die schweren Drucktanks und den Treibstoff mit niedrigem Energiegehalt war der spezifische Impuls eines Moduls jedoch vergleichsweise niedrig. Die Angaben von OTRAG-Mitarbeitern differieren dabei zwischen 1.800 und 2.648 Ns/kg bei 1 bar Außendruck.

Ein 24 m langes Modul mit einem ein Meter langen Triebwerk wog 1.508 kg, wovon 1.130 kg auf den Oxidator Salpetersäure und 220 kg auf den Brennstoff Kerosin entfielen. Die Leermasse betrug 153 kg, davon entfielen 65 kg auf das Triebwerk und 88 kg auf die Tanks.

Kritik

Schon in den 1980er Jahren gab es Kritik an dem Konzept. Eine von der DFVLR (damalige deutsche Agentur für Luft und Raumfahrt) in Auftrag gegebene Studie kam 1975 zu dem Schluss, dass das Konzept nicht wirtschaftlich sei. Harry Ruppe errechnete mit den OTRAG-Angaben zu den Modulen eine wesentlich geringere Nutzlast als von dieser angegeben, nämlich 3,6 anstatt 10 Tonnen. Lutz Kayser nahm dagegen eine deutliche Leistungssteigerung durch einen Düseneffekt mit vielen Modulen an, ohne den der spezifische Impuls und damit die Nutzlast deutlich geringer war. Dieser Effekt wurde jedoch von der Fachwelt als spekulativ abgewiesen.

Testflüge

Eine startfähige Rakete, die aus bis zu 1024 Treibstoffrohr-Modulen bestehen sollte, wurde niemals hergestellt. Erste Teststarts mit einzelnen Antriebselementen fanden in Zaire(dem heutigen Kongo) und Libyen statt. In insgesamt 16 suborbitalen Flugversuchen wurden diese Antriebseinheiten erfolgreich flugqualifiziert. Genauere Daten der Flüge wurden jedoch nicht bekannt.

Im Jahre 1976 pachtete die OTRAG das 100.000 km² große Gelände Shaba North in Zaire. Von dort aus fanden drei Starts statt, der erste am 17. Mai 1977. Der dritte Start, bei dem auch der Diktator Mobutu anwesend war, scheiterte. Durch politischen Druck der Sowjetunion und Deutschlands wurde der Pachtvertrag im April 1979 gekündigt, und die OTRAG musste Zaire verlassen.

Am 1. März 1981 startete die bundesdeutsche OTRAG Orbital Transport und Raketen AG einen weiteren Raketentest, auf dem Versuchsgelände in der dünn besiedelten Sahara nahe Sebha in Libyen. Danach gab es keine öffentlichen Berichte mehr über Starts. Ein Teil der Mitarbeiter wurde von libyschen Militärs weiterbeschäftigt, um bis 1987 für Libyen Raketen zu entwickeln. Lutz Kayser verweigerte nach eigenen Aussagen die Zusammenarbeit mit dem Militär und musste die OTRAG verlassen.

Sein Nachfolger Frank Wukasch versuchte, das angespannte Verhältnis zur deutschen Regierung durch den Start von Höhenforschungsraketen zu verbessern. Am 19. September 1983 erfolgte ein Start für die DLR vom Startplatz Esrange in Schweden, doch die Rakete wurde nach ca. 2/3 der geplanten Antriebszeit durch die Einwirkung einer Nutzlast zerstört.[1] Danach waren die Gelder aufgebraucht, und die Firma wurde 1986 von den Gesellschaftern liquidiert. Lutz Kayser arbeitete nach der „Enteignung“ noch über zehn Jahre in Libyen und entwickelte dort Aufwindkraftwerke.

Politische Bezüge

Presseberichten aus den frühen 1980er Jahren zufolge stand das Projekt im Widerspruch zu den US-amerikanischen und europäischen Plänen für ein Orbitaltransportsystem auf der Basis mehrstufiger Raketen. Andere Berichte vermuteten wiederum ein internationales Misstrauen gegenüber einer möglichen atomaren Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland und dass die Anrainerstaaten Libyens aus diesem Grund Widerspruch einlegten. Der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher soll das Projekt schließlich auf Druck Frankreichs gestoppt haben, um der von Deutschland co-finanzierten „Europa-Rakete“ Ariane keine Konkurrenz zu machen und um politische Verwicklungen zu vermeiden.

Der Bundesfinanzhof sprach schließlich der OTRAG die Gewinnerzielungsabsicht ab und das Unternehmen musste nach Aufbrauchen der Gelder aufgelöst werden. Konstruktionen und Unterlagen der Entwicklung von Lutz Kayser gingen nach dessen Aussagen vertragsgemäß an ihn zurück, während sie nach Aussagen seines Vize Frank Wukasch weiterhin Eigentum der Gesellschafter der OTRAG seien.

Gerichtsverfahren

Nach jahrelangen Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft München I den Geschäftsmann Walter Z. im Dezember 2001 angeklagt, er habe von 1991 bis 1996 Teile für Raketen nach Libyen, entgegen dem seit 1992 geltenden UN-Handelsembargo, geliefert und dabei gegen das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) verstoßen. Mitangeklagt waren noch zwei weitere Personen. Z. gehörte in den 1970er Jahren zur Gruppe um Lutz Kayser und OTRAG. Er war 1998 festgenommen, später gegen Kaution wieder auf freien Fuß gesetzt worden.

21. Jahrhundert

Das im Jahre 2000 gegründete private US-Raumfahrt-Unternehmen Armadillo Aerospace, das auch am Ansari X-Prize teilnahm, nahm in Zusammenarbeit mit Kayser das Konzept der modularen Bündeltriebwerke auf. Das Unternehmen kündigte 2006 die Weiterentwicklung dieser Technik zu einer Suborbital-Rakete an.[2]

Literatur

  • P.M. – Peter Moosleitners interessantes Magazin, Ausgabe 7/1981, S. 12–18. Eine der wenigen aufschlussreichen Quellen findet sich dort als Bericht. Das Heft ist nur noch antiquarisch erhältlich.
  • Gabriele Venzky: Zaire: Aus für deutsche Raketenfirma. In: Die Zeit, Nr. 19/1979
  • Martin Baer: Raketen für Afrika. In: Die Zeit Nr. 32/2008, S. 78
  • "Feuer in den Himmel". Der Spiegel, 42/1977. S. 132, 134, 137.

Einzelnachweise

  1. Sven Grahn: The last OTRAG rocket - launched from Esrange. Abgerufen am 5. Februar 2012 (englisch).
  2. June 2006 Armadillo Aerospace Update.

Weblinks

Commons: OTRAG – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien