Die Himmelsscheibe von Nebra ist eine kreisförmige Bronzeplatte mit Applikationen aus Gold und stellt offenbar astronomische Phänomene und religiöse Symbole dar, ihr Alter wird auf 3700 bis 4100 Jahre geschätzt. Dieses Artefakt der frühen Bronzezeit Mitteleuropas (Aunjetitzer Kultur) gilt als einer der wichtigsten archäologischen Funde aus dieser Epoche sowie als die älteste bewegliche und derzeit nach der Kalksteinplatte von Tal-Qadi in Malta die zweitälteste Himmelsdarstellung.[1] Später nacheinander eingearbeitete Gold-Tauschierungen und das vermutete Vergrabungsdatum vor etwa 3600 Jahren lassen den Schluss auf einen längeren, vermutlich religiösen Gebrauch zu. Seit Juni 2013 gehört die Himmelsscheibe von Nebra zum UNESCO-Weltdokumentenerbe in Deutschland.[2]
Gefunden wurde sie am 4. Juli 1999 von Raubgräbern auf dem Mittelberg in der damaligen Gemeinde Ziegelroda nahe der Stadt Nebra in Sachsen-Anhalt. Seit 2002 gehört sie zum Bestand des Landesmuseums für Vorgeschichte Sachsen-Anhalt in Halle.
Die annähernd kreisrunde, geschmiedete[3] Bronzeplatte hat einen Durchmesser von etwa 32 Zentimetern und eine Stärke von 4,5 Millimetern in der Mitte beziehungsweise 1,7 Millimetern am Rand, sie wiegt etwa 2,3 Kilogramm. Das Kupfer der Legierung stammt vom Mitterberg bei Mühlbach am Hochkönig in den Ostalpen. Das Verhältnis der im Kupfer enthaltenen radiogenen Blei-Isotope ermöglichte diese Herkunftsbestimmung. Neben einem geringen Zinnanteil von 2,5 Prozent weist sie einen für die Bronzezeit typisch hohen Gehalt von 0,2 Prozent Arsen auf. Sie wurde offenbar aus einem gegossenen Bronzerohling getrieben und dabei wiederholt erhitzt, um Spannungsrisse zu vermeiden bzw. zu beseitigen. Dabei verfärbte sie sich tiefbraun bis schwarz. Die heutige, von einer Korrosionsschicht aus Malachit verursachte Grünfärbung ist erst durch die lange Lagerung in der Erde entstanden.
Die Applikationen aus unlegiertem Goldblech sind in Einlegetechnik gearbeitet und wurden mehrfach ergänzt und verändert. Aufgrund der Begleitfunde (Bronzeschwerter, zwei Beile, ein Meißel und Bruchstücke spiralförmiger Armreife) ist zu vermuten, dass sie etwa um 1600 v. Chr. vergraben wurde, ihr Herstellungsdatum wird auf 2100 bis 1700 v. Chr. geschätzt.
Ungewöhnlich für ein archäologisches Artefakt ist die Tatsache, dass an der Scheibe in der Zeit ihrer Nutzung mehrfach Änderungen vorgenommen wurden, was anhand der Überlagerungen von Bearbeitungen rekonstruiert wurde:
Die Rückseite der Himmelsscheibe enthält keine Applikationen.
Die Himmelsscheibe von Nebra wurde hauptsächlich untersucht von dem Archäologen Harald Meller (Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Halle), dem Astronomen Wolfhard Schlosser (Hauptobservator am Astronomischen Institut der Ruhr-Universität Bochum), dem Archäochemiker Ernst Pernicka (Archäo-Metallurge der Technischen Universität Bergakademie Freiberg in Sachsen, Institut für Archäometrie), von Mitarbeitern des Landeskriminalamts Sachsen-Anhalt, von Christian-Heinrich Wunderlich (Herstellungstechnik, Herstellungsabfolge vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie in Halle), am Teilchenbeschleuniger der Berliner Elektronenspeicherring-Gesellschaft für Synchrotronstrahlung von Mitarbeitern der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) in Berlin und der Archäologin und Spezialistin für Religionen der Bronzezeit Miranda J. Aldhouse-Green (University of Wales).
Wissenschaftler des Landeskriminalamts Sachsen-Anhalt und des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Halle stellten fest, dass die Himmelsscheibe und die anderen Bronzeobjekte aus dem Besitz der Raubgräber aus demselben Depotfund stammten. Die den Gegenständen anhaftenden Bodenreste stimmten mit den Bodenmerkmalen des Fundortes am Mittelberg bei Nebra überein.[4]
Die Ähnlichkeit des verarbeiteten Materials aller Fundstücke gilt als ein weiterer Beleg für die Zusammengehörigkeit der Bronzestücke. Das für alle Bronzeteile verwendete Kupfer weist in allen Nebra-Funden ähnliche Konzentrationen von Spurenelementen auf, lediglich der Gehalt an verschiedenen Blei-Isotopen variiert relativ stark. Dies stellt jedoch keine Aussagebeeinträchtigung dar.
In Kapitel 2 des Analysebandes über „Bernstorf“ von Gebhard/Krause[5] wird in ausführlicher Weise die Authentizität des Depotfundes geprüft und im Ergebnis infrage gestellt, da die detaillierten Untersuchungsberichte von Pernicka noch nicht vorliegen.
Die Himmelsscheibe datiert man mit Hilfe der Stilmerkmale der Beifunde. Aus Vergleichen mit aus Ungarn bekannten, ähnlichen Schwertern schloss man, dass die Himmelsscheibe um 1600 v. Chr. im Boden vergraben wurde.
Die Radiokohlenstoffdatierung (C14-Methode) schied zur Altersbestimmung der Scheibe aus Bronze aus, da dieser Werkstoff keinen Kohlenstoff enthält, der für die C14-Datierung notwendig wäre. Die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung bestrahlte am Teilchenbeschleuniger BESSY die Goldauflagen mit hochintensiven Röntgenstrahlen. Es wurde festgestellt, dass die Goldauflagen keine einheitliche Zusammensetzung aufweisen. Die Himmelsscheibe entstand vermutlich in mehreren, zeitlich getrennten Phasen.[6]
Diese Ergebnisse stimmen mit einem weiteren Befund überein. Christian-Heinrich Wunderlich vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie in Halle extrahierte etwa 0,6 mg Kohlenstoff aus einem Stückchen Birkenrinde, das man an einem der Schwerter gefunden hatte. Dessen Radiokohlenstoffdatierung ergab, dass das Holzstück aus der Zeit um 1600 bis 1560 v. Chr. stammt.[4]
Im Institut für Archäometrie zu Freiberg in Sachsen untersuchte man das Kupfer der Scheibe radiologisch und chemisch. Ernst Pernicka schloss mit einer Datenbank von 50.000 vorgeschichtlichen Erzminen in Europa auf die Herkunft des Kupfers der Himmelsscheibe aus Erzminen im heutigen Österreich (Lagerstätte vom Mitterberg bei Salzburg).
Am Teilchenbeschleuniger BESSY in Berlin untersuchte die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung die Goldauflagen der Himmelsscheibe mit der zerstörungsfreien SRXRF-Methode (Synchrotron Radiation Induced X-Ray Fluorescence Analysis). Die chemischen Zusammensetzung der Goldauflagen ist identisch mit Gold aus dem Fluss Carnon in Cornwall/England; von dort soll auch das in der Bronze enthaltene Zinn kommen. Nach Vergleichen mit archäologischen Funden verarbeiteten Goldes nahm man zuvor an, das Gold könnte aus Minen in Rumänien (Siebenbürgen) stammen.[7]
Die Himmelsscheibe wurde nach einer Interpretation in mehreren Phasen gefertigt.
Erster Zustand: links der Vollmond, rechts der zunehmende Mond, oberhalb dazwischen die Plejaden (alle Darstellungen vereinfacht)
Nach der Interpretation von Meller und Schlosser stellen die Plättchen Sterne dar, die Gruppe der sieben kleinen Plättchen vermutlich den Sternhaufen der Plejaden, die zum Sternbild Stier gehören. Die anderen 25 sind astronomisch nicht zuzuordnen und werden als Verzierung gewertet. Die große Scheibe wurde zunächst als Sonne, mittlerweile auch als Vollmond interpretiert und die Sichel als zunehmender Mond.
Mond und Plejaden stehen nach Meller und Schlosser für zwei Termine der Sichtbarkeit der Plejaden am Westhorizont. Die Plejaden hatten gemäß Schlosser um 1600 v. Chr. ihren akronychischen Untergang am 10. Märzgreg. sowie ihren heliakischen Untergang am 17. Oktobergreg..[8] Schlossers chronologischen Ansetzungen der Plejadenuntergänge wird in der Fachliteratur mehrfach widersprochen, da aufgrund der Witterungs- und Sichtbedingungen die jeweiligen Untergänge an verschiedenen Tagen beobachtet wurden. Die Schwankungsbreite liegt bei etwa sechs Tagen. Wenn am März-Termin der Mond in Konjunktion mit den Plejaden stand, war er eine schmale Sichel kurz nach dem Neumond. Im Oktober war bei einer etwaigen Konjunktion der Mond voll. Damit könnte die Himmelsscheibe als Erinnerungshilfe (Meller: Memogramm) für die Bestimmung des bäuerlichen Jahres von der Vorbereitung des Ackers bis zum Abschluss der Ernte gedient haben.[9]
Eine im Jahr 2006 vorgenommene andere Interpretation der ersten Phase vertritt der Astronom Rahlf Hansen vom Planetarium Hamburg. Demnach solle schon in der Bronzezeit der Versuch einer Harmonisierung des Mondjahres (354 Tage) und des Sonnenjahres (365 Tage) vorgelegen haben, um einen Gleichklang zu erzielen. Damit wäre das Wissen, das auf der Bronzescheibe festgehalten ist, ein weiteres frühbronzezeitliches Äquivalent neben den babylonischen und altägyptischen Schaltmonaten.[10] Die Venus-Tafeln des Ammi-saduqa stellen bislang die ältesten Aufzeichnungen von Schaltmonaten dar. Etwa 1000 Jahre jünger sind die babylonischen Keilschrifttexte mul.apin, die neben der Frühjahrsschaltregel ergänzend einen Herbstschaltmonat nennen. Letztgenannter fand ebenfalls während der Regierungszeit des babylonischen Königs Ammi-saduqa neben dem Frühjahrsschaltmonat Anwendung. Johannes Koch lehnt bezüglich der Himmelsscheibe von Nebra Vergleiche mit der vermeintlich ähnlichen babylonischen Plejaden-Schaltregel ab.[11]
Die später hinzugefügten Horizontbögen überstreichen jeweils einen Winkel von 82 Grad, ebenso wie Sonnenauf- und -untergang zwischen Winter- und Sommersonnenwende am Horizont auf dem Breitengrad des Fundorts. Wurde die Scheibe waagerecht so auf dem Mittelberg positioniert, dass die gedachte Linie vom oberen Ende des linken Bogens zum unteren Ende des rechten Bogens auf die Spitze des etwa 85 km entfernten Brocken zeigt, konnte die Scheibe als Kalender zur Verfolgung des Sonnenjahrs genutzt werden. Vom Mittelberg aus gesehen geht die Sonne zur Sommersonnenwende hinter dem Brocken unter. Für die Vermutung, dass der rechte Bogen der westliche, den Sonnenuntergang markierende sei, spricht seine Nähe zur geneigten Mondsichel, die in der erwähnten Konstellation von der untergehenden Sonne erleuchtet ist. Ob die Scheibe in diesem Zustand als Instrument zur Bestimmung der Sonnenwenden genutzt wurde, oder ob sie das Wissen über diese Bestimmungsmöglichkeiten lediglich darstellt, ist ungewiss.
Sommersonnenwende: Durch Ausrichtung vom Mittelberg zum Brocken wird die Scheibe justiert. Dargestellt ist der Sonnenuntergang.
Herbst- und Frühlingsanfang: Blick auf den Sonnenuntergang zur Tagundnachtgleiche. Die Sonne geht zu dieser Zeit 41° weiter südlich unter – die Ausrichtung der Scheibe ist unverändert.
Als letzte Ergänzung kam ein weiterer goldener Bogen mit zwei annähernd parallelen Längsrillen hinzu, der als Sonnenschiff gedeutet wird, wie man sie aus ägyptischen oder minoischen Abbildungen kennt. Umgeben ist der Bogen an den Längsseiten von kurzen Einkerbungen in der Bronzeplatte, vergleichbar der Darstellung von Rudern auf anderen bronzezeitlichen Schiffsdarstellungen aus Griechenland und Skandinavien. Diese Ergänzung hat vermutlich keine kalendarische Funktion, sie könnte die allnächtliche Überfahrt der Sonne von West nach Ost darstellen. Ob damit auf einen bronzezeitlichen kulturellen Austausch zwischen Mitteleuropa und dem Nahen Osten geschlossen werden kann, ist bislang ungewiss. Der Zweck der Löcher am Rand der Scheibe ist ungeklärt, mutmaßlich dienten sie zur Befestigung. Besonders diese letzte Ergänzung legt eine Verwendung der Scheibe auch für kultische Zwecke nahe.
Die Untersuchungen belegen eine Herstellung der Himmelsscheibe in Mitteleuropa vor 1600 v. Chr. Damit ist die Scheibe die bislang zweitälteste konkrete Darstellung des Nachthimmels. Lediglich die Darstellung der Sterne der Plejaden und des Sternbildes Stier auf der Kalksteinplatte von Tal-Qadi in Malta ist etwa 2000 Jahre älter.[1]
Bemerkenswert für einen archäologischen Fund ist die große Anzahl weiterer, zum Teil sehr ausführlicher Interpretationen.[12] In der Fachwelt finden diese wenig bis gar keinen Rückhalt oder gelten sogar als widerlegt.
Nach Ansicht von Miranda Aldhouse-Green häufen sich die Symbole stark religiöser Themenkreise wie Sonne, Horizontland für die Sonnenwenden, Sonnenbarke, Mond und – als besondere Vertreter der Sterne – die Plejaden regelrecht. Die Schöpfer der Scheibe hätten mit Absicht alle diese auch in anderen europäischen Regionen einzeln gefundenen, religiösen Symbole zusammengeführt und sie gehöre damit zu einem europaweiten, komplexen Glaubenssystem. Die Bronzescheibe könnte eine heilige Botschaft repräsentieren. Schon die Mitteleuropäer der Bronzezeit könnten in der Lage gewesen sein, ihr religiöses Glaubenssystem oder zumindest dessen Kern in einfacher, transportabler Form darzustellen.[13]
Paul Gleirscher deutet das bogenförmige Element auf der Scheibe nicht als Schiff, sondern als Sichel. Schiffe werden in der bronzezeitlichen Ikonographie meist (nahezu) gerade mit deutlich gebogenem Bug und Heck dargestellt. Die Sichel verstärke den Mondbezug, was mit vielen aus Sicheln zusammengesetzten Weihefunden korrespondiere. Er stimmt der Produktionszeit der Beifunde zu, hält aber eine Niederlegungszeit bis zum Ende der Spätbronzezeit (um 1000 vor Christus) für vorstellbar. Dies ermögliche Bezüge zu den Funden von Goldhüten.
Schon 2007 deuteten Emília Pásztor und Curt Roslund in dem Aufsatz „An interpretation of the Nebra disc“ die sogenannte Himmelsscheibe als Objekt von Schamanen oder Häuptlingen, das keine astronomische Deutungen zulasse und keinen Bezug zum Nahen Osten habe[14]:
„Die gegenwärtige wissenschaftliche Erkenntnis tendiert dazu, uns auf astronomische Erklärungen hinzulenken, aber wir können nicht erwarten, dass eine kohärente – also zusammenhängende - Kenntnis der himmlischen Phänomene unter den Völkern des prähistorischen Europas vorhanden war.
Im Allgemeinen wäre der Zweck ihrer Beobachtungen ritueller Natur gewesen, doch die rituellen Regeln einer Gemeinschaft dürften sich von denen anderer unterschieden haben. Sogar die Elemente des Kalenders, die sich auf Sternpositionen am Himmel beziehen, dürften von lokalem Klima und der Landschaft beeinflusst worden sein. Die für die gemeinschaftlichen Bedürfnisse notwendige himmlische Überlieferung wurde mündlich weitergegeben und nicht unbedingt mit allen Mitgliedern der Gemeinschaft geteilt. Ethnographische Berichte deuten darauf hin, dass die Häuptlinge und/oder die Schamanen einer Gemeinschaft die einzigen Personen waren, die privilegiert waren, Zugang zu ihr zu haben.
So gibt es keinen zwingenden Beweis dafür, dass die Nebra-Scheibe jemals als Präzisionsinstrument für astronomische Beobachtungen gedient hat oder dass beabsichtigt war, himmlische Gegenstände oder Ereignisse mit irgendeiner Genauigkeit darzustellen, oder dass sie ikonographische Verbindungen nach Vorderasien zeigt. Es ist wahrscheinlicher, dass die Scheibe ein symbolischer Ausdruck des Kosmos war, mit einem Bezug auf das ikonographische System der nordischen Bronzezeit.“
Der Fundort liegt auf dem Gipfel des 252 Meter hohen Mittelbergs in der Gemarkung Ziegelroda, etwa 4 Kilometer westlich der Stadt Nebra, inmitten des Ziegelrodaer Forstes. Die Fundstelle befindet sich auf 51° 17′ 2″ N, 11° 31′ 12″ O (WGS 84). Ob es sich um einen Hort oder um ein Grab handelt, ist bisher ungeklärt. Der Ort auf dem damals vermutlich unbewaldeten Berg dürfte schon in der Jungsteinzeit genutzt worden sein, möglicherweise als Observatorium. Auf dem Berggipfel wurde in einer späteren Epoche eine ringförmige Wallanlage angelegt.
Etwa 20 Kilometer entfernt von der Fundstelle befindet sich die ebenfalls runde, etwa auf das 5. Jahrtausend v. Chr. datierte Kreisgrabenanlage von Goseck, die astronomische Kenntnisse schon aus weit älterer Zeit als zur Entstehung der Himmelsscheibe von Nebra belegt.
Die Himmelsscheibe wurde von Henry Westphal und Mario Renner, zwei Raubgräbern, entdeckt, die sie zunächst für das Mittelteil eines Schildes hielten. Die illegal agierenden Sondengänger arbeiteten dabei mit einem Metalldetektor.[15]
Einen Tag nach der Ausgrabung der Gegenstände erhielten Westphal und Renner 31.000 DM von einem Kölner Händler für den gesamten Hortfund. Über Mittelsmänner sollte der Fund 1999 in Berlin, später auch in München für eine Million DM verkauft werden, doch es sprach sich herum, dass er rechtmäßig dem Land Sachsen-Anhalt gehörte. In Sachsen-Anhalt galt (und gilt) ein Schatzregal, wonach Bodenfunde mit der Entdeckung Eigentum des Landes werden (§ 12 Abs. 1 Denkmalschutzgesetz SA). Damit war er für den seriösen Kunsthandel wertlos. Bis 2001 wechselte er mehrmals den Besitzer, zuletzt für über 200.000 DM an ein Hehlerpaar, die Museumspädagogin Hildegard Burri-Bayer[16][17] und den Lehrer Reinhold Stieber.[16][17]
Auf Initiative des Kultus- und des Innenministeriums sowie des Landesamtes für Archäologie von Sachsen-Anhalt wurde Kontakt zu den Hehlern, die die Scheibe für 700.000 DM auf dem Schwarzmarkt angeboten hatten, aufgenommen. Der Landesarchäologe Harald Meller traf sich am 23. Februar 2002 als vermeintlicher Kaufinteressent mit ihnen in einem Hotel in Basel. Dort stellte die Schweizer Polizei die Himmelsscheibe sicher. Die Hehler wurden verhaftet. Auch die Begleitfunde wurden gesichert.
Auch die Raubgräber wurden gefasst. Sie machten Angaben zum Fundort, die durch kriminaltechnische Untersuchungen bestätigt wurden.
Der Wert der Himmelsscheibe ist unschätzbar. Der Versicherungswert der Himmelsscheibe lag 2006 bei 100 Millionen Euro.
Die Raubgräber Westphal und Renner wurden im September 2003 in Naumburg (Saale) zu 4 und 9 Monaten Haft (jeweils auf Bewährung) verurteilt.[17]
Burri-Bayer und Stieber wurden im September 2003 von einem Schöffengericht am Amtsgericht Naumburg (Saale) wegen Hehlerei zu 12 und 6 Monaten Haft (jeweils auf Bewährung) verurteilt.[17] Als Bewährungsauflage hatte Burri-Bayer 5000 € zu zahlen und Stieber 150 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten.[17] Burri-Bayer und Stieber kündigten an, Berufung einzulegen.[17] Die Berufung wurde im September 2005 von einer kleinen Strafkammer am Landgericht Halle verworfen.[16] Burri-Bayer und Stieber kündigten an, Revision einzulegen.[16]
Durch die unsachgemäße Ausgrabung wurde die Himmelsscheibe teilweise beschädigt. Im oberen linken Bereich wurde eine Kerbe geschlagen, wodurch sich einer der Sterne ablöste. Aus dem Vollmond wurde ein Teil des Goldes herausgerissen. Durch die lange Lagerung im Erdreich war die gesamte Scheibe stark korrodiert, auch auf den Goldblechen hafteten – vermutlich durch galvanische Effekte – Korrosionen, die sich mechanisch nicht gefahrlos entfernen ließen.
Der erste Hehler hatte versucht, die Scheibe durch Einweichen in Seifenlauge und anschließenden Gebrauch von Zahnbürste und Stahlwolle zu reinigen. Damit wurde die Oberfläche der Goldapplikationen zerkratzt.
Im ersten Schritt der Restaurierung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle wurden die Erdanhaftungen – nachdem Teile als Proben zur weiteren Untersuchung gesichert worden waren – mit einer Ethanol-Wasser-Mischung eingeweicht und mit einem harten Nylonpinsel abgenommen.
Danach wurden am Gold anhaftende Korrosionsspuren durch eine chemisch wirksame Paste gelöst. Diese wurden mit Wattestäbchen entfernt. Die Korrosionsspuren an der Bronzeplatte wurden belassen.
Schließlich wurde der bei der Ausgrabung abgeschlagene Stern wieder angebracht und das herausgerissene, stark verformte Stück des Vollmonds durch ein neu angefertigtes Goldblech gleicher Zusammensetzung ersetzt.
Die Himmelsscheibe war vom 15. Oktober 2004 bis zum 22. Mai 2005 in der Ausstellung Der geschmiedete Himmel mit rund 1.600 weiteren bronzezeitlichen Fundstücken aus 18 Ländern, darunter dem Sonnenwagen von Trundholm (aus dem Nationalmuseum Kopenhagen), im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle zu besichtigen. Im Gegenzug wurde die Ausstellung vom 1. Juli bis 22. Oktober 2005 in Kopenhagen gezeigt. Vom 9. November 2005 bis zum 5. Februar 2006 wurde die Himmelsscheibe von Nebra im Naturhistorischen Museum in Wien gezeigt, vom 10. März bis zum 16. Juli 2006 war sie in den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim zu sehen. Nächste Station war das Historische Museum Basel, wo die Ausstellung Der geschmiedete Himmel – Religion und Astronomie vor 3600 Jahren vom 29. September 2006 bis zum 25. Februar 2007 zu sehen war.
Am 20. Juni 2007 wurde in der Nähe des Fundortes bei Nebra das multimediale Besucherzentrum Arche Nebra als Station der Tourismusroute „Himmelswege“ eröffnet. Die Himmelsscheibe von Nebra ist seit dem 23. Mai 2008 in der Dauerausstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle (Saale) zu sehen.
Daneben gab es Ausstellungen mit Nachbildungen der Himmelsscheibe: Vom 7. Juli bis zum 21. Oktober 2007 war eine Kopie im Neanderthal Museum in Mettmann zu betrachten. Vom 28. Oktober 2007 bis 17. Februar 2008 fand eine Ausstellung zur Himmelsscheibe in der Norishalle Nürnberg statt. Zu sehen war dabei eine Reproduktion der Sonnenscheibe in dem Zustand, wie sie von den Raubgräbern aufgespürt wurde. Vom 15. Juni bis 21. September 2008 fand eine Ausstellung zur Himmelsscheibe und zu Kult und Mythen der Bronzezeit an der Ostsee im Pommerschen Landesmuseum in Greifswald statt. Vom 11. Februar bis zum 13. Juni 2010 gab es eine Ausstellung im Museum Viadrina in Frankfurt (Oder). Vom 20. November 2010 bis zum 10. April 2011 war die Wanderausstellung Ein Himmel auf Erden – Das Geheimnis der Himmelsscheibe von Nebra im Museum und Park Kalkriese zu sehen.
Ausgelöst durch den Fund der Himmelsscheibe förderte die Deutsche Forschungsgemeinschaft von 2004 bis 2010 eine Forschergruppe zur kulturgeschichtlichen Neubewertung der Frühbronzezeit Mitteldeutschlands (FOR 550: Der Aufbruch zu neuen Horizonten. Die Funde von Nebra, Sachsen-Anhalt, und ihre Bedeutung für die Bronzezeit Europas).
Sechs Jahre lang untersuchte man 24 frühbronzezeitliche Bauten. Neben dem Fundort der Himmelsscheibe auf dem Mittelberg gehören dazu zwölf Kreisgrabenanlagen in Sachsen-Anhalt, unter anderem in Egeln, Belleben und Bad Dürrenberg (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg).
Zudem erforschten die Archäologen der Universität Jena zwölf vor 4000 bis 3500 Jahren auf Anhöhen errichtete befestigte Siedlungen in Sachsen-Anhalt. Die politische, religiöse oder wirtschaftliche Bedeutung dieser Höhensiedlungen sind derzeit Gegenstand intensiver Forschung.
Weitere Schwerpunkte sind die Grundlagen der frühbronzezeitlichen Metallverarbeitung, die Herkunft der Rohstoffe und damit verbundene weiträumige Kultur- und Handelsbeziehungen.[18]
Gerichte befassten sich im Hinblick auf den Markenschutz mit der Scheibe. Nachdem sie am 25. September 2002 der Öffentlichkeit auf einer Pressekonferenz vorgestellt wurde, meldete am 27. September 2002 eine Privatperson zwei Wort-Bildmarken, die die „Himmelsscheibe“ in stilisierter Form nebst beschreibenden Schriftzügen (unter anderem „Himmelsscheibe von Nebra“) enthalten, beim Deutschen Patent- und Markenamt an. Nachdem danach auch das Land Sachsen-Anhalt eine Markenanmeldung der „Himmelsscheibe von Nebra“ vornahm, wurde es von der Privatperson unter Aufforderung, die Anmeldung zurückzunehmen, der Geltendmachung von Unterlassungs- und Androhung von Schadensersatzansprüchen, abgemahnt. Das Land klagte seinerseits auf Löschung der eingetragenen Marken.[19] Die Berufung beim OLG Naumburg wurde zurückgenommen. Das Land war durch § 12 Abs. 1 Denkmalschutzgesetz SA Eigentümer der Scheibe geworden; diesem stand damit das Recht nach § 71 UrhG, also ein nachgelassenes Werk erstmals zu veröffentlichen, zu. Dieses Recht ging dem Recht der Privatperson aus der eingetragenen Marke vor und begründete ein Recht zur Löschung der Marke zu Gunsten des Landes (§ 13 MarkenG).
In einem bislang – für archäologische Fundstücke vergleichbarer Bedeutung – einmaligen Vorgang gab es Zivilprozesse über die Verwertungsrechte der Himmelsscheibe von Nebra. Hierbei standen in zwei Verfahren Verlage dem Land Sachsen-Anhalt gegenüber. Das Land als Eigentümer der Scheibe hat mehrere Bild-/Wortmarken angemeldet und beruft sich auf ein Leistungsschutzrecht aus der erstmaligen Veröffentlichung eines nachgelassenen Werkes, der „editio princeps“. Aus diesen Rechten beansprucht das Land Abbildungen der Scheibe zu kontrollieren und Lizenzgebühren für Verwendungen geltend zu machen.
Das Landgericht Magdeburg entschied im April 2005, dass dem Land Sachsen-Anhalt die beanspruchten Rechte zustehen: Als Eigentümer der Himmelsscheibe stehe ihm das Recht zur Veröffentlichung zu, aus der vermuteten kultischen Nutzung vor 3600 Jahren in Form der Präsentation der Scheibe auf Prozessionen sei nicht abzuleiten, dass sie damals im Sinne des Urheberrechtes bereits „erschienen“ sei und alle Rechte abgelaufen wären.[20] Aufgrund einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom August 2005 und des Bundesgerichtshofs von 2009 ist diese Gerichtsentscheidung mittlerweile als überholt zu betrachten. In drei Beschlüssen[21] gab das Deutsche Patent- und Markenamt (Dienststelle Jena) im September 2009 einem Augsburger Goldschmiedemeister recht, der die Löschung der Himmelsscheiben-Marken beantragt hatte. Das Land Sachsen-Anhalt legte Beschwerde gegen diese Entscheidung ein, verzichtete in der Folge jedoch auf die Marken. Stattdessen meldete Sachsen-Anhalt im Oktober inhaltlich gleiche Marken (009533423, 009763392 und 009763475) beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) an.[22]
Die Himmelsscheibe von Nebra wurde mit der Ausgabe einer silbernen Gedenkmünze von 10 € und eines Sonder-Postwertzeichens à 55 Cent durch die Bundesrepublik Deutschland gewürdigt. Ausgabetag war der 9. Oktober 2008.
Im Juni 2013 wurde die Himmelsscheibe durch die UNESCO in das „Weltdokumentenerbe“ aufgenommen.[23][24] Die Urkunde der Anerkennung als Dokumentenerbe wurde dem Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle am 30. September 2013 durch den Leiter der deutschen UNESCO-Kommission Walter Hirche übergeben und die Anerkennung damit offiziell.[25]
Die Himmelsscheibe von Nebra stellt in mehrfacher Hinsicht ein Objekt dar, das nur mit einem Fürsten in Verbindung gebracht werden kann. Zum einen bildet sie exklusives astronomisches Wissen ab, das ihrem Besitzer half, über Kalenderbestimmungen seine soziale Stellung zu festigen. Weiterhin war die Kombination von Bronze und Gold nur den oberen Schichten der Aunjetitzer Kultur vorbehalten. Auch die Herkunft der Materialien (Kupfer aus den Alpen, Zinn und Gold aus Cornwall) sprechen für einen sehr einflussreichen Auftraggeber bzw. Hersteller mit weitreichenden Handelsbeziehungen. Im Gegensatz zu ihrer Deponierung um 1600 v. Chr. lässt sich der Zeitpunkt ihrer Herstellung bislang nur recht unsicher fassen. Nach Harald Meller dürfte sie etwa 100–200 Jahre in Gebrauch gewesen sein. Ihre Herstellung wäre somit im 17. oder 18. Jahrhundert v. Chr. zu verorten.[26]
Als möglicher „Herr der Himmelsscheibe“ kommt der Bestattete im Grabhügel Bornhöck bei Raßnitz in Frage. Dieser einst landschaftsprägende Hügel war im 19. Jahrhundert abgetragen worden. Im Jahr 2010 wurden jedoch auf einem Luftbild unterirdisch erhaltene Reste entdeckt, die zwischen 2014 und 2017 archäologisch untersucht wurden. Bereits die Größe des Hügels mit einem bronzezeitlichen Durchmesser von 65 m spricht für eine überregional herausragende Stellung des Bestatteten. Dank organischer Funde konnte die Entstehungszeit des Hügels mittels Radiocarbonmethode auf etwa 1800 v. Chr. datiert werden.[27] Somit fällt seine Errichtung etwa in die gleiche Zeit wie die Herstellung der Himmelsscheibe. Weitreichende Handelskontakte des Bestatteten sind bspw. durch ein Brotlaibidol belegt, das typisch für die Kulturen Südosteuropas ist.[28] Es scheint daher plausibel, den im Bornhöck bestatteten Fürsten als möglichen Auftraggeber oder sogar Hersteller der Himmelsscheibe in Betracht zu ziehen.[29]
Die Gegend um den Bornhöck war ein wirtschaftliches und kulturelles Zentrum der Aunjetitzer Kultur. Mit dem Grabhügel von Dieskau und dem Hallberg bei Osmünde sind hier noch zwei weitere bedeutende Grabanlagen belegt. Auch mehrere äußerst wertvolle und umfangreiche Hortfunde stammen von hier, bspw. das Depot von Bennewitz und die Depots I, II und III von Dieskau.[30][31]
Eine allgemeinverständliche Einführung zur Bronzescheibe und Versuche zu ihrer Einbindung in bronzezeitliche Kontexte bietet der Begleitband zu den Ausstellungen in Halle, Mannheim und Basel:
Dokumentationen und Vorträge
Presseartikel