Eine stereografische Projektion (auch konforme azimutale Projektion) ist eine Abbildung einer Kugelfläche in eine Ebene mit Hilfe einer Zentralprojektion, deren Projektionszentrum (PZ) auf der Kugel liegt. Die das Projektionszentrum und den Kugelmittelpunkt enthaltende Gerade ist orthogonal zur Bildebene, die traditionell die dem Projektionszentrum gegenüberliegende Tangentialebene ist.[1]
Die stereografische Projektion wurde zuerst bei der Abbildung der Himmelskugel auf dem Astrolabium angewendet. Entdeckt wurde sie bereits in der Antike, vermutlich von Hipparchos um 130 v. Chr. Ausführlich und mit geometrischem Beweis dafür, dass Kreise der Kugeloberfläche in Kreise der Bildebene übergehen (Kreistreue), ist sie in der kleinen Abhandlung Planisphaerium des Ptolemäos (ca. 85–160) dargelegt. Die Idee, die Kreis- und die Winkeltreue dieser Abbildung auch für kartografische Abbildungen der Erdoberfläche zu nutzen, hatte erstmals der Nürnberger Astronom und Mathematiker Johannes Werner (1468–1528).[1] Sie hat allerdings den Nachteil merklicher Flächenverzerrungen an den Kartenrändern.
In der Kristallografie findet die stereografische Projektion praktische Anwendung in der Darstellung der Gitterebenen eines Kristalls (üblicherweise winkeltreu mittels des sogenannten Wulff’schen Netzes)[2] und in der Strukturgeologie bei der Darstellung von Geländedaten wie des Streichens und Fallens von Schicht-, Schieferungs-, Verwerfungs- und Kluftflächen (üblicherweise flächentreu mittels des sogenannten Schmidt’schen Netzes).[3]
In der reinen Mathematik hat die stereografische Projektion eine erweiterte, abstraktere Bedeutung. Sie wird auch für höherdimensionale Räume, also nicht nur zur Abbildung aus dem dreidimensionalen in den zweidimensionalen Raum, benutzt.[4][5]
Das Astrolabium in Bild 1 enthält den nördlichen Himmel. Die projizierten Sterne (inklusive Tierkreis) befinden sich auf der um das Bild des nördlichen Himmelspols (Polarstern) drehbaren Rete. Auf der festen Unterlage (Tympanon) ist die sogenannte Safiha eingraviert, die aus den Abbildern der zum Zenit konzentrischen, horizontparallelen Höhenkreise (Almukantarate), des Horizonts (Abbild: eine konkave Linie) und der dazu rechtwinkligen Azimutkreise besteht.
Eine der in Bild 2 abgebildeten drehbaren Planisphere ähnliche Sternkarte ist das prinzipiell gleich funktionierende und nützliche, aber preiswertere Folgeprodukt des Astrolabiums.[6] Der unterbrochene Kreisbogen ist die Ekliptik, ein Stück eines in der Abbildung zum Polbild exzentrischen Kreises.
Die leichte zeichnerische Herstellbarkeit (nur Kreise und Geraden für Kreise auf der Erdoberfläche) und die Winkeltreue wurden bereits im Altertum auch für Karten und für die Navigation genutzt. Wird der Berührungspunkt der Abbildungsebene zum Beispiel in eine Hafenstadt gelegt, so sind die kürzesten Wege zu Zielen in allen Richtungen als Geraden abgebildet.
Bei der polaren stereografischen Projektion (der Berührpunkt der Abbildungsebene liegt im Nord- oder Südpol) werden die Meridiane des geografischen Koordinatensystems der Erde als Geraden durch den Erdpol abgebildet (siehe Bild 3). Die Navigationselemente geografische Länge und geografische Breite werden daher durch diese Projektionsart für Navigationszwecke an den Polen anschaulich wiedergegeben. Die Abbildung der Polarregionen als Teile der modernen internationalen Weltkarte erfolgt ebenfalls über die stereografische Projektion.
In der Geophysik werden Karten über die Verteilung von Kräften oder Linienstrukturen auf der Erdkugel auf einem stereografischen Netzentwurf aufgebaut.
Für die Objektpunkte werden sphärische (
Ein Objektpunkt
Für die Winkel
Der Abstand
Während die Länge des Bogens auf der Kugel vom Berührungspunkt zum Breitenkreis linear zunimmt, vergrößert sich der Radius
Wegen des stark progressiven Wachsens der Verzerrung (unendlich groß bei
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Will man die nördliche Halbkugel stereografisch abbilden, so ergeben sich die Zuordnungen:
Auf diese Weise erscheinen die Breitengrade in der Projektionsebene als konzentrische Kreise um den Berührungspunkt (= Nordpol) und die Längengrade als Ursprungshalbgeraden.
Für die südliche Halbkugel gilt:
Gegeben sei eine beliebige Kurve
Die Strahlen aus dem Projektionszentrum PZ (Abb.) an den Urkreis K (Durchmesserpunkte 1 und 2) bilden einen schiefen Kreiskegel, dessen zu K paralleler Schnitt K’ kreisförmig ist. Die Projektionsebene K’’ schneidet die Kegelachse gleich schräg wie der Schnitt K’, weshalb die in ihr liegende Schnittfigur ebenfalls ein Kreis (Punkte 1’’ und 2’’) ist.
Wichtig: Die Kreistreue gilt generell nur für die Kreislinie. Der Mittelpunkt des Objektkreises wird z. B. nicht als Mittelpunkt des Bildkreises abgebildet. Hiervon sind nur die Fälle, bei denen der Kreiskegel gerade ist, ausgenommen.
Weitere Besonderheiten der stereografischen Projektion sind:
Eine stereografische Projektion lässt sich auch als Spiegelung an einer Kugel (Inversion) interpretieren. Aus den Eigenschaften einer Inversion folgen dann sofort die Kreistreue und Winkeltreue.
Die oben beschriebene Projektion ist der Spezialfall der allgemeinen stereografischen Projektion: Im dreidimensionalen Raum
Es ist jedoch auch möglich, das Urbild dieser Funktion so zu wählen, dass sein Äquator die Projektions-Hyperebene schneidet:
Diese Abbildung ist für den Punkt
Ändert man das Urbild der stereografischen Projektion auf diese Weise, so erhält man durch die beiden Abbildungen
Exemplarisch wird hier die stereografische Projektion durch den Nordpol hergeleitet. Für die Projektion durch den Südpol kann die gleiche Herleitung verwendet werden. Die stereografische Projektion durch den Nordpol soll einen Punkt
Diese Gerade kann durch
parametrisiert werden. Diese Gerade schneidet die Ebene
Daraus folgt, dass die Koordinaten des Schnittpunktes von
gegeben sind. Betrachtet man nun die Ebene
Zu den stereografischen Projektionen durch Nord- bzw. Südpol existieren die durch
beschriebenen stetigen Umkehrfunktionen. Daher sind
Sei
Das Bild der Punkte der Ebene durch
Dies ist eine Sphärengleichung. Daher bildet
Die stereografische Projektion kann unter anderem zur Kompaktifizierung der komplexen Zahlenebene
Die Abbildung
fortgesetzt. Man nennt nun
Dieselbe Topologie wird durch die durch
definierte chordale Metrik
Quellen für die mathematischen Erläuterungen: