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[[Datei:Beta-minus Decay.svg|mini|β<sup>−</sup>-Strahlung (Protonen rot, Neutronen blau)]][[Datei:Beta-plus Decay.svg|mini|β<sup>+</sup>-Strahlung]] | [[Datei:Beta-minus Decay.svg|mini|β<sup>−</sup>-Strahlung (Protonen rot, Neutronen blau)]][[Datei:Beta-plus Decay.svg|mini|β<sup>+</sup>-Strahlung]] | ||
'''Betastrahlung''' oder '''β-Strahlung''' ist eine [[ionisierende Strahlung]], die bei einem [[Radioaktivität|radioaktiven Zerfall]], dem '''Betazerfall''' oder '''Betaübergang''', auftritt. Der Atomkern eines '''Betastrahlers''' wandelt sich dabei in einen Atomkern eines anderen [[Chemisches Element|chemischen Elements]] um. Bei einem β<sup>−</sup>-Zerfall (gesprochen: Beta-Minus) ist dies das Element mit der nächsthöheren [[Ordnungszahl]], bei einem β<sup>+</sup>-Zerfall (gesprochen: Beta-Plus) das mit der nächstniedrigeren. Der strahlende Atomkern heißt Mutternuklid, der entstehende [[Tochternuklid]]. | |||
'''Betastrahlung''' oder '''β-Strahlung''' ist eine [[ionisierende Strahlung]], die bei einem [[Radioaktivität|radioaktiven Zerfall]], dem '''Betazerfall''', auftritt. | |||
Der | |||
Betastrahlung ist eine [[Teilchenstrahlung]] und besteht aus sogenannten '''Betateilchen'''. Bei der β<sup>−</sup>-Strahlung sind dies negativ geladene [[Elektron]]en, bei der β<sup>+</sup>-Strahlung positiv geladene [[Positron]]en. Neben dem Betateilchen wird bei einem β<sup>−</sup>-Zerfall ein [[Elektron-Antineutrino]] und bei einem β<sup>+</sup>-Zerfall ein [[Elektron-Neutrino]] freigesetzt. Diese Teilchen können im Regelfall nicht detektiert werden und werden auch nicht zur Betastrahlung gezählt. Zusätzlich wird bei jedem Betazerfall niederenergetische [[elektromagnetische Strahlung]] freigesetzt.<ref>{{Literatur|Autor= John David Jackson|Titel= Klassische Elektrodynamik|Verlag= de Gruyter|Auflage= 3|Ort= Berlin • New York|Datum= 2002|Seiten= 843-850}}</ref> | |||
Die [[kinetische Energie]] der emittierten Betateilchen kann, im Gegensatz zur [[Alphastrahlung]], von nahezu Null bis zu einer maximalen Energie jeden beliebigen Wert annehmen. Die typische maximale Energie von Betastrahlung liegt in der Größenordnung von hunderten [[Elektronenvolt|Kiloelektronenvolt]] bis wenigen Megaelektronenvolt und hängt vom konkreten Zerfall ab. | |||
Der Name stammt von der ersten Einteilung der ionisierenden Strahlen aus radioaktivem Zerfall in Alphastrahlen, Betastrahlen und [[Gammastrahlung|Gammastrahlen]], die in dieser Reihenfolge steigende Durchdringungsfähigkeit von Materie zeigen. | |||
== Entstehung == | == Entstehung == | ||
[[Datei:BetaDecay.svg| | [[Datei:BetaDecay.svg|mini|hochkant=1.3|[[Feynmandiagramm]] für den Zerfall eines [[Neutron]]s ''n'' in [[Proton]] ''p'', Elektron ''e''<sup>−</sup> und [[Neutrino|Elektron-Antineutrino]] <math>\overline\nu_e</math> vermittelt über ein [[W-Boson]] ''W''<sup>−</sup>.]] | ||
=== Beta-Zerfall von Atomkernen === | === Beta-Zerfall von Atomkernen === | ||
Der Betazerfall ist | Der Betazerfall ist Typ des radioaktiven Zerfalls von [[Atomkern]]en. Bei einem β<sup>−</sup>-Zerfall wandelt sich im Atomkern ein neutrales [[Neutron]] in ein positiv geladenes [[Proton]] um. Entsprechend der [[Ladungserhaltung]] entsteht bei diesem Prozess ein negativ geladenes Elektron und entsprechend der [[Leptonenzahlerhaltung]] zusätzlich ein Elektron-Antineutrino. Beim β<sup>+</sup>-Zerfall wandelt sich ein Proton in ein Neutron um und es entstehen ein [[Positron]] und ein Elektron-Neutrino. Bei beiden Zerfallsvorgängen wandelt sich der Kern in einen Atomkern mit derselben [[Massenzahl]], aber um Eins geänderter [[Ordnungszahl]] um. Der entstehende Kern (Tochterkern) ist nahezu gleich schwer wie der Mutterkern, denn Proton und Neutron haben ähnliche Massen und auch der [[Massendefekt]] beider Kerne ist ähnlich. Der Tochterkern gehört aber zu einem anderen chemischen Element. Solche Atomkerne nennt man [[Isobar (Kernphysik)|Isobare]]. | ||
Ein Betazerfall ist möglich, wenn die [[Atommasse]] des Mutternuklids größer ist als die Summe aus der Atommasse des Tochternuklids und der Masse des Betateilchens, da dann die Differenz der Massen nach Einsteins [[Äquivalenz von Masse und Energie]] als kinetische Energie der Teilchen freigesetzt werden kann. Wenn die Isobare in beide Richtungen des Periodensystems leichter sind, dann kann ein Teilchen sowohl β<sup>−</sup> als auch β<sup>+</sup> zerfallen. Dies tritt zum Beispiel bei [[Kalium]]-40 auf, das sowohl zu [[Calcium]]-40 als auch zu [[Argon]]-40 zerfallen kann. Wegen der Erhaltung von Energie und Impuls (siehe [[Kinematik (Teilchenprozesse)]]) erhalten das leichte Betateilchen und das fast masselose (Anti-)Neutrino den weitaus größten Teil der Energie. Beim schweren Tochterkern verbleibt nur ein sehr kleiner Anteil von einigen eV. | |||
In der Anfangszeit der Kernphysik führte die Beobachtung von Beta-Elektronen vorübergehend zu dem Fehlschluss, Elektronen seien Bestandteile des Atomkerns.<ref>siehe z. B. Max Planck: ''Das Weltbild der neuen Physik.'' Leipzig: Barth, 1929, S. 17/18.</ref> Nach heutigem Wissen werden jedoch die beiden emittierten Teilchen erst zum Zeitpunkt der Kernumwandlung erzeugt. | |||
Die Theorie beschreibt den Beta-Zerfall als Prozess der [[Schwache Wechselwirkung|schwachen Wechselwirkung]]. Beim β<sup>−</sup>-Zerfall wandelt sich auf der Ebene der [[Elementarteilchen]] eines der [[Quark (Physik)|d-Quarks]] des Neutrons (<math>|n\rangle = |udd\rangle</math>) durch Schwache Wechselwirkung in ein u-Quark und ein [[W-Boson|W<sup>−</sup>-Boson]] um. Das Neutron wird dadurch zum Proton (<math>|p \rangle = |uud\rangle</math>), während das W-Boson seinerseits durch Schwache Wechselwirkung in ein Elektron und ein Antineutrino zerfällt. Beim β<sup>+</sup>-Zerfall wird umgekehrt eines der u-Quarks eines Protons mittels eines W<sup>+</sup>-Bosons in ein d-Quark umgewandelt. | |||
[[Datei:Nuklidkarte Banane.png|mini|300px|[[Nuklidkarte]] mit radioaktiven Zerfallsarten:<br />schwarz = stabil,<br />'''rosa = [[Betastrahlung#Beta-Minus-Zerfall (β−)|β−-Zerfall]] wegen [[Neutron]]enüberschusses''',<br />'''blau = [[Betastrahlung#Beta-Plus-Zerfall_(β+)|EC- oder β+-Zerfall]] wegen [[Proton]]enüberschusses'''<ref>Bei '''p'''rotonenreichen [[Betastrahlung#Beta-Plus-Zerfall (β+)|Nukliden Beta-'''P'''lus-Zerfall]] (β<sup>+</sup>). [[Eselsbrücke]]: '''p'''rotonenreiche Kerne = '''P'''lus-Zerfall; beides beginnt mit '''p''', ebenso das [[Positron|'''P'''ositron]], das emittiert wird. β-'''Plus''' → '''P'''rotonenüber'''schuss''', d. h. Proton wandelt sich zu Neutron</ref>,<br />gelb = [[Alpha-Zerfall]]]] | |||
==== Beta-Minus-Zerfall (β<sup>−</sup>) ==== | Dass Beta-Minus-Strahlen tatsächlich dieselbe Teilchenart sind wie die Elektronen der Atomhülle, zeigt sich in ihrer Wechselwirkung mit Materie. Das [[Pauli-Prinzip]], das nur für identische Teilchen gilt, verhindert, dass das Elektron nach dem Abbremsen in bereits besetzte Zustände eines neutralen Atoms eingefangen wird. Mit Beta-Minus-Strahlen ist dieser Einfang tatsächlich nie beobachtet worden, während für andere negativ geladene Teilchen, beispielsweise [[Myon]]en, dieser Einfang nicht verboten ist und auch beobachtet wird.<ref name="Goldhaber">{{Literatur |Autor=[[Maurice Goldhaber]], [[Gertrude Scharff-Goldhaber]] |Titel=Identification of beta-rays with atomic electrons |Sammelwerk=[[Physical Review]] |Band=Volume 73 |Nummer=12 |Datum=1948 |Seiten=1472–1473 |DOI=10.1103/PhysRev.73.1472}}</ref> | ||
==== {{Anker|Beta-Minus-Zerfall}}Beta-Minus-Zerfall (β<sup>−</sup>) ==== | |||
[[Nuklid]]e mit einem Überschuss an [[Neutron]]en zerfallen über den β<sup>−</sup>-Prozess. Ein Neutron des Kerns wandelt sich in ein [[Proton]] um und sendet dabei ein Elektron (<math>\mathrm{e}^{-}</math>) sowie ein [[Elektron-Antineutrino]] (<math> \overline{\nu}_e</math>) aus. Elektron und Antineutrino verlassen den Atomkern, da sie Leptonen sind und nicht der [[Starke Wechselwirkung|starken Wechselwirkung]] unterliegen. Da sich nach dem Zerfallsprozess ein Neutron weniger, aber ein Proton mehr im Kern befindet, bleibt die [[Massenzahl]] <math>A</math> unverändert, während sich die [[Kernladungszahl]] <math>Z</math> um 1 erhöht. Das Element geht also in seinen Nachfolger im [[Periodensystem]] über. | [[Nuklid]]e mit einem Überschuss an [[Neutron]]en zerfallen über den β<sup>−</sup>-Prozess. Ein Neutron des Kerns wandelt sich in ein [[Proton]] um und sendet dabei ein Elektron (<math>\mathrm{e}^{-}</math>) sowie ein [[Elektron-Antineutrino]] (<math> \overline{\nu}_e</math>) aus. Elektron und Antineutrino verlassen den Atomkern, da sie Leptonen sind und nicht der [[Starke Wechselwirkung|starken Wechselwirkung]] unterliegen. Da sich nach dem Zerfallsprozess ein Neutron weniger, aber ein Proton mehr im Kern befindet, bleibt die [[Massenzahl]] <math>A</math> unverändert, während sich die [[Kernladungszahl]] <math>Z</math> um 1 erhöht. Das Element geht also in seinen Nachfolger im [[Periodensystem]] über. | ||
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:<math>{}^{198}_{\ 79} \mathrm {Au} \to {}^{198}_{\ 80} \mathrm {Hg} + \mathrm{e}^{-}+ \overline{\nu}_e </math> | :<math>{}^{198}_{\ 79} \mathrm {Au} \to {}^{198}_{\ 80} \mathrm {Hg} + \mathrm{e}^{-}+ \overline{\nu}_e </math> | ||
==== Beta-Plus-Zerfall (β<sup>+</sup>) ==== | Die meist hohe Energie des erzeugten Elektrons verhindert einen sofortigen Einfang in einen der hoch liegenden freien Zustände desselben Atoms. Besonders bei hochgeladenen schweren Ionen kann jedoch direkt ein Übergang in einen solchen gebundenen Zustand stattfinden, dieser Prozess wird gebundener Betazerfall genannt<ref>{{Literatur |Autor=F Bosch, D R Atanasov, C Brandau, I Dillmann, C Dimopoulou |Titel=Beta decay of highly charged ions |Sammelwerk=Physica Scripta |Band=T156 |Datum= |Online=http://stacks.iop.org/1402-4896/2013/i=T156/a=014025?key=crossref.7fd9adbb29e3464e6635875259e59770 |DOI=10.1088/0031-8949/2013/t156/014025}}</ref>. | ||
Der β<sup>+</sup>-Zerfall tritt bei protonenreichen Nukliden auf. Hierbei wird ein Proton des Kerns in ein Neutron umgewandelt. Dabei | |||
Die Umwandlungs- bzw. Zerfallsenergie ist: | |||
:<math>E_0=(m(Z, A) - m(Z+1, A)) \cdot c^2</math> | |||
In der Literatur zur Betazerfallsspektroskopie wurde dieser Zerfall früher auch Negatronenzerfall genannt („Negatron“ für Elektron).<ref>Mayer-Kuckuck, Kernphysik, Teubner, 1979, S. 294</ref> | |||
==== {{Anker|Beta-Plus-Zerfall}}Beta-Plus-Zerfall (β<sup>+</sup>) ==== | |||
Der β<sup>+</sup>-Zerfall tritt bei protonenreichen Nukliden auf. Hierbei wird ein Proton des Kerns in ein Neutron umgewandelt. Dabei wird zusammen mit einem Positron (Positronenstrahlung) ein Elektron-Neutrino ausgesendet. Wie beim β<sup>−</sup>-Zerfall bleibt die Massenzahl unverändert, jedoch verringert sich die Kernladungszahl um 1, das Element geht also in seinen Vorgänger im Periodensystem über. | |||
Die Umwandlung des Protons in ein Neutron lautet als Formel: | Die Umwandlung des Protons in ein Neutron lautet als Formel: | ||
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Mit den gleichen Bezeichnungen wie oben lässt sich der allgemeine β<sup>+</sup>-Zerfall beschreiben als: | Mit den gleichen Bezeichnungen wie oben lässt sich der allgemeine β<sup>+</sup>-Zerfall beschreiben als: | ||
:<math>{}^{A}_{Z} \mathrm {X} \to {}^{A}_{Z-1} \mathrm {Y} + \mathrm{e}^{+} + \nu_e</math> | :<math>{}^{A}_{Z} \mathrm {X} \to {}^{A}_{Z-1} \mathrm {Y} + \mathrm{e}^{+} + \nu_e</math> | ||
Der Beta-Plus-Zerfall kann nur auftreten, wenn die Umwandlungsenergie des Übergangs <math>{}^{A}_{Z} \mathrm {X} \to {}^{A}_{Z-1} \mathrm {Y}</math> mindestens 1022 keV<ref>H. Krieger, W. Petzold: ''Strahlenphysik, Dosimetrie und Strahlenschutz''. Band 1. 3. Auflage, Teubner 1992, ISBN 978-3-519-23052-6, Seite 63</ref> beträgt. Dies ist die doppelte [[Ruheenergie]] eines Elektrons oder Positrons, denn das Positron muss erzeugt werden, und außerdem ist die Umwandlungsenergie als Massendifferenz zwischen Ausgangsatom (Ordnungszahl Z) und Endatom (Ordnungszahl Z-1) definiert, die jeweils als neutral angenommen werden; das Endatom hat ein Elektron weniger als das Ausgangsatom.<ref>Mayer-Kuckuck, Kernphysik, Teubner 1979, S. 294</ref> Die Umwandlungs- bzw. Zerfallsenergie ist: | |||
:<math>E_0=(m (Z, A) - m (Z-1, A) - 2 m_e) \cdot c^2</math> | |||
mit <math>m_e</math> der Elektronenmasse. | |||
Das am häufigsten vorkommende [[Primordiales Nuklid|primordiale Nuklid]], bei dem (unter anderem) β<sup>+</sup>-Zerfall auftritt, ist Kalium-40 ([[Kalium|<sup>40</sup>K]]), allerdings ist der Zerfall sehr selten. Hier lautet die Formel: | Das am häufigsten vorkommende [[Primordiales Nuklid|primordiale Nuklid]], bei dem (unter anderem) β<sup>+</sup>-Zerfall auftritt, ist Kalium-40 ([[Kalium|<sup>40</sup>K]]), allerdings ist der Zerfall sehr selten. Hier lautet die Formel: | ||
:<math>{}^{40}_{19} \mathrm {K} \to {}^{40}_{18} \mathrm {Ar} + \mathrm{e}^{+} + \nu_e </math> | :<math>{}^{40}_{19} \mathrm {K} \to {}^{40}_{18} \mathrm {Ar} + \mathrm{e}^{+} + \nu_e </math> | ||
=== Elektroneneinfang (ε) === | |||
Ein Konkurrenzprozess zum β<sup>+</sup>-Zerfall ist der [[Elektroneneinfang]] | Ein Konkurrenzprozess zum β<sup>+</sup>-Zerfall ist der [[Elektroneneinfang]] (auch ε-(Epsilon)Zerfall oder K-Einfang genannt). Er wird zu den Betazerfällen gezählt, obwohl keine Betastrahlung entsteht. Auch hier wandelt sich ein Proton des Kerns in ein Neutron um, während ein Elektron aus einer kernnahen Schale der [[Atomhülle]] vernichtet und ein Neutrino erzeugt und emittiert wird: | ||
:<math>{}^{A}_{Z} \mathrm {X} + \mathrm{e}^{-} \to {}^{A}_{Z-1} \mathrm {Y} \mathrm + \nu_e</math> | |||
Die in der Atomhülle entstehende „Lücke“ führt zur Emission eines charakteristischen Röntgenphotons oder zur Emission von [[Auger-Elektron]]en.<ref>Mayer-Kuckuck, Kernphysik 1979, S. 295</ref> | |||
Elektroneneinfang tritt bei jedem β<sup>+</sup>-Strahler als weiterer [[Zerfallskanal]] auf. Alleiniger Zerfallskanal ist er dann, wenn die Umwandlungsenergie des Übergangs <math>{}^{A}_{Z} \mathrm {X} \to {}^{A}_{Z-1} \mathrm {Y}</math> kleiner als 1022 keV ist. Der Elektroneneinfang erfordert keine Mindestenergie, es muss nur die Ruheenergie des Radionuklidatoms größer als die des Tochteratoms sein. | |||
Auch der Elektroneneinfang beweist, dass Hüllenelektronen und Beta-Elektronen dieselbe Teilchenart sind. | |||
Der Name K-Einfang kommt daher, dass meist ein Elektron aus der K-Schale eingefangen wird. | |||
=== Zerfall des freien Neutrons === | === Zerfall des freien Neutrons === | ||
Auch ein [[Neutron# | Auch ein [[Neutron#Freie Neutronen|freies Neutron]] unterliegt dem [[Neutron#β−- und β+-Zerfall von Atomkernen|Beta-Minus-Zerfall]]. Dabei wandelt es sich in ein Proton, ein [[Elektron-Antineutrino]] und ein Elektron um, das als Betastrahlung nachgewiesen werden kann: | ||
: <math>\hbox{n}\to\hbox{p}+\hbox{e}^-+\overline{\nu}_{\mathrm{e}}</math> | : <math>\hbox{n}\to\hbox{p}+\hbox{e}^-+\overline{\nu}_{\mathrm{e}}</math> | ||
Die [[Lebensdauer (Physik)|Lebensdauer]] für diesen Zerfall beträgt 880,3 ± 1,1 Sekunden,<ref name="rpp2014">K.A. Olive ''et al.'' (Particle Data Group), Chin. Phys. ''C38'', 090001 (2014): [http://pdg.lbl.gov/2014/tables/rpp2014-sum-baryons.pdf N Baryons Summary Table]</ref> das sind knapp 15 Minuten. Dies entspricht einer [[Halbwertszeit]] von rund 10 Minuten. In normaler Umgebung auf der Erde (z. B. in Luft) wird jedes frei werdende Neutron in viel kürzerer Zeit durch einen Atomkern eingefangen; deshalb spielt dieser Zerfall hier keine | Die [[Lebensdauer (Physik)|Lebensdauer]] für diesen Zerfall beträgt 880,3 ± 1,1 Sekunden,<ref name="rpp2014">K.A. Olive ''et al.'' (Particle Data Group), Chin. Phys. ''C38'', 090001 (2014): [http://pdg.lbl.gov/2014/tables/rpp2014-sum-baryons.pdf N Baryons Summary Table]</ref> das sind knapp 15 Minuten. Dies entspricht einer [[Halbwertszeit]] von rund 10 Minuten. In normaler Umgebung auf der Erde (z. B. in Luft) wird jedes frei werdende Neutron in viel kürzerer Zeit durch einen Atomkern eingefangen; deshalb spielt dieser Zerfall hier keine praktische Rolle. | ||
=== Inverser Betazerfall === | |||
Beim inversen Betazerfall (IBD, inverse beta decay) wird ein Proton durch Reaktion mit einem Neutrino in ein Neutron umgewandelt: <ref>[https://www.spektrum.de/lexikon/physik/inverser-betazerfall/7406 Spektrum Lexikon Physik, Inverser Betazerfall]</ref> | |||
:<math> {}^{1}_{1} \mathrm {p} + \overline{\nu}_e \to {}^{1}_{0} \mathrm {n} + \mathrm{e}^{+} </math> | |||
Mit diesem Prozess gelang 1959 der erste Neutrinonachweis ([[Cowan-Reines-Neutrinoexperiment]]) und in späteren Neutrinodetektoren (insbesondere bei Experimenten mit Neutrinos niedriger Energie wie bei Experimenten mit Reaktor- und Geoneutrinos, zu Neutrinooszillationen und für die Suche nach [[Steriles Neutrino|sterilen Neutrinos]]). Für diesen Prozess ist eine Mindestenergie des Antineutrinos von 1,806 MeV nötig. Das Positron führt in typischen Neutrinoexperimenten zur [[Annihilation]] mit einem Elektron, was zu einem Photon mit Energie <math>E_v = 511+ 511+ E_{\overline {\nu}_e} - 1806 = E_{\overline {\nu}_e} - 784</math> keV führt; das Neutron erzeugt, nach [[Moderator (Physik)|Moderation]] in z. B. Wasser, bei Einfang durch einen geeigneten Atomkern (wie [[Cadmium]]-113) verzögert zur Elektron-Positron-Annihilation eine Gammastrahlung charakteristischer Energie.<ref>[https://arxiv.org/abs/1003.0284 Borexino Collaboration: Observation of Geoneutrinos], Phys. Lett. B, Band 687, 2010, S. 299–304</ref> | |||
Als inverser Betazerfall wird aber auch der dem [[Elektroneneinfang]] entsprechende Reaktionsprozess bezeichnet:<ref>[https://www.spektrum.de/lexikon/astronomie/beta-zerfall/35 Andreas Müller, Betazerfall, Lexikon der Astronomie, Spektrum]</ref><ref>Sexl, Sexl, Weiße Zwerge- schwarze Löcher, Vieweg 1977, S. 55</ref> | |||
:<math> {}^{1}_{1} \mathrm {p} + \mathrm{e}^{-} \to {}^{1}_{0} \mathrm {n} + {\nu}_e </math> | |||
Er spielt eine Rolle in der Astrophysik bei Materie hoher Dichte (Neutronensterne, weiße Zwerge). | |||
== Energiespektrum == | == Energiespektrum == | ||
Die Energieverteilung | Die Energieverteilung von Beta-Strahlung ('''Beta-Spektrum''') ist im Gegensatz zu Alpha-Strahlung kontinuierlich, da sich die beim Zerfall frei werdende Energie nicht auf zwei, sondern auf drei Teilchen – Atomkern, Elektron/Positron sowie Antineutrino/Neutrino – verteilt. | ||
Unter Erhaltung des Gesamtimpulses sind dadurch die Energien der einzelnen Teilchen nicht festgelegt (siehe [[Kinematik (Teilchenprozesse)]]). | |||
[[Datei:Beta spectrum of RaE.png|mini| | [[Datei:Beta spectrum of RaE.png|mini|hochkant=1.8|'''Beta-Elektronenspektrum von <sup>210</sup>Bi:''' Aufgetragen ist (in willkürlichen Einheiten) die Anzahl Elektronen pro Energieintervall als Funktion der kinetischen Energie, mit der das Elektron das Atom verlassen hat. Diese ist infolge der elektrischen Anziehung etwas kleiner als die Energie, die das Elektron hätte, wenn der Kern ungeladen wäre (''Coulombverschiebung'').]] | ||
Die Abbildung zeigt ein einfaches gemessenes Elektronenspektrum. Komplexere Spektren treten auf, wenn Betaübergänge zu verschiedenen Energieniveaus des Tochterkerns sich überlagern. | Die Abbildung zeigt ein einfaches gemessenes Elektronenspektrum. Komplexere Spektren treten auf, wenn Betaübergänge zu verschiedenen Energieniveaus des Tochterkerns sich überlagern. | ||
|+ Beispiele | {| class="wikitable zebra" | ||
|+ Beispiele für Beta-Höchstenergien | |||
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| < | ! Isotop || Energie<br />([[Elektronenvolt|keV]])|| Zerfall || Bemerkungen | ||
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| freies [[Neutron]] | | freies<br />[[Neutron]] || {{0}}782,33 ||style="text-align:center;"| β<sup>−</sup> || | ||
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| <sup> | | <sup>{{0|00}}3</sup>H<br /><small>(Tritium)</small> || {{0|00}}18,59 || align="center"| β<sup>−</sup> || Zweitniedrigste bekannte β<sup>−</sup>-Höchstenergie, wird im Experiment [[KATRIN]] verwendet. | ||
|- | |- | ||
| <sup>{{0}}11</sup>C || {{0}}960,4<br />1982,4 ||style="text-align:center;"| β<sup>+</sup><br /><span style="font-size:larger;">ε{{0|<sup>+</sup>}}</span> || <!--beides möglich, sucht noch jemand die Übergangswahrscheinlichkeiten raus?--> | |||
|- | |- | ||
| <sup> | | [[Radiokarbonmethode|<sup>{{0}}14</sup>C]] || {{0}}156,475 ||style="text-align:center;"| β<sup>−</sup> || | ||
|- | |- | ||
| <sup>20</sup>F | | <sup>{{0}}20</sup>F || 5390,86 ||style="text-align:center;"| β<sup>−</sup> || | ||
|- | |- | ||
| <sup> | | <sup>{{0}}37</sup>K || 5125,48<br />6147,48 ||style="text-align:center;"| β<sup>+</sup><br /><span style="font-size:larger;">ε{{0|<sup>+</sup>}}</span> || <!--beides möglich, sucht noch jemand die Übergangswahrscheinlichkeiten raus?--> | ||
|- | |- | ||
| <sup>163</sup>Ho || {{0|000}}2,555 ||style="text-align:center;"| <span style="font-size:larger;">ε{{0|<sup>+</sup>}}</span> || | |||
|- | |||
| <sup>187</sup>Re || {{0|000}}2,467 ||style="text-align:center;"| β<sup>−</sup> || Niedrigste bekannte β<sup>−</sup>-Höchstenergie, soll im Experiment [[Microcalorimeter Arrays for a Rhenium Experiment|MARE]] verwendet werden | |||
|- | |||
| <sup>210</sup>Bi || 1162,2 ||style="text-align:center;"| β<sup>−</sup> || | |||
|} | |} | ||
''Anmerkung:''<br /> | |||
In Tabellenwerken wird oft die gesamte Übergangsenergie in den Grundzustand des Tochternuklids angegeben. Diese enthält gegebenenfalls nachfolgende Gammastrahlung u/o die Ruheenergie eines Elektron-Positron-Paars. | |||
=== Konversionselektronen === | === Konversionselektronen === | ||
Messungen der Energieverteilung der Elektronen von Betastrahlung ergeben oft Spektren, die neben dem breiten Kontinuum auch scharfe Linien ([[Peak]]s) enthalten. Dabei handelt es sich um Elektronen, die durch [[Innere Konversion]] eines angeregten Kernzustands aus der Hülle emittiert wurden. Dieser Anteil des Spektrums wurde früher<ref>z. B. Ch. Gerthsen: ''Physik.'' 6. Auflage, Springer 1960, S. 329.</ref>, obwohl er mit dem eigentlichen Betazerfall nichts zu tun hat, als ''diskretes Betaspektrum'' bezeichnet. | |||
=== Neutrinomasse === | === Neutrinomasse === | ||
Die Form des Spektrums in der Nähe der maximalen Elektronen- oder Positronenenergie gibt Auskunft über die noch unbekannte Masse des [[Neutrino]]s | Die Form des Spektrums in der Nähe der maximalen Elektronen- oder Positronenenergie gibt Auskunft über die noch unbekannte Masse des Elektron-[[Neutrino]]s bzw. -Antineutrinos. Dazu muss das hochenergetische Ende (die letzten 1 bis 2 eV) eines Betaspektrums mit sehr hoher Genauigkeit vermessen werden. Ein abruptes Ende im Gegensatz zu einem kontinuierlichen Abfall bei der Höchstenergie würde eine von Null verschiedene Neutrinomasse zeigen – wie sie auf Grund der [[Neutrinooszillation]]en erwartet wird – und ihr Wert könnte bestimmt werden. Vorzugsweise erfolgt die Messung beim Beta-Zerfall von Nukliden mit geringer Zerfallsenergie wie Tritium (Experiment [[KATRIN]]) oder Rhenium-187 (Experiment MARE). | ||
=== Innere Bremsstrahlung === | |||
Bei einem Betazerfall werden elektrisch geladene Teilchen beschleunigt, daher tritt elektromagnetische Strahlung in Form von [[Bremsstrahlung]] auf. Zur Unterscheidung von der Bremsstrahlung, die beim Abbremsen der Betateilchen in Materie entsteht, heißt diese Form innere Bremsstrahlung. Sie wurde erstmals von Aston im Jahr 1927 beschrieben.<ref>{{Literatur|Autor= G. H. Aston|Titel= The Amount of Energy Emitted in the γ-Ray Form by Radium E|Sammelwerk= Mathematical Proceedings of the Cambridge Philosophical Society|Band= 23|Nummer= 8|Datum= 1927|Seiten= 935-941}}</ref> Eine theoretische Behandlung erfolgte 1949 durch Wang Chang und Falkoff.<ref>{{Literatur|Autor= C. S. Wang Chang und D. L. Falkoff|Titel= On the Continuous Gamma-Radiation Accompanying the Beta-Decay of Nuclei|Sammelwerk= Physical Review|Band= 76|Nummer= 3|Datum= 1949|Seiten= 365-371}}</ref> Die Intensität der inneren Bremsstrahlung ist frequenzunabhängig bis zu einer maximalen Frequenz, die aus dem Energieerhaltungssatz folgt. Ihre Polarisation liegt in der Ebene von Flugrichtung des Betateilchens und der Beobachtungsrichtung, ihre Energie ist in klassischer Näherung | |||
:<math>E_\mathrm{Str} \approx \frac{2\alpha}{\pi} \left[\frac cv \operatorname{artanh}\frac vc - 1\right] \frac{m_e c^2}{\sqrt{1-v^2/c^2}} </math> | |||
mit der [[Feinstrukturkonstante]]n <math>\alpha</math>, der [[Lichtgeschwindigkeit]] <math>c</math>, der [[Elektronenmasse]] <math>m_e</math> und der Geschwindigkeit des Betateilchens <math>v</math>. Die Größe <math>\operatorname{artanh}(v/c)</math> wird auch [[Rapidität (Physik)|Rapidität]] genannt. Für langsame Betateilchen, <math>v \ll c</math>, ist dieser Energieverlust vernachlässigbar. Für hochenergetische Betateilchen kann die Formel durch | |||
:<math>E_\mathrm{Str} \approx \frac{2\alpha}{\pi} \left[\ln \frac{2E_\mathrm{Beta}}{m_e c^2} - 1 \right] E_\mathrm{Beta}</math> | |||
mit der Energie des Betateilchens <math>E_\mathrm{Beta}</math> genähert werden. Selbst für hochenergetische Teilchen mit einer Energie von 5 MeV liegt der Verlust durch Strahlung nur in der Größenordnung von einem Prozent. | |||
Die Winkelverteilung dieser inneren Bremsstrahlung ist durch | |||
:<math>\frac{\mathrm dE_\mathrm{Str}}{\mathrm d\theta} = \frac{\alpha}{2\pi} \frac{v^2}{c^2} \frac{\sin^2 \theta}{(1 - v/c \cos \theta)^2} E_\mathrm{Beta}</math> | |||
gegeben und ist identisch zur Winkelverteilung von äußerer Bremsstrahlung. | |||
Auch beim Elektroneneinfang wird durch das Verschwinden der elektrischen Ladung und des magnetischen Moments des Elektrons Strahlung freigesetzt. Dies kann nicht in einer klassischen Theorie beschrieben werden. Eine Erklärung lieferten [[Paul C. Martin (Physiker)|Martin]] und [[Roy Jay Glauber|Glauber]] 1957.<ref>{{Literatur|Autor= P. C. Martin und R. J. Glauber|Titel= Relativistic Theory of Radiative Orbital Electron Capture|Sammelwerk= Physical Reviews|Band= 109|Nummer= 4|Datum= 1958|Seiten= 1307-1325}}</ref> Die semiklassische Behandlung des Problems ergibt für die differentielle Intensitätsverteilung | |||
:<math>\frac{\mathrm dI}{\mathrm d\omega} \approx \frac{3\alpha^3 \hbar}{32 \pi} Z^2 \frac{\omega^2(\omega^2 + \omega_0^2)}{(\omega^2 - \omega_0^2)^2} + \frac{\alpha\hbar^3}{2\pi} \frac{\omega^2}{(m_e c^2)^2} \left(1 - \frac{\hbar\omega}{E_0}\right)^2</math> | |||
mit dem [[Reduziertes Plancksches Wirkungsquantum|reduzierten Planckschen Wirkungsquantum]] <math>\hbar</math>, der [[Kernladungszahl]] <math>Z</math>, der charakteristischen Frequenz des <math>{}^2p \to {}^1s</math>-Übergangs <math>\omega_0 = 3Z^2R_y/\hbar</math> mit der [[Rydberg-Energie]] <math>R_y</math> und der gesamten freiwerdenden Energie des Elektroneneinfangs <math>E_0</math>. Der erste Term stammt dabei von der elektrischen Ladung, der zweite vom magnetischen Moment. | |||
In dieser Näherung tritt eine (nicht integrierbare) Polstelle bei <math>\omega_0</math> auf. Dies ist durch die halbklassische Betrachtungsweise, das Elektron befände sich auf einer Kreisbahn um den Atomkern, zu erklären: Klassisch würde das Elektron auf dieser Kreisbahn ständig [[Synchrotronstrahlung]] emittieren. | |||
== Polarisation == | == Polarisation == | ||
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== Wechselwirkung mit Materie == | == Wechselwirkung mit Materie == | ||
Wenn Betateilchen in ein Material eindringen, finden | Wenn Betateilchen in ein Material eindringen, finden Energieübertragung auf das Material und [[Ionisierung]] in einer oberflächennahen Schicht statt, die der Eindringtiefe der Teilchen entspricht. | ||
Ist das eindringende Teilchen ein Positron (β<sup>+</sup>-Teilchen), trifft es sehr bald auf ein Elektron, also sein [[Antiteilchen]]. Dabei kommt es zur [[Annihilation#Positron-Elektron-Vernichtung in Materie|Annihilation]], aus der (meist) zwei Photonen im [[Gammastrahlung|Gammabereich]] hervorgehen.<ref name="krieger">Hanno Krieger: ''Grundlagen der Strahlungsphysik und des Strahlenschutzes'' 2. Auflage. S. 109.</ref> | Ist das eindringende Teilchen ein Positron (β<sup>+</sup>-Teilchen), trifft es sehr bald auf ein Elektron, also sein [[Antiteilchen]]. Dabei kommt es zur [[Annihilation#Positron-Elektron-Vernichtung in Materie|Annihilation]], aus der (meist) zwei Photonen im [[Gammastrahlung|Gammabereich]] hervorgehen.<ref name="krieger">Hanno Krieger: ''Grundlagen der Strahlungsphysik und des Strahlenschutzes.'' 2. Auflage. S. 109.</ref> | ||
=== Biologische Wirkung === | === Biologische Wirkung === | ||
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=== Strahlenschutz === | === Strahlenschutz === | ||
Betastrahlen lassen sich mit einem einige Millimeter dicken Absorber (beispielsweise [[Aluminium]]blech) gut [[Abschirmung (Strahlung)|abschirmen]]. Allerdings wird dabei ein Teil der Energie der Betateilchen in [[Röntgenstrahlung|Röntgen-Bremsstrahlung]] umgewandelt. Um diesen Anteil zu verringern, sollte das Abschirmmaterial möglichst leichte [[Atom]]e aufweisen, also von geringer [[Ordnungszahl]] sein. Dahinter kann dann ein zweiter Absorber aus [[Schwermetalle|Schwermetall]] die Bremsstrahlung abschirmen. | Betastrahlen lassen sich mit einem einige Millimeter dicken Absorber (beispielsweise [[Aluminium]]blech) gut [[Abschirmung (Strahlung)|abschirmen]]. Allerdings wird dabei ein Teil der Energie der Betateilchen in [[Röntgenstrahlung|Röntgen-Bremsstrahlung]] umgewandelt. Um diesen Anteil zu verringern, sollte das Abschirmmaterial möglichst leichte [[Atom]]e aufweisen, also von geringer [[Ordnungszahl]] sein. Dahinter kann dann ein zweiter Absorber aus [[Schwermetalle|Schwermetall]] die Bremsstrahlung abschirmen. | ||
{| class="wikitable floatright zebra" style="width:25em; text-align:right;" | |||
|+ Max. Reichweite von β-Teilchen verschiedener Energien in verschiedenen Materialien | |||
|- | |||
! Nuklid !! Energie !! Luft !! Plexiglas !! Glas | |||
|- | |||
|style="text-align:center;"| <sup>187</sup>Re || 2,5 keV || 1 cm || || | |||
|- | |||
|style="text-align:center;"| [[Tritium|<sup>3</sup>H]] || 19{{0|,0}} keV || 8 cm || || | |||
|- | |||
|style="text-align:center;"| <sup>14</sup>[[Kohlenstoff|C]] || 156{{0|,0}} keV || 65 cm|| || | |||
|- | |||
|style="text-align:center;"| <sup>35</sup>[[Schwefel|S]] || 167{{0|,0}} keV || 70 cm || || | |||
|- | |||
|style="text-align:center;"| <sup>131</sup>[[Iod|I]] || 600{{0|,0}} keV || 250 cm || 2,6 mm || | |||
|- | |||
|style="text-align:center;"| <sup>32</sup>[[Phosphor|P]] || 1710{{0|,0}} keV || 710 cm || 7,2 mm || 4 mm | |||
|} | |||
Für β-Strahler lässt sich eine materialabhängige ''maximale [[Reichweite (Teilchenstrahlung)|Reichweite]]'' feststellen, denn β-Teilchen geben ihre Energie (so wie [[Alphateilchen]]) in vielen Einzelstößen an Atomelektronen ab; die Strahlung wird also nicht exponentiell abgeschwächt wie [[Gammastrahlung]]. Aus dieser Erkenntnis resultiert die Auswahl abschirmender Materialien. Für einige der in der Forschung verbreiteten β-Strahler sind in der nebenstehenden Tabelle die Reichweiten in Luft, Plexiglas und Glas berechnet. Eine 1 cm dicke Plexiglasabschirmung kann bei den angegebenen Energien eine sichere Abschirmung ergeben. | |||
<div style="clear:both;"></div> | |||
Bei β<sup>+</sup>-Strahlung ist zu beachten, dass sich die β<sup>+</sup>-Teilchen mit Elektronen annihilieren (siehe oben), wobei Photonen frei werden. Diese haben Energien von etwa 511 keV (entsprechend der Masse des Elektrons) und liegen damit im Bereich der Gamma-Strahlung.<ref name="krieger" /> | Bei β<sup>+</sup>-Strahlung ist zu beachten, dass sich die β<sup>+</sup>-Teilchen mit Elektronen annihilieren (siehe oben), wobei Photonen frei werden. Diese haben Energien von etwa 511 keV (entsprechend der Masse des Elektrons) und liegen damit im Bereich der Gamma-Strahlung.<ref name="krieger" /> | ||
== Anwendungen == | == Anwendungen == | ||
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Die [[Radiometrische Staubmessung]], ein Verfahren zur Messung von gasgetragenen Stäuben, nutzt die Absorption von Betastrahlen.<ref>Heinrich Dresia, Franz Spohr: ''Anwendungs- und Fehlermöglichkeiten der radiometrischen Staubmessung zur Überwachung der Emission, Immission und von Arbeitsplätzen.'' In: ''[[Gefahrstoffe – Reinhaltung der Luft|Staub – Reinhalt. Luft]].'' 38, Nr. 11, 1978, {{ISSN|0949-8036}}, S. 431–435.</ref> Als Strahlungsquellen werden beispielsweise <sup>14</sup>C und <sup>85</sup>Kr verwendet.<ref>Franz Joseph Dreyhaupt (Hrsg.): ''VDI-Lexikon Umwelttechnik.'' VDI-Verlag Düsseldorf 1994, ISBN 3-18-400891-6, S. 1119.</ref> | Die [[Radiometrische Staubmessung]], ein Verfahren zur Messung von gasgetragenen Stäuben, nutzt die Absorption von Betastrahlen.<ref>Heinrich Dresia, Franz Spohr: ''Anwendungs- und Fehlermöglichkeiten der radiometrischen Staubmessung zur Überwachung der Emission, Immission und von Arbeitsplätzen.'' In: ''[[Gefahrstoffe – Reinhaltung der Luft|Staub – Reinhalt. Luft]].'' 38, Nr. 11, 1978, {{ISSN|0949-8036}}, S. 431–435.</ref> Als Strahlungsquellen werden beispielsweise <sup>14</sup>C und <sup>85</sup>Kr verwendet.<ref>Franz Joseph Dreyhaupt (Hrsg.): ''VDI-Lexikon Umwelttechnik.'' VDI-Verlag Düsseldorf 1994, ISBN 3-18-400891-6, S. 1119.</ref> | ||
== Betazerfallsübergänge in Kernen == | |||
Man unterscheidet bei Betazerfällen in Kernen Fermi-Zerfälle, bei denen die Spins der emittierten Teilchen (Elektron und Antineutrino bzw. Positron und Neutrino) antiparallel und zu <math>S=0</math> gekoppelt sind, und Gamow-Teller-Übergänge, bei denen die Spins zu <math>S=1</math> gekoppelt sind. Die Gesamtdrehimpulse der Kerne ändern sich bei Fermiübergängen nicht (<math>\Delta I =0</math>), bei Gamow-Teller-Übergängen um <math>\Delta I =0, \pm 1</math>. Dabei ist ein Übergang beim Kernspin von <math>I=0</math> zu <math>I=0</math> beim Gamow-Teller-Übergang verboten. Solche Übergänge (bei denen nur der Fermi-Übergang beiträgt) werden auch als ''supererlaubt'' bezeichnet.<ref>Wong, Introductory Nuclear Physics, Wiley-VCH 2004, S. 199</ref> | |||
Den beiden Übergangstypen entsprechen Terme im Hamiltonoperator von<ref name="fermi">Zum Beispiel Enrico Fermi, Nuclear Physics, 1953, S. 81f</ref> | |||
:<math>G_{V}\hat{1} \hat{\tau}</math> | |||
beim Fermi-Übergang und | |||
:<math> G_{A}\hat{\sigma} \hat{\tau} </math> | |||
beim Gamow-Teller-Übergang | |||
Dabei sind <math>\hat{\sigma} </math> die [[Pauli-Matrix|Pauli-Matrizen]] des Spinoperators und <math>\hat{\tau} </math> des Isospinoperators (er bewirkt den Übergang von Proton zu Neutron und umgekehrt) und <math>\hat { 1} </math> ist der Einheitsoperator im Spinraum. <math>G_V</math> ist die Vektorkopplungskonstante der schwachen Wechselwirkung (auch Fermi-Kopplungskonstante), <math>G_A</math> die Axialvektorkopplungskonstante (auch Gamow-Teller-Kopplungskonstante).<ref name="bethge">Bethge, Walter, Wiedemann, Kernphysik, Springer 2008, S. 252</ref> Die Fermi-Zerfälle wurden in den 1930er Jahren durch eine effektive Theorie der schwachen Wechselwirkung von [[Enrico Fermi]] beschrieben, einige Jahre später ergänzten [[George Gamow]] und [[Edward Teller]] einen [[Axialvektor]]-Term. | |||
Bei Betazerfällen in Kernen können auch Mischungen aus Fermi- und Gamow-Teller-Übergang auftreten, wenn der Ausgangskern etwa einmal in den Grundzustand und ein anderes Mal in einen angeregten Zustand zerfallen kann. | |||
Übergänge mit von Null verschiedenem Bahndrehimpuls <math>L</math> der emittierten Teilchen sind unwahrscheinlicher und werden als ''behindert'' bezeichnet<ref name="bethge"/> (mit unterschiedlichen Graden je nach Bahndrehimpuls). Je nach dem Wert von <math>{(-)}^L</math> ändert sich die Parität (<math>{(-)}^L= -1</math>) oder nicht. Bei einfachen Fermi- und Gamow-Teller-Übergängen mit <math>L=0</math> ändert sich die Parität nicht. Das unterscheidet Gamow-Teller-Übergänge von ihren Analoga bei elektromagnetischen Dipolübergängen (der Operator ist dort ein polarer Vektor und kein axialer, die Parität ändert sich).<ref name="fermi"/> | |||
== Forschungsgeschichte == | == Forschungsgeschichte == | ||
[[Ernest Rutherford]] und [[Frederick Soddy]] entwickelten 1903 eine Hypothese, nach der die bereits 1896 von [[Antoine Henri Becquerel]] entdeckte [[Radioaktivität]] mit der Umwandlung von [[Chemisches Element|Elementen]] verknüpft ist. Der Betazerfall wurde demnach als Quelle der Betastrahlung ausgemacht. Davon ausgehend formulierten 1913 [[Kasimir Fajans]] und Soddy die sogenannten ''[[Fajans-soddysche Verschiebungssätze|radioaktiven Verschiebungssätze]]'', mit denen die natürlichen [[Zerfallsreihe]]n durch aufeinanderfolgende [[Alpha-Zerfall|Alpha-]] und Betazerfälle erklärt werden. Die Vorstellung, dass die Betaelektronen selbst wie die Alphateilchen aus dem Kern stammten, verfestigte sich 1913 im Kreis von | [[Ernest Rutherford]] und [[Frederick Soddy]] entwickelten 1903 eine Hypothese, nach der die bereits 1896 von [[Antoine Henri Becquerel]] entdeckte [[Radioaktivität]] mit der Umwandlung von [[Chemisches Element|Elementen]] verknüpft ist. Der Betazerfall wurde demnach als Quelle der Betastrahlung ausgemacht. Davon ausgehend formulierten 1913 [[Kasimir Fajans]] und Soddy die sogenannten ''[[Fajans-soddysche Verschiebungssätze|radioaktiven Verschiebungssätze]]'', mit denen die natürlichen [[Zerfallsreihe]]n durch aufeinanderfolgende [[Alpha-Zerfall|Alpha-]] und Betazerfälle erklärt werden. Die Vorstellung, dass die Betaelektronen selbst wie die Alphateilchen aus dem Kern stammten, verfestigte sich 1913 im Kreis von Ernest Rutherford. | ||
In der Anfangszeit galt lange als allgemeiner Konsens, dass Beta-Teilchen wie Alphateilchen ein für jedes radioaktive Element charakteristisches diskretes Spektrum haben. Experimente von [[Lise Meitner]], [[Otto Hahn]] und [[Otto von Baeyer]] mit Photoplatten als Detektoren, die 1911<ref>O. v. Baeyer, L. Meitner, O. Hahn: [http://www.ymambrini.com/My_World/History_files/Hahn.pdf | In der Anfangszeit galt lange als allgemeiner Konsens, dass Beta-Teilchen wie Alphateilchen ein für jedes radioaktive Element charakteristisches diskretes Spektrum haben. Experimente von [[Lise Meitner]], [[Otto Hahn]] und [[Otto von Baeyer]] mit Photoplatten als Detektoren, die 1911<ref>O. v. Baeyer, L. Meitner, O. Hahn: ''Magnetische Spektren der Beta-Strahlen des Radiums.'' In: ''Physikalische Zeitschrift.'' Band 12, 1911, S. 1099–1101 ([http://www.ymambrini.com/My_World/History_files/Hahn.pdf ] PDF).</ref> und den Folgejahren veröffentlicht wurden, sowie verbesserte Experimente von [[Jean Danysz]] in Paris 1913 zeigten aber ein komplexeres Spektrum mit einigen Anomalien (besonders bei Radium E, also <sup>210</sup>[[Bismut|Bi]]), die auf ein [[Betaspektrum|kontinuierliches Spektrum]] der Beta-Teilchen hinwiesen. Meitner hielt dies wie die meisten ihrer Kollegen zunächst für einen sekundären Effekt, also kein Kennzeichen der ursprünglich emittierten Elektronen. Erst die Experimente von [[James Chadwick]] im Labor von [[Hans Geiger (Physiker)|Hans Geiger]] in Berlin 1914 mit einem magnetischen [[Spektrometer]] und Zählrohren als Detektoren zeigten, dass das kontinuierliche Spektrum ein Kennzeichen der Betaelektronen selbst war.<ref>Chadwick: ''Intensitätsverteilung im magnetischen Spektrum der Betastrahlen von Radium B+C.'' In: ''Verhandlungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft.'' Band 16, 1914, S. 383–391.</ref> | ||
Der β<sup>+</sup>-Zerfall wurde 1934 von [[Irène Joliot-Curie|Irène]] und [[Frédéric Joliot-Curie]] entdeckt. Der Elektroneneinfang wurde 1935 von [[Hideki Yukawa]] theoretisch vorhergesagt und | Um diese scheinbare Nichterhaltung der Energie (und eine ebenfalls auftretende Verletzung von [[Impulserhaltung|Impuls-]] und [[Drehimpulserhaltung]]) zu erklären, schlug [[Wolfgang Pauli]] 1930 in einem Brief die Beteiligung eines neutralen, extrem leichten [[Elementarteilchen]]s am Zerfallsprozess vor, welches er „Neutron“ taufte. [[Enrico Fermi]] änderte diese Bezeichnung 1931 in [[Neutrino]] (italienisch für „kleines Neutrales“), zur Unterscheidung von dem nahezu zeitgleich entdeckten wesentlich schwereren Neutron. 1933 publizierte Fermi die theoretische Beschreibung des Betazerfalls als Vier-Teilchen-Wechselwirkung ([[Fermi-Wechselwirkung]]). Der erste experimentelle Nachweis des Neutrinos gelang erst 1956 an einem der ersten großen [[Kernreaktor]]en (siehe [[Cowan-Reines-Neutrinoexperiment]]). | ||
Die Identität der Beta-Teilchen mit atomaren Elektronen wurde 1948 von [[Maurice Goldhaber]] und [[Gertrude Scharff-Goldhaber]] nachgewiesen.<ref name="Goldhaber" /> Der β<sup>+</sup>-Zerfall wurde 1934 von [[Irène Joliot-Curie|Irène]] und [[Frédéric Joliot-Curie]] entdeckt. Der Elektroneneinfang wurde 1935 von [[Hideki Yukawa]] theoretisch vorhergesagt und 1937 erstmals von [[Luis Walter Alvarez]] experimentell nachgewiesen. | |||
Im Jahre 1956 gelang es mit einem von [[Chien-Shiung Wu]] durchgeführten [[Wu-Experiment|Experiment]], die kurz zuvor von [[Tsung-Dao Lee]] und [[Chen Ning Yang]] postulierte [[Paritätsverletzung]] beim Betazerfall nachzuweisen. | Im Jahre 1956 gelang es mit einem von [[Chien-Shiung Wu]] durchgeführten [[Wu-Experiment|Experiment]], die kurz zuvor von [[Tsung-Dao Lee]] und [[Chen Ning Yang]] postulierte [[Paritätsverletzung]] beim Betazerfall nachzuweisen. | ||
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== Literatur == | == Literatur == | ||
* Werner Stolz: ''Radioaktivität. Grundlagen – Messung – Anwendungen'' | * Werner Stolz: ''Radioaktivität. Grundlagen – Messung – Anwendungen.'' 5. Aufl. Teubner, 2005, ISBN 3-519-53022-8. | ||
'''Kernphysik''' | '''Kernphysik''' | ||
* [[Theo Mayer-Kuckuk]]: ''Kernphysik'' | * [[Theo Mayer-Kuckuk]]: ''Kernphysik.'' 6. Aufl. Teubner, 1994, ISBN 3-519-03223-6. | ||
* [[Klaus Bethge]]: ''Kernphysik'' | * [[Klaus Bethge]]: ''Kernphysik.'' Springer, 1996, ISBN 3-540-61236-X. | ||
* {{Literatur|Autor=Jörn Bleck-Neuhaus|Titel=Elementare Teilchen. Von den Atomen über das Standard-Modell bis zum Higgs-Boson|Verlag=Springer|Ort=Heidelberg| | * {{Literatur | ||
* Jean-Louis Basdevant, James Rich, Michael Spiro: ''Fundamentals in Nuclear Physics. From Nuclear Structure to Cosmology'' | |Autor=Jörn Bleck-Neuhaus | ||
|Titel=Elementare Teilchen. Von den Atomen über das Standard-Modell bis zum Higgs-Boson | |||
|Auflage=2 | |||
|Verlag=Springer | |||
|Ort=Heidelberg | |||
|Datum=2013 | |||
|ISBN=978-3-642-32578-6 | |||
|DOI=10.1007/978-3-642-32579-3}} | |||
* Jean-Louis Basdevant, James Rich, Michael Spiro: ''Fundamentals in Nuclear Physics. From Nuclear Structure to Cosmology.'' Springer 2005, ISBN 0-387-01672-4. | |||
'''Forschungsgeschichte''' | '''Forschungsgeschichte''' | ||
* Carsten Jensen: ''Controversy and Consensus: Nuclear Beta Decay 1911–1934'' | * Carsten Jensen: ''Controversy and Consensus: Nuclear Beta Decay 1911–1934.'' Birkhäuser 2000. | ||
* Milorad Mlađenović: ''The History of Early Nuclear Physics (1896–1931)'' | * Milorad Mlađenović: ''The History of Early Nuclear Physics (1896–1931).'' World Scientific, 1992, ISBN 981-02-0807-3. | ||
'''Strahlenschutz''' | '''Strahlenschutz''' | ||
* Hanno Krieger: ''Grundlagen der Strahlungsphysik und des Strahlenschutzes'' | * Hanno Krieger: ''Grundlagen der Strahlungsphysik und des Strahlenschutzes.'' Vieweg+Teubner, 2007, ISBN 978-3-8351-0199-9. | ||
* Claus Grupen: ''Grundkurs Strahlenschutz. Praxiswissen für den Umgang mit radioaktiven Stoffen'' | * Claus Grupen: ''Grundkurs Strahlenschutz. Praxiswissen für den Umgang mit radioaktiven Stoffen.'' Springer, 2003, ISBN 3-540-00827-6. | ||
* James E. Martin: ''Physics for Radiation Protection'' | * James E. Martin: ''Physics for Radiation Protection.'' Wiley, 2006, ISBN 0-471-35373-6. | ||
'''Medizin''' | '''Medizin''' | ||
* Günter Goretzki: ''Medizinische Strahlenkunde. Physikalisch-technische Grundlagen'' | * Günter Goretzki: ''Medizinische Strahlenkunde. Physikalisch-technische Grundlagen.'' Urban&Fischer, 2004, ISBN 3-437-47200-3. | ||
* Thomas Herrmann, Michael Baumann und Wolfgang Dörr: ''Klinische Strahlenbiologie – kurz und bündig'' | * Thomas Herrmann, Michael Baumann und Wolfgang Dörr: ''Klinische Strahlenbiologie – kurz und bündig.'' Urban&Fischer, 2006, ISBN 3-437-23960-0. | ||
== Weblinks == | == Weblinks == | ||
{{ | {{Wiktionary}} | ||
* | * {{DNB-Portal|4129110-4}} | ||
* {{§§|strlschv_2018|juris|text=Text der Strahlenschutzverordnung}} | |||
* [http://www.fz-juelich.de/gs/DE/UeberUns/Organisation/S-G/Genehmigungen/Glossar/glossar_node.html Das „Glossar Strahlenschutz“ des Forschungszentrums Jülich] mit zahlreichen Begriffserklärungen und Definitionen zur Strahlung, Strahlungsmessung und Exposition/[[Dosimetrie]]. | * [http://www.fz-juelich.de/gs/DE/UeberUns/Organisation/S-G/Genehmigungen/Glossar/glossar_node.html Das „Glossar Strahlenschutz“ des Forschungszentrums Jülich] mit zahlreichen Begriffserklärungen und Definitionen zur Strahlung, Strahlungsmessung und Exposition/[[Dosimetrie]]. | ||
== Einzelnachweise == | == Einzelnachweise == | ||
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[[Kategorie:Radioaktivität]] | [[Kategorie:Radioaktivität]] |
Betastrahlung oder β-Strahlung ist eine ionisierende Strahlung, die bei einem radioaktiven Zerfall, dem Betazerfall oder Betaübergang, auftritt. Der Atomkern eines Betastrahlers wandelt sich dabei in einen Atomkern eines anderen chemischen Elements um. Bei einem β−-Zerfall (gesprochen: Beta-Minus) ist dies das Element mit der nächsthöheren Ordnungszahl, bei einem β+-Zerfall (gesprochen: Beta-Plus) das mit der nächstniedrigeren. Der strahlende Atomkern heißt Mutternuklid, der entstehende Tochternuklid.
Betastrahlung ist eine Teilchenstrahlung und besteht aus sogenannten Betateilchen. Bei der β−-Strahlung sind dies negativ geladene Elektronen, bei der β+-Strahlung positiv geladene Positronen. Neben dem Betateilchen wird bei einem β−-Zerfall ein Elektron-Antineutrino und bei einem β+-Zerfall ein Elektron-Neutrino freigesetzt. Diese Teilchen können im Regelfall nicht detektiert werden und werden auch nicht zur Betastrahlung gezählt. Zusätzlich wird bei jedem Betazerfall niederenergetische elektromagnetische Strahlung freigesetzt.[1] Die kinetische Energie der emittierten Betateilchen kann, im Gegensatz zur Alphastrahlung, von nahezu Null bis zu einer maximalen Energie jeden beliebigen Wert annehmen. Die typische maximale Energie von Betastrahlung liegt in der Größenordnung von hunderten Kiloelektronenvolt bis wenigen Megaelektronenvolt und hängt vom konkreten Zerfall ab.
Der Name stammt von der ersten Einteilung der ionisierenden Strahlen aus radioaktivem Zerfall in Alphastrahlen, Betastrahlen und Gammastrahlen, die in dieser Reihenfolge steigende Durchdringungsfähigkeit von Materie zeigen.
Der Betazerfall ist Typ des radioaktiven Zerfalls von Atomkernen. Bei einem β−-Zerfall wandelt sich im Atomkern ein neutrales Neutron in ein positiv geladenes Proton um. Entsprechend der Ladungserhaltung entsteht bei diesem Prozess ein negativ geladenes Elektron und entsprechend der Leptonenzahlerhaltung zusätzlich ein Elektron-Antineutrino. Beim β+-Zerfall wandelt sich ein Proton in ein Neutron um und es entstehen ein Positron und ein Elektron-Neutrino. Bei beiden Zerfallsvorgängen wandelt sich der Kern in einen Atomkern mit derselben Massenzahl, aber um Eins geänderter Ordnungszahl um. Der entstehende Kern (Tochterkern) ist nahezu gleich schwer wie der Mutterkern, denn Proton und Neutron haben ähnliche Massen und auch der Massendefekt beider Kerne ist ähnlich. Der Tochterkern gehört aber zu einem anderen chemischen Element. Solche Atomkerne nennt man Isobare.
Ein Betazerfall ist möglich, wenn die Atommasse des Mutternuklids größer ist als die Summe aus der Atommasse des Tochternuklids und der Masse des Betateilchens, da dann die Differenz der Massen nach Einsteins Äquivalenz von Masse und Energie als kinetische Energie der Teilchen freigesetzt werden kann. Wenn die Isobare in beide Richtungen des Periodensystems leichter sind, dann kann ein Teilchen sowohl β− als auch β+ zerfallen. Dies tritt zum Beispiel bei Kalium-40 auf, das sowohl zu Calcium-40 als auch zu Argon-40 zerfallen kann. Wegen der Erhaltung von Energie und Impuls (siehe Kinematik (Teilchenprozesse)) erhalten das leichte Betateilchen und das fast masselose (Anti-)Neutrino den weitaus größten Teil der Energie. Beim schweren Tochterkern verbleibt nur ein sehr kleiner Anteil von einigen eV.
In der Anfangszeit der Kernphysik führte die Beobachtung von Beta-Elektronen vorübergehend zu dem Fehlschluss, Elektronen seien Bestandteile des Atomkerns.[2] Nach heutigem Wissen werden jedoch die beiden emittierten Teilchen erst zum Zeitpunkt der Kernumwandlung erzeugt.
Die Theorie beschreibt den Beta-Zerfall als Prozess der schwachen Wechselwirkung. Beim β−-Zerfall wandelt sich auf der Ebene der Elementarteilchen eines der d-Quarks des Neutrons ($ |n\rangle =|udd\rangle $) durch Schwache Wechselwirkung in ein u-Quark und ein W−-Boson um. Das Neutron wird dadurch zum Proton ($ |p\rangle =|uud\rangle $), während das W-Boson seinerseits durch Schwache Wechselwirkung in ein Elektron und ein Antineutrino zerfällt. Beim β+-Zerfall wird umgekehrt eines der u-Quarks eines Protons mittels eines W+-Bosons in ein d-Quark umgewandelt.
Dass Beta-Minus-Strahlen tatsächlich dieselbe Teilchenart sind wie die Elektronen der Atomhülle, zeigt sich in ihrer Wechselwirkung mit Materie. Das Pauli-Prinzip, das nur für identische Teilchen gilt, verhindert, dass das Elektron nach dem Abbremsen in bereits besetzte Zustände eines neutralen Atoms eingefangen wird. Mit Beta-Minus-Strahlen ist dieser Einfang tatsächlich nie beobachtet worden, während für andere negativ geladene Teilchen, beispielsweise Myonen, dieser Einfang nicht verboten ist und auch beobachtet wird.[4]
Nuklide mit einem Überschuss an Neutronen zerfallen über den β−-Prozess. Ein Neutron des Kerns wandelt sich in ein Proton um und sendet dabei ein Elektron ($ \mathrm {e} ^{-} $) sowie ein Elektron-Antineutrino ($ {\overline {\nu }}_{e} $) aus. Elektron und Antineutrino verlassen den Atomkern, da sie Leptonen sind und nicht der starken Wechselwirkung unterliegen. Da sich nach dem Zerfallsprozess ein Neutron weniger, aber ein Proton mehr im Kern befindet, bleibt die Massenzahl $ A $ unverändert, während sich die Kernladungszahl $ Z $ um 1 erhöht. Das Element geht also in seinen Nachfolger im Periodensystem über.
Schreibt man wie üblich Massenzahlen $ A $ oben und Kernladungszahlen $ Z $ unten an die Symbole, kann demnach der Zerfall des Neutrons durch folgende Formel beschrieben werden:
Bezeichnet X das Mutter- und Y das Tochternuklid, so gilt für den β−-Zerfall allgemein:
Ein typischer β−-Strahler ist 198Au. Hier lautet die Umwandlung in Formelschreibweise:
Die meist hohe Energie des erzeugten Elektrons verhindert einen sofortigen Einfang in einen der hoch liegenden freien Zustände desselben Atoms. Besonders bei hochgeladenen schweren Ionen kann jedoch direkt ein Übergang in einen solchen gebundenen Zustand stattfinden, dieser Prozess wird gebundener Betazerfall genannt[5].
Die Umwandlungs- bzw. Zerfallsenergie ist:
In der Literatur zur Betazerfallsspektroskopie wurde dieser Zerfall früher auch Negatronenzerfall genannt („Negatron“ für Elektron).[6]
Der β+-Zerfall tritt bei protonenreichen Nukliden auf. Hierbei wird ein Proton des Kerns in ein Neutron umgewandelt. Dabei wird zusammen mit einem Positron (Positronenstrahlung) ein Elektron-Neutrino ausgesendet. Wie beim β−-Zerfall bleibt die Massenzahl unverändert, jedoch verringert sich die Kernladungszahl um 1, das Element geht also in seinen Vorgänger im Periodensystem über.
Die Umwandlung des Protons in ein Neutron lautet als Formel:
Mit den gleichen Bezeichnungen wie oben lässt sich der allgemeine β+-Zerfall beschreiben als:
Der Beta-Plus-Zerfall kann nur auftreten, wenn die Umwandlungsenergie des Übergangs $ {}_{Z}^{A}\mathrm {X} \to {}_{Z-1}^{A}\mathrm {Y} $ mindestens 1022 keV[7] beträgt. Dies ist die doppelte Ruheenergie eines Elektrons oder Positrons, denn das Positron muss erzeugt werden, und außerdem ist die Umwandlungsenergie als Massendifferenz zwischen Ausgangsatom (Ordnungszahl Z) und Endatom (Ordnungszahl Z-1) definiert, die jeweils als neutral angenommen werden; das Endatom hat ein Elektron weniger als das Ausgangsatom.[8] Die Umwandlungs- bzw. Zerfallsenergie ist:
mit $ m_{e} $ der Elektronenmasse.
Das am häufigsten vorkommende primordiale Nuklid, bei dem (unter anderem) β+-Zerfall auftritt, ist Kalium-40 (40K), allerdings ist der Zerfall sehr selten. Hier lautet die Formel:
Ein Konkurrenzprozess zum β+-Zerfall ist der Elektroneneinfang (auch ε-(Epsilon)Zerfall oder K-Einfang genannt). Er wird zu den Betazerfällen gezählt, obwohl keine Betastrahlung entsteht. Auch hier wandelt sich ein Proton des Kerns in ein Neutron um, während ein Elektron aus einer kernnahen Schale der Atomhülle vernichtet und ein Neutrino erzeugt und emittiert wird:
Die in der Atomhülle entstehende „Lücke“ führt zur Emission eines charakteristischen Röntgenphotons oder zur Emission von Auger-Elektronen.[9]
Elektroneneinfang tritt bei jedem β+-Strahler als weiterer Zerfallskanal auf. Alleiniger Zerfallskanal ist er dann, wenn die Umwandlungsenergie des Übergangs $ {}_{Z}^{A}\mathrm {X} \to {}_{Z-1}^{A}\mathrm {Y} $ kleiner als 1022 keV ist. Der Elektroneneinfang erfordert keine Mindestenergie, es muss nur die Ruheenergie des Radionuklidatoms größer als die des Tochteratoms sein.
Auch der Elektroneneinfang beweist, dass Hüllenelektronen und Beta-Elektronen dieselbe Teilchenart sind.
Der Name K-Einfang kommt daher, dass meist ein Elektron aus der K-Schale eingefangen wird.
Auch ein freies Neutron unterliegt dem Beta-Minus-Zerfall. Dabei wandelt es sich in ein Proton, ein Elektron-Antineutrino und ein Elektron um, das als Betastrahlung nachgewiesen werden kann:
Die Lebensdauer für diesen Zerfall beträgt 880,3 ± 1,1 Sekunden,[10] das sind knapp 15 Minuten. Dies entspricht einer Halbwertszeit von rund 10 Minuten. In normaler Umgebung auf der Erde (z. B. in Luft) wird jedes frei werdende Neutron in viel kürzerer Zeit durch einen Atomkern eingefangen; deshalb spielt dieser Zerfall hier keine praktische Rolle.
Beim inversen Betazerfall (IBD, inverse beta decay) wird ein Proton durch Reaktion mit einem Neutrino in ein Neutron umgewandelt: [11]
Mit diesem Prozess gelang 1959 der erste Neutrinonachweis (Cowan-Reines-Neutrinoexperiment) und in späteren Neutrinodetektoren (insbesondere bei Experimenten mit Neutrinos niedriger Energie wie bei Experimenten mit Reaktor- und Geoneutrinos, zu Neutrinooszillationen und für die Suche nach sterilen Neutrinos). Für diesen Prozess ist eine Mindestenergie des Antineutrinos von 1,806 MeV nötig. Das Positron führt in typischen Neutrinoexperimenten zur Annihilation mit einem Elektron, was zu einem Photon mit Energie $ E_{v}=511+511+E_{{\overline {\nu }}_{e}}-1806=E_{{\overline {\nu }}_{e}}-784 $ keV führt; das Neutron erzeugt, nach Moderation in z. B. Wasser, bei Einfang durch einen geeigneten Atomkern (wie Cadmium-113) verzögert zur Elektron-Positron-Annihilation eine Gammastrahlung charakteristischer Energie.[12]
Als inverser Betazerfall wird aber auch der dem Elektroneneinfang entsprechende Reaktionsprozess bezeichnet:[13][14]
Er spielt eine Rolle in der Astrophysik bei Materie hoher Dichte (Neutronensterne, weiße Zwerge).
Die Energieverteilung von Beta-Strahlung (Beta-Spektrum) ist im Gegensatz zu Alpha-Strahlung kontinuierlich, da sich die beim Zerfall frei werdende Energie nicht auf zwei, sondern auf drei Teilchen – Atomkern, Elektron/Positron sowie Antineutrino/Neutrino – verteilt. Unter Erhaltung des Gesamtimpulses sind dadurch die Energien der einzelnen Teilchen nicht festgelegt (siehe Kinematik (Teilchenprozesse)).
Die Abbildung zeigt ein einfaches gemessenes Elektronenspektrum. Komplexere Spektren treten auf, wenn Betaübergänge zu verschiedenen Energieniveaus des Tochterkerns sich überlagern.
Isotop | Energie (keV) |
Zerfall | Bemerkungen |
---|---|---|---|
freies Neutron |
782,33 | β− | |
(Tritium) |
3H18,59 | β− | Zweitniedrigste bekannte β−-Höchstenergie, wird im Experiment KATRIN verwendet. |
11C | 1982,4 |
960,4β+ ε |
|
14C | 156,475 | β− | |
20F | 5390,86 | β− | |
37K | 5125,48 6147,48 |
β+ ε |
|
163Ho | 2,555 | ε | |
187Re | 2,467 | β− | Niedrigste bekannte β−-Höchstenergie, soll im Experiment MARE verwendet werden |
210Bi | 1162,2 | β− |
Anmerkung:
In Tabellenwerken wird oft die gesamte Übergangsenergie in den Grundzustand des Tochternuklids angegeben. Diese enthält gegebenenfalls nachfolgende Gammastrahlung u/o die Ruheenergie eines Elektron-Positron-Paars.
Messungen der Energieverteilung der Elektronen von Betastrahlung ergeben oft Spektren, die neben dem breiten Kontinuum auch scharfe Linien (Peaks) enthalten. Dabei handelt es sich um Elektronen, die durch Innere Konversion eines angeregten Kernzustands aus der Hülle emittiert wurden. Dieser Anteil des Spektrums wurde früher[15], obwohl er mit dem eigentlichen Betazerfall nichts zu tun hat, als diskretes Betaspektrum bezeichnet.
Die Form des Spektrums in der Nähe der maximalen Elektronen- oder Positronenenergie gibt Auskunft über die noch unbekannte Masse des Elektron-Neutrinos bzw. -Antineutrinos. Dazu muss das hochenergetische Ende (die letzten 1 bis 2 eV) eines Betaspektrums mit sehr hoher Genauigkeit vermessen werden. Ein abruptes Ende im Gegensatz zu einem kontinuierlichen Abfall bei der Höchstenergie würde eine von Null verschiedene Neutrinomasse zeigen – wie sie auf Grund der Neutrinooszillationen erwartet wird – und ihr Wert könnte bestimmt werden. Vorzugsweise erfolgt die Messung beim Beta-Zerfall von Nukliden mit geringer Zerfallsenergie wie Tritium (Experiment KATRIN) oder Rhenium-187 (Experiment MARE).
Bei einem Betazerfall werden elektrisch geladene Teilchen beschleunigt, daher tritt elektromagnetische Strahlung in Form von Bremsstrahlung auf. Zur Unterscheidung von der Bremsstrahlung, die beim Abbremsen der Betateilchen in Materie entsteht, heißt diese Form innere Bremsstrahlung. Sie wurde erstmals von Aston im Jahr 1927 beschrieben.[16] Eine theoretische Behandlung erfolgte 1949 durch Wang Chang und Falkoff.[17] Die Intensität der inneren Bremsstrahlung ist frequenzunabhängig bis zu einer maximalen Frequenz, die aus dem Energieerhaltungssatz folgt. Ihre Polarisation liegt in der Ebene von Flugrichtung des Betateilchens und der Beobachtungsrichtung, ihre Energie ist in klassischer Näherung
mit der Feinstrukturkonstanten $ \alpha $, der Lichtgeschwindigkeit $ c $, der Elektronenmasse $ m_{e} $ und der Geschwindigkeit des Betateilchens $ v $. Die Größe $ \operatorname {artanh} (v/c) $ wird auch Rapidität genannt. Für langsame Betateilchen, $ v\ll c $, ist dieser Energieverlust vernachlässigbar. Für hochenergetische Betateilchen kann die Formel durch
mit der Energie des Betateilchens $ E_{\mathrm {Beta} } $ genähert werden. Selbst für hochenergetische Teilchen mit einer Energie von 5 MeV liegt der Verlust durch Strahlung nur in der Größenordnung von einem Prozent.
Die Winkelverteilung dieser inneren Bremsstrahlung ist durch
gegeben und ist identisch zur Winkelverteilung von äußerer Bremsstrahlung.
Auch beim Elektroneneinfang wird durch das Verschwinden der elektrischen Ladung und des magnetischen Moments des Elektrons Strahlung freigesetzt. Dies kann nicht in einer klassischen Theorie beschrieben werden. Eine Erklärung lieferten Martin und Glauber 1957.[18] Die semiklassische Behandlung des Problems ergibt für die differentielle Intensitätsverteilung
mit dem reduzierten Planckschen Wirkungsquantum $ \hbar $, der Kernladungszahl $ Z $, der charakteristischen Frequenz des $ {}^{2}p\to {}^{1}s $-Übergangs $ \omega _{0}=3Z^{2}R_{y}/\hbar $ mit der Rydberg-Energie $ R_{y} $ und der gesamten freiwerdenden Energie des Elektroneneinfangs $ E_{0} $. Der erste Term stammt dabei von der elektrischen Ladung, der zweite vom magnetischen Moment.
In dieser Näherung tritt eine (nicht integrierbare) Polstelle bei $ \omega _{0} $ auf. Dies ist durch die halbklassische Betrachtungsweise, das Elektron befände sich auf einer Kreisbahn um den Atomkern, zu erklären: Klassisch würde das Elektron auf dieser Kreisbahn ständig Synchrotronstrahlung emittieren.
Betastrahlung ist in ihrer Emissionsrichtung longitudinal spinpolarisiert, das heißt, schnelle β−-Teilchen haben eine Polarisation entgegen der Flugrichtung (anschaulich: bewegen sich wie eine Linksschraube), schnelle β+-Teilchen eine Polarisation in Flugrichtung. Dies ist eine grundlagenphysikalisch interessante Eigenschaft der schwachen Wechselwirkung, da sie die Nichterhaltung der Parität beweist. Für Wirkungen und Anwendungen der Strahlung spielt sie jedoch praktisch keine Rolle.
Wenn Betateilchen in ein Material eindringen, finden Energieübertragung auf das Material und Ionisierung in einer oberflächennahen Schicht statt, die der Eindringtiefe der Teilchen entspricht.
Ist das eindringende Teilchen ein Positron (β+-Teilchen), trifft es sehr bald auf ein Elektron, also sein Antiteilchen. Dabei kommt es zur Annihilation, aus der (meist) zwei Photonen im Gammabereich hervorgehen.[19]
Ist der menschliche Körper von außen kommenden Betastrahlen ausgesetzt, werden nur Hautschichten geschädigt. Dort kann es aber zu intensiven Verbrennungen und daraus resultierenden Spätfolgen wie Hautkrebs kommen. Sind die Augen der Strahlung ausgesetzt, kann es zur Linsentrübung kommen.
Werden Betastrahler in den Körper aufgenommen (inkorporiert), können hohe Strahlenbelastungen in der Umgebung des Strahlers die Folge sein. Gut dokumentiert ist Schilddrüsenkrebs als Folge von radioaktivem Iod-131 (131I), das sich in der Schilddrüse sammelt. In der Literatur findet man auch Befürchtungen, dass Strontium-90 (90Sr) zu Knochenkrebs und Leukämie führen kann, da sich Strontium wie Calcium in den Knochen anreichert.
Betastrahlen lassen sich mit einem einige Millimeter dicken Absorber (beispielsweise Aluminiumblech) gut abschirmen. Allerdings wird dabei ein Teil der Energie der Betateilchen in Röntgen-Bremsstrahlung umgewandelt. Um diesen Anteil zu verringern, sollte das Abschirmmaterial möglichst leichte Atome aufweisen, also von geringer Ordnungszahl sein. Dahinter kann dann ein zweiter Absorber aus Schwermetall die Bremsstrahlung abschirmen.
Nuklid | Energie | Luft | Plexiglas | Glas |
---|---|---|---|---|
187Re | 2,5 keV | 1 cm | ||
3H | 19 | keV8 cm | ||
14C | 156 | keV65 cm | ||
35S | 167 | keV70 cm | ||
131I | 600 | keV250 cm | 2,6 mm | |
32P | 1710 | keV710 cm | 7,2 mm | 4 mm |
Für β-Strahler lässt sich eine materialabhängige maximale Reichweite feststellen, denn β-Teilchen geben ihre Energie (so wie Alphateilchen) in vielen Einzelstößen an Atomelektronen ab; die Strahlung wird also nicht exponentiell abgeschwächt wie Gammastrahlung. Aus dieser Erkenntnis resultiert die Auswahl abschirmender Materialien. Für einige der in der Forschung verbreiteten β-Strahler sind in der nebenstehenden Tabelle die Reichweiten in Luft, Plexiglas und Glas berechnet. Eine 1 cm dicke Plexiglasabschirmung kann bei den angegebenen Energien eine sichere Abschirmung ergeben.
Bei β+-Strahlung ist zu beachten, dass sich die β+-Teilchen mit Elektronen annihilieren (siehe oben), wobei Photonen frei werden. Diese haben Energien von etwa 511 keV (entsprechend der Masse des Elektrons) und liegen damit im Bereich der Gamma-Strahlung.[19]
In der Nuklearmedizin werden Betastrahler (z. B. 131I, 90Y) in der Radionuklidtherapie verwendet. In der nuklearmedizinischen Diagnostik werden die β+-Strahler 18F, 11C, 13N und 15O bei der Positronen-Emissions-Tomographie als radioaktive Markierung der Tracer eingesetzt. Ausgewertet wird dabei die durch Paarvernichtung entstehende Strahlung.
In der Strahlentherapie werden Betastrahler (z. B. 90Sr, 106Ru) in der Brachytherapie genutzt.
Betastrahlen werden auch – neben Röntgen- und Gammastrahlung – bei der Strahlensterilisation eingesetzt.
Die Radiometrische Staubmessung, ein Verfahren zur Messung von gasgetragenen Stäuben, nutzt die Absorption von Betastrahlen.[20] Als Strahlungsquellen werden beispielsweise 14C und 85Kr verwendet.[21]
Man unterscheidet bei Betazerfällen in Kernen Fermi-Zerfälle, bei denen die Spins der emittierten Teilchen (Elektron und Antineutrino bzw. Positron und Neutrino) antiparallel und zu $ S=0 $ gekoppelt sind, und Gamow-Teller-Übergänge, bei denen die Spins zu $ S=1 $ gekoppelt sind. Die Gesamtdrehimpulse der Kerne ändern sich bei Fermiübergängen nicht ($ \Delta I=0 $), bei Gamow-Teller-Übergängen um $ \Delta I=0,\pm 1 $. Dabei ist ein Übergang beim Kernspin von $ I=0 $ zu $ I=0 $ beim Gamow-Teller-Übergang verboten. Solche Übergänge (bei denen nur der Fermi-Übergang beiträgt) werden auch als supererlaubt bezeichnet.[22]
Den beiden Übergangstypen entsprechen Terme im Hamiltonoperator von[23]
beim Fermi-Übergang und
beim Gamow-Teller-Übergang
Dabei sind $ {\hat {\sigma }} $ die Pauli-Matrizen des Spinoperators und $ {\hat {\tau }} $ des Isospinoperators (er bewirkt den Übergang von Proton zu Neutron und umgekehrt) und $ {\hat {1}} $ ist der Einheitsoperator im Spinraum. $ G_{V} $ ist die Vektorkopplungskonstante der schwachen Wechselwirkung (auch Fermi-Kopplungskonstante), $ G_{A} $ die Axialvektorkopplungskonstante (auch Gamow-Teller-Kopplungskonstante).[24] Die Fermi-Zerfälle wurden in den 1930er Jahren durch eine effektive Theorie der schwachen Wechselwirkung von Enrico Fermi beschrieben, einige Jahre später ergänzten George Gamow und Edward Teller einen Axialvektor-Term.
Bei Betazerfällen in Kernen können auch Mischungen aus Fermi- und Gamow-Teller-Übergang auftreten, wenn der Ausgangskern etwa einmal in den Grundzustand und ein anderes Mal in einen angeregten Zustand zerfallen kann.
Übergänge mit von Null verschiedenem Bahndrehimpuls $ L $ der emittierten Teilchen sind unwahrscheinlicher und werden als behindert bezeichnet[24] (mit unterschiedlichen Graden je nach Bahndrehimpuls). Je nach dem Wert von $ {(-)}^{L} $ ändert sich die Parität ($ {(-)}^{L}=-1 $) oder nicht. Bei einfachen Fermi- und Gamow-Teller-Übergängen mit $ L=0 $ ändert sich die Parität nicht. Das unterscheidet Gamow-Teller-Übergänge von ihren Analoga bei elektromagnetischen Dipolübergängen (der Operator ist dort ein polarer Vektor und kein axialer, die Parität ändert sich).[23]
Ernest Rutherford und Frederick Soddy entwickelten 1903 eine Hypothese, nach der die bereits 1896 von Antoine Henri Becquerel entdeckte Radioaktivität mit der Umwandlung von Elementen verknüpft ist. Der Betazerfall wurde demnach als Quelle der Betastrahlung ausgemacht. Davon ausgehend formulierten 1913 Kasimir Fajans und Soddy die sogenannten radioaktiven Verschiebungssätze, mit denen die natürlichen Zerfallsreihen durch aufeinanderfolgende Alpha- und Betazerfälle erklärt werden. Die Vorstellung, dass die Betaelektronen selbst wie die Alphateilchen aus dem Kern stammten, verfestigte sich 1913 im Kreis von Ernest Rutherford.
In der Anfangszeit galt lange als allgemeiner Konsens, dass Beta-Teilchen wie Alphateilchen ein für jedes radioaktive Element charakteristisches diskretes Spektrum haben. Experimente von Lise Meitner, Otto Hahn und Otto von Baeyer mit Photoplatten als Detektoren, die 1911[25] und den Folgejahren veröffentlicht wurden, sowie verbesserte Experimente von Jean Danysz in Paris 1913 zeigten aber ein komplexeres Spektrum mit einigen Anomalien (besonders bei Radium E, also 210Bi), die auf ein kontinuierliches Spektrum der Beta-Teilchen hinwiesen. Meitner hielt dies wie die meisten ihrer Kollegen zunächst für einen sekundären Effekt, also kein Kennzeichen der ursprünglich emittierten Elektronen. Erst die Experimente von James Chadwick im Labor von Hans Geiger in Berlin 1914 mit einem magnetischen Spektrometer und Zählrohren als Detektoren zeigten, dass das kontinuierliche Spektrum ein Kennzeichen der Betaelektronen selbst war.[26]
Um diese scheinbare Nichterhaltung der Energie (und eine ebenfalls auftretende Verletzung von Impuls- und Drehimpulserhaltung) zu erklären, schlug Wolfgang Pauli 1930 in einem Brief die Beteiligung eines neutralen, extrem leichten Elementarteilchens am Zerfallsprozess vor, welches er „Neutron“ taufte. Enrico Fermi änderte diese Bezeichnung 1931 in Neutrino (italienisch für „kleines Neutrales“), zur Unterscheidung von dem nahezu zeitgleich entdeckten wesentlich schwereren Neutron. 1933 publizierte Fermi die theoretische Beschreibung des Betazerfalls als Vier-Teilchen-Wechselwirkung (Fermi-Wechselwirkung). Der erste experimentelle Nachweis des Neutrinos gelang erst 1956 an einem der ersten großen Kernreaktoren (siehe Cowan-Reines-Neutrinoexperiment).
Die Identität der Beta-Teilchen mit atomaren Elektronen wurde 1948 von Maurice Goldhaber und Gertrude Scharff-Goldhaber nachgewiesen.[4] Der β+-Zerfall wurde 1934 von Irène und Frédéric Joliot-Curie entdeckt. Der Elektroneneinfang wurde 1935 von Hideki Yukawa theoretisch vorhergesagt und 1937 erstmals von Luis Walter Alvarez experimentell nachgewiesen.
Im Jahre 1956 gelang es mit einem von Chien-Shiung Wu durchgeführten Experiment, die kurz zuvor von Tsung-Dao Lee und Chen Ning Yang postulierte Paritätsverletzung beim Betazerfall nachzuweisen.
Gelegentlich werden freie Elektronen, die künstlich (z. B. von einer Glühkathode) erzeugt und in einem Teilchenbeschleuniger auf hohe Energie gebracht wurden, ungenau ebenfalls als Betastrahlung bezeichnet. Auch der Name des Elektronenbeschleuniger-Typs Betatron weist darauf hin.
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