Mit Hilfe des Stern-Gerlach-Versuchs wurde von den Physikern Otto Stern und Walther Gerlach erstmals die Richtungsquantelung von Drehimpulsen beobachtet. Der Stern-Gerlach-Versuch ist ein grundlegendes Experiment in der Physik und wird immer wieder herangezogen, um diese quantenmechanische Erscheinung zu erläutern, die im Rahmen der klassischen Physik nicht verständlich ist.
Ein Strahl von (elektrisch neutralen) Silberatomen durchfliegt im Vakuum den Spalt zwischen den Polschuhen eines Magneten. Der eine Polschuh hat die Form einer zum Strahl parallelen Schneide, der andere die einer flachen Rinne; das Magnetfeld ist dadurch in Richtung quer zum Strahl stark inhomogen. Auf einer Glasplatte schlägt sich das Silber nieder. Es werden zwei voneinander getrennte Flecke gefunden, das heißt, das Magnetfeld spaltet den Strahl in zwei getrennte Teilstrahlen auf.[1]
Das Silberatom hat ein magnetisches Dipolmoment $ {\vec {\mu }} $ bestimmter Größe, auf das im inhomogenen Feld $ {\vec {B}} $ eine Kraft wirkt:
(Dabei ist die Feldrichtung als z-Achse gewählt, in der Abbildung: die senkrechte Richtung.) Je nach Größe der z-Komponente $ \mu _{z} $ des magnetischen Moments, d. h. je nach Anstellwinkel zur Feldrichtung, erfahren die verschiedenen Atome Kräfte verschiedener Größe parallel oder antiparallel zur Feldrichtung. Klassisch erwartet man daher eine kontinuierliche Aufweitung des Strahls in ±z-Richtung.
Das magnetische Moment rührt von dem Drehimpuls $ {\vec {S}} $ des Atoms her und ist zu ihm parallel. Der Drehimpuls mit der Quantenzahl ½ hat in z-Richtung nur die Einstellmöglichkeiten $ -\hbar /2 $ oder $ +\hbar /2\, $ ($ \hbar $ ist das reduzierte plancksche Wirkungsquantum). Im klassischen Bild entspricht das einer mit gleicher Rotationsgeschwindigkeit links- bzw. rechtsherum rotierenden geladenen Kugel. Nach der klassischen Mechanik könnte der Drehimpulsvektor dagegen jeden beliebigen Winkel mit der Achse bilden.
Da $ {\vec {\mu }} $ parallel zu $ {\vec {S}} $ ist, kann auch die z-Komponente von $ {\vec {\mu }} $ nur einen bestimmten positiven oder einen gleich großen negativen Wert annehmen. Deshalb wirkt auf jedes Atom je nach Ausrichtung des Drehimpulses eine betragsmäßig gleiche, aber in der Richtung entgegengesetzte Kraft quer zur Flugrichtung. Der Strahl spaltet sich in zwei Teilstrahlen auf, so dass die beobachtete Verteilung entsteht.
Grundsätzlich wird das magnetische Moment eines Atoms von der Gesamtheit der Bahndrehimpulse sowie der Spins aller seiner Elektronen gebildet (siehe Landé-Faktor eines Atoms; der Beitrag des Atomkerns ist zu vernachlässigen.) Im Silberatom trägt jedoch nur das 5s-Elektron zum magnetischen Moment bei, denn alle anderen Elektronen bilden abgeschlossene Schalen mit Drehimpuls Null. Das 5s-Elektron hat die Bahndrehimpulsquantenzahl $ l=0 $ (es besitzt keinen Bahndrehimpuls). Der Gesamtdrehimpuls besteht also nur aus dem Spin dieses einen Elektrons, und das ganze Silberatom verhält sich wie ein einzelnes Spin-1/2-Teilchen. Im Unterschied zum Elektron ist es allerdings elektrisch neutral, kann also durch die im Magnetfeld herrschende Lorentzkraft oder durch elektrische Störfelder nicht abgelenkt werden.
Die Richtungsquantelung wurde von Peter Debye[2] und Arnold Sommerfeld[3] 1916 im Rahmen der Untersuchung des Zeemaneffekts vorhergesagt. Wie Gerlach sich erinnert, wurde er gleich bei seiner Ankunft in Frankfurt im Herbst 1920 von Max Born und Otto Stern zu den Atomstrahlversuchen hinzugezogen, mit denen Gerlach schon in seiner Zeit in Tübingen optische Experimente durchgeführt hatte (das Gebiet von Experimenten an Atomstrahlen war 1911 von Louis Dunoyer de Segonzac eröffnet worden). Stern hatte 1921 einen Versuch zum Nachweis der Richtungsquantelung vorgeschlagen[4]. Die Durchführung des Versuchs war schwierig, da in der Inflationszeit die finanziellen Mittel fehlten. Max Born stellte aber Geld aus seinen Vorträgen über die Relativitätstheorie zur Verfügung, und Fritz Haber ermutigte die Experimentatoren und unterstützte sie mit Mitteln der Hoshi-Stiftung. Über Albert Einstein, den Born verständigt hatte, kam Geld für die Beschaffung des starken Magneten.
Die Frage, ob überhaupt ein quantenmechanischer Effekt mit dem Experiment beobachtet werden könne, war umstritten und wurde vielfach diskutiert, auch wegen der technischen Schwierigkeit. Born und Niels Bohr glaubten daran; Debye glaubte nicht daran; Sommerfeld glaubte, nur ein halbklassischer Effekt wäre beobachtbar. Gerlach und Stern selbst waren offen hinsichtlich des Versuchsergebnisses. Allerdings erwartete Stern eher einen klassischen Effekt, wie Gerlach berichtet.[5]
Der Versuch wurde im Februar 1922 im Gebäude des Physikalischen Vereins in Frankfurt am Main in der Robert-Mayer-Straße durchgeführt, nach Horst Schmidt-Böcking (nach erhaltenen Wetterbeschreibungen vom Tag des Experiments) in der Nacht vom 7. auf den 8. Februar.[6] Das Ergebnis überraschte, denn der Teilchenspin und die Existenz „halbzahliger“ Drehimpulse waren damals noch nicht bekannt. Die Experimentatoren hatten Silber aus praktischen Gründen wegen der leichten Nachweismöglichkeit (Niederschlag auf Glasplatte) gewählt. Sie hatten bereits nachgewiesen, dass das Silberatom in seinem Grundzustand ein von Null verschiedenes magnetisches Moment hat. Ihre wenig später durchgeführte genaue Messung dieses magnetischen Moments[7] ergab den erwarteten Betrag, 1 bohrsches Magneton. Im Sinne des Bohr-Sommerfeldschen Atommodells führten sie das magnetische Moment auf einen Bahndrehimpuls mit der Quantenzahl $ l $ = 1 zurück. Daher hatten sie eigentlich eine Aufspaltung in $ 2l+1=3 $ Teilstrahlen erwartet, aber der unabgelenkte mittlere Teilstrahl trat nicht auf.
Die Richtungsquantelung als realer, beobachtbarer Effekt war mit dem Experiment erwiesen, aber die Deutung des Ergebnisses musste später berichtigt werden, nachdem 1925 der Begriff des Elektronenspins eingeführt worden war. 1927 führten Phipps und Taylor das Stern-Gerlach-Experiment mit Wasserstoffatomen aus und erhielten ebenfalls zwei Teilstrahlen.[8]
Albert Einstein äußerte sich zum Experiment nach Kenntnisnahme 1922:[9] Das Interessanteste aber ist gegenwärtig das Experiment von Stern und Gerlach. Die Einstellung der Atome ohne Zusammenstöße ist nach den jetzigen Überlegungs-Methoden durch Strahlung nicht zu verstehen; eine Einstellung sollte von Rechts wegen mehr als 100 Jahre dauern. Ich habe mit Ehrenfest eine kleine Rechnung darüber angestellt. Rubens hält das experimentelle Ergebnis für absolut sicher.
Jeder der beiden Teilstrahlen im Stern-Gerlach-Versuch ist polarisiert. Daher findet das Prinzip des Versuchs Anwendung in manchen Quellen zur Erzeugung eines polarisierten Strahls von Ionen – meist Protonen oder Deuteronen – für Teilchenbeschleuniger. Der Atomstrahl durchläuft dabei statt des Dipolmagneten einen Quadrupol- oder Sextupolmagneten. Ein solcher Magnet fokussiert Atome mit einer der beiden Drehimpulsstellungen zur Mitte auf seine Achse, während er die anderen Atome defokussiert, also nach außen zerstreut. Aus den fokussierten Atomen lässt sich durch Stoßionisation in einem schwachen äußeren Magnetfeld durch Ausnützen der Hyperfeinaufspaltung ein polarisierter Ionenstrahl gewinnen.[10][11]
Ein Strahl diamagnetischer Atome zeigt zunächst keine Aufspaltung, da deren Elektronenhüllen kein magnetisches Moment aufweisen. Bei sehr hoher Auflösung erkennt man aber eine Aufspaltung, die durch den Kernspin mit seinem viel kleineren magnetischen Moment verursacht wird. Bei paramagnetischen Atomen wird jede durch die Elektronenhülle verursachte Aufspaltung durch das magnetische Moment des Kerns weiter aufgespalten.[12]
Die Strahlaufspaltung im inhomogenen Magnetfeld ist gelegentlich mit Erfolg verwendet worden, um die Polarisation eines Strahls langsamer Neutronen zu messen.[13][14]
Ein Stern-Gerlach-Versuch mit geladenen Teilchen, etwa freien Elektronen, wird meist als unmöglich angesehen, weil die Lorentzkraft auf die Ladung sehr viel größer ist als die Kraft auf das magnetische Moment; schon die Querabmessungen des Strahls sowie kleine Geschwindigkeitsunterschiede würden wegen des inhomogenen Feldes zu einer Verschmierung führen, die die spinbedingte Aufspaltung überdeckt. Diese Aussage ist 1997 durch Batelaan u. M. aus theoretischer Sicht bezweifelt worden. Sie halten es für grundsätzlich möglich, einen Polarisator für Elektronenstrahlen nach dem Prinzip des Stern-Gerlach-Versuchs zu bauen.[15] Andere Forscher haben diesen Überlegungen widersprochen.[16]
Für Protonen oder andere Ionen liegt eine solche Möglichkeit noch ferner als für Elektronen, weil ihr magnetisches Moment um zwei bis drei Zehnerpotenzen kleiner ist.