Der Begriff Lebensdauer (genauer: mittlere Lebensdauer) kennzeichnet in der Physik die durchschnittliche „Lebenszeit“ der Mitglieder eines Ensembles identischer Objekte, die sich im selben Zustand befinden und voneinander isoliert sind. Steht dem Objekt kein Zustand niedrigerer Energie zur Verfügung und wird ihm keine Energie zugeführt, so ist es stabil und seine Lebensdauer ist unendlich. Können die Objekte jedoch spontan in einen Zustand kleinerer Energie übergehen („zerfallen“), bilden ihre jeweiligen Lebenszeiten eine Häufigkeitsverteilung, deren arithmetischer Mittelwert die Lebensdauer ist. Typischerweise spricht man von Lebensdauer im Zusammenhang mit instabilen Teilchen, radioaktiven Atomkernen, sowie bei Atomen und anderen Systemen in einem angeregten Zustand. In den Biowissenschaften hat der Begriff Lebenserwartung dieselbe Bedeutung. Ein engverwandter Begriff ist Halbwertszeit.
Die Wahrscheinlichkeitsdichte $ p $ dafür, dass ein Mitglied des Ensembles zerfällt, folgt in der Regel einer Exponentialverteilung:
$ \lambda $ ist die Zerfallskonstante. Sie wird auch Zerfallswahrscheinlichkeit genannt, ist jedoch eine Wahrscheinlichkeit pro Zeiteinheit und wird meist in der Einheit 1/Sekunde angegeben. Falls mehrere Zerfallskanäle möglich sind, ist die gesamte (totale) Zerfallskonstante die Summe der entsprechenden einzelnen (partiellen) Zerfallskonstanten.
Die Lebensdauer $ \tau $ ist der Kehrwert der Zerfallskonstanten:
Sie ist daher die Zeit, nach der die Anzahl der Teilchen auf den Bruchteil 1/e ≈ 0,368 abgefallen ist.
Für Elementarteilchen bekommt man eine Übersicht der verschiedenen Zerfallskanäle und Zerfallswahrscheinlichkeiten in dem von der Particle Data Group herausgegebenen Review of Particle Physics oder in dessen Kurzfassung, dem Particle Physics Booklet.
Wenn mehrere Zerfallskanäle bestehen, kann formal zu jeder der partiellen Zerfallskonstanten der Kehrwert als „partielle Lebensdauer“ angegeben werden; dies geschieht manchmal aus Gründen der Anschaulichkeit. Die partielle Lebensdauer ist aber eine fiktive, nicht beobachtbare Größe: Sie wäre die Lebensdauer des Systems, wenn der betreffende Zerfallskanal der einzig mögliche wäre.[1] Der beobachtbare Zerfall zeigt – unabhängig davon, welcher der Zerfallskanäle beobachtet wird – immer die Lebensdauer, die der totalen Zerfallskonstanten entspricht.
Manchmal – insbesondere auf dem Gebiet der Radioaktivität – wird statt der Lebensdauer die Halbwertszeit $ T_{1/2} $ verwendet, d. h. die Zeit, nach welcher die Hälfte des Ensembles noch vorhanden ist. Die Halbwertszeit errechnet sich aus der Lebensdauer bzw. der Zerfallskonstante mit Hilfe von
Sie beträgt damit etwa 69 % der Lebensdauer. Im Fall mehrerer Zerfallskanäle werden gelegentlich der Anschaulichkeit zuliebe – wie bei der Lebensdauer – auch fiktive partielle Halbwertszeiten genannt.
Halbwertszeiten und Zerfallskanäle von Radionukliden sind z. B. in der Karlsruher Nuklidkarte angegeben. Verzweigungsverhältnisse und weitere Daten finden sich in dem umfangreichen Buch Table of Isotopes.[2]
Durch die heisenbergsche Unschärferelation lässt sich folgender Zusammenhang zwischen der Unschärfe einer beliebigen Observablen $ A $ und ihrer zeitlichen Entwicklung finden:
Daraus ergibt sich eine Verbindung zwischen der Energieunschärfe oder Zerfallsbreite $ \Gamma =2\ \Delta E $ eines Übergangs oder Zerfalls und seiner Lebensdauer:[3]
Zur Bestimmung sehr kurzer Lebensdauern wird die Breite der Energieverteilung, beispielsweise von emittierten Photonen oder einem Peak in einer Anregungsfunktion, gemessen und mittels dieser Formel die Lebensdauer berechnet. Eine doppelte Standardabweichung von etwa 66 keV ergibt eine Lebensdauer von 10−20 Sekunden.
en:Exponential decay#Mean lifetime