Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik (SM) fasst die wesentlichen Erkenntnisse der Teilchenphysik nach heutigem Stand (Beginn des 21. Jahrhunderts) zusammen.[1] Es beschreibt alle bekannten Elementarteilchen und die wichtigen Wechselwirkungen zwischen ihnen: die starke Wechselwirkung, die schwache Wechselwirkung und die elektromagnetische Wechselwirkung. Nur die (vergleichsweise sehr schwache) Gravitation wird nicht berücksichtigt.
In theoretischer Hinsicht ist das Standardmodell eine Quantenfeldtheorie. Ihre fundamentalen Objekte sind Felder, die nur in diskreten Paketen verändert werden; die diskreten Pakete entsprechen in einer passenden Darstellung den beobachteten Teilchen. Das Standardmodell ist so gebaut, dass die von ihm beschriebenen Teilchen und Felder die Gesetze der speziellen Relativitätstheorie erfüllen. Gleichzeitig enthält es die Aussagen der Quantenmechanik und der Quantenchromodynamik.
Viele Voraussagen des Standardmodells wurden durch Experimente der Teilchenphysik bestätigt. Insbesondere ist die Existenz auch derjenigen Elementarteilchen des Modells nachgewiesen, die erst von der Theorie vorhergesagt wurden. Die gemessenen quantitativen Eigenschaften der Teilchen stimmen sehr gut mit den Vorhersagen des Standardmodells überein. Ein besonders deutliches Beispiel dafür ist der g-Faktor des Elektrons.
Es gibt dennoch Gründe für die Annahme, dass das Standardmodell nur ein Aspekt einer noch umfassenderen Theorie ist. Dunkle Materie und Dunkle Energie werden vom Standardmodell nicht beschrieben. Seine Aussagen führen bei hohen Energien, wie sie beim Urknall auftraten, zu Widersprüchen mit der allgemeinen Relativitätstheorie. Außerdem müssen 18 Parameter, deren Werte nicht aus der Theorie hervorgehen, anhand von experimentellen Ergebnissen festgelegt werden. Es wird dadurch recht „biegsam“ und kann sich in einem gewissen Rahmen den tatsächlich gemachten Beobachtungen anpassen. Es gibt auch zahlreiche Bemühungen, das Standardmodell zu erweitern oder abzulösen.
Im Standardmodell wird die Wechselwirkung der Materiefelder durch abstrakte (mathematische) Eichsymmetrien beschrieben, wodurch das Standardmodell auch eine Eichtheorie ist. Die Eichgruppen des SMs sind $ U(1)_{Y} $, $ SU(2)_{L} $ und $ SU(3)_{c} $. Die jeweiligen Ladungen dieser Symmetrien sind die (schwache) Hyperladung, der (schwache) Isospin und die Farbladung. Die drei üblicherweise als Wechselwirkungen des SMs aufgezählten Wechselwirkungen (die elektromagnetische Wechselwirkung, die schwache Wechselwirkung und die starke Wechselwirkung) ergeben sich aus diesen Eichgruppen:
Die Fermionen des Standardmodells und nichtelementare Teilchen, die aus ihnen aufgebaut sind, sind per Konvention die Teilchen, die als „Materie“ bezeichnet werden. Fermionen, die der Farbwechselwirkung unterliegen, werden „Quarks“ genannt; die anderen Fermionen sind „Leptonen“ (leichte Teilchen). Sowohl Leptonen als auch Quarks werden aus praktischen Gründen in drei „Generationen“ mit je einem Paar Teilchen unterteilt. Die Teilchen eines Paares unterscheiden sich in ihrem Verhalten bezüglich der $ SU(2)_{L} $-Eichgruppe und damit in ihrer elektroschwachen Wechselwirkung – besonders nennenswert ist dabei ihre unterschiedliche elektrische Ladung. Äquivalente Teilchen verschiedener Generationen haben nahezu identische Eigenschaften, der deutlichste Unterschied ist die mit der Generation zunehmende Masse.
Die bosonischen Elementarteilchen des Standardmodells unterscheiden sich in ihrem Spin; die Vektorbosonen (Photon, W, Z, Gluon) haben die Spinquantenzahl 1, das Higgs-Boson die Spinquantenzahl 0. Die Existenz der Vektorbosonen ist mathematisch eine notwendige Folge der Eichsymmetrien des Standardmodells. Sie vermitteln die Wechselwirkungen zwischen Teilchen, können aber prinzipiell auch als eigenständige Teilchen auftreten (insbesondere das Photon, das als Elementarteilchen eine „Quantengröße“ elektromagnetischer Wellen darstellt).
Die Gluonen sind Eichbosonen und repräsentieren direkt die Freiheitsgrade der Eichgruppe $ SU(3) $ der starken Kraft. Die W- und Z-Bosonen und die Photonen hingegen repräsentieren nicht direkt die Freiheitsgrade der übrigen Eichgruppe $ SU(2)_{L}\times U(1) $, werden aber gelegentlich trotzdem als Eichbosonen bezeichnet. Die Vektorbosonen des Standardmodells werden auch „Botenteilchen“ oder „Austauschteilchen“ genannt.
Das Higgs-Boson ist keine direkte Folge einer Eichsymmetrie, vermittelt daher keine Wechselwirkung im Sinne des Standardmodells und wird daher auch nicht als Austauschteilchen angesehen. Das Higgs-Boson wird jedoch „benötigt“, um die elektroschwache $ SU(2)\times U(1) $-Symmetrie zu brechen und so sowohl dem Z- als auch den W-Bosonen Masse zu verleihen. Am 4. Juli 2012 wurde in einem Seminar am CERN bekanntgegeben, dass durch Experimente am Large Hadron Collider ein Boson nachgewiesen wurde, das in allen bisher untersuchten Eigenschaften mit dem Higgs-Boson übereinstimmt,[2] was weitere Messungen bestätigen konnten.[3]
Das Standardmodell der Teilchenphysik kann nahezu alle bisher beobachteten teilchenphysikalischen Beobachtungen erklären. Allerdings ist es unvollständig, da es die gravitative Wechselwirkung gar nicht beschreibt. Außerdem gibt es auch innerhalb der Teilchenphysik einige offene Fragen, die das Standardmodell nicht lösen kann, wie z. B. das Hierarchieproblem und die Vereinigung der drei Grundkräfte. Auch die inzwischen bestätigte, von Null verschiedene Ruhemasse der Neutrinos führt über die Theorie des Standardmodells hinaus.
Es existiert eine Vielzahl alternativer Modelle, aufgrund derer das etablierte Standardmodell lediglich um weitere Ansätze erweitert wird, um einige Probleme besser beschreiben zu können, ohne sein Fundament zu verändern. Die bekanntesten Ansätze für neue Modelle sind Versuche zur Vereinigung der drei im Standardmodell vorkommenden Wechselwirkungen in einer Großen vereinheitlichten Theorie (GUT). Solche Modelle beinhalten häufig auch Supersymmetrie, eine Symmetrie zwischen Bosonen und Fermionen. Diese Theorien postulieren zu jedem Teilchen des Standardmodells Partnerteilchen mit vom Originalteilchen unterschiedlichen Spin, von denen bisher jedoch noch keines nachgewiesen werden konnte. Ein anderer Ansatz zur Erweiterung des Standardmodells ergibt Theorien der Quantengravitation. Solche Ansätze beinhalten beispielsweise die Stringtheorien, die auch GUT-Modelle enthalten, sowie die Schleifenquantengravitation.
Zusammenfassend gibt es noch folgende offene Fragen im Standardmodell: