Die De-Broglie-Bohm-Theorie oder auch bohmsche Mechanik ist – je nach Definition der Begriffe – eine Interpretation oder ein alternativer Formalismus der Quantenmechanik. Sie reproduziert alle Vorhersagen der (nicht-relativistischen) Quantenmechanik, hat aber als Interpretation aufgefasst ein von der Kopenhagener Deutung radikal abweichendes Wirklichkeitsverständnis zur Grundlage.
Die bohmsche Mechanik ist eine deterministische Theorie und erlaubt eine einfache Lösung des Messproblems der Quantenmechanik, d. h. der Akt der Messung bzw. Beobachtung spielt keine ausgezeichnete Rolle (zum Messproblem siehe auch den Artikel zu Schrödingers Katze).
Wie bei den meisten Interpretationen der Quantenmechanik besteht keine Möglichkeit, experimentell zwischen der bohmschen Mechanik und der üblichen Quantenmechanik zu unterscheiden, d. h., bohmsche Mechanik und Quantenmechanik treffen in allen experimentell überprüfbaren Situationen dieselben Vorhersagen. Die De-Broglie-Bohm-Theorie wird lediglich von einer kleinen Minderheit von Physikern vertreten.
Die bohmsche Mechanik wurde in den 1920er-Jahren von dem französischen Physiker Louis de Broglie entwickelt.[1] De Broglie bezeichnete sie als „Theorie der Führungswelle“ (theorie de l’onde pilote, engl. pilot wave theory). Diese fand jedoch nur geringe Beachtung und geriet in Vergessenheit. Ohne de Broglies Arbeiten zu kennen, entwickelte in den 1950er Jahren der amerikanische Physiker David Bohm eine äquivalente Fassung dieser Theorie.[2] Bohm bezeichnete die Theorie später als ontologische bzw. kausale Interpretation der Quantenmechanik.
Seit den 1970er-Jahren gehörte der irische Physiker John Stewart Bell zu den wenigen prominenten Physikern, die sich für die bohmsche Mechanik eingesetzt haben.[3]
Seit den 1990er-Jahren kommt es auf diesem Gebiet wieder zu einer vermehrten Forschungstätigkeit, z. B. mit einer Arbeitsgruppe an der LMU München (Detlef Dürr), der Rutgers Universität in New Jersey (Sheldon Goldstein) und der Universität Genua (Nino Zanghì). Durch diese Arbeitsgruppe wurde auch der Name bohmsche Mechanik (engl. Bohmian mechanics) geprägt. Dieser Bezeichnung kann man vorwerfen, dass sie die Rolle de Broglies unterschlägt. Angesichts ihrer Entstehungsgeschichte scheint der Name „De-Broglie-Bohm-Theorie“ angemessener. Im Folgenden werden beide Bezeichnungen synonym verwendet.
Die Grundidee der De-Broglie-Bohm-Theorie besteht darin, ein System nicht durch die Wellenfunktion ($ \psi $) allein zu beschreiben, sondern durch das Paar aus Wellenfunktion und den Teilchenorten ($ Q_{i} $) der jeweiligen Objekte (Elektronen, Atome usw.). Die Trajektorien $ Q_{i}(t) $ der Teilchen sind die sog. verborgenen Parameter der Theorie. Die bohmsche Mechanik wird somit durch zwei Grundgleichungen definiert: zum einen durch die übliche zeitabhängige Schrödingergleichung der Quantenmechanik:
sowie durch die Bewegungsgleichung („Führungsgleichung“) für die Teilchenorte $ Q_{i} $:
Hier bezeichnet $ S $ die Phase der Wellenfunktion in der Polardarstellung, also
$ m_{i} $ bezeichnet die Masse des i-ten Teilchens und $ \nabla _{i} $ den Nabla-Operator angewendet auf die Koordinate des i-ten Teilchens.
Bildlich gesprochen „leitet“ bzw. „führt“ die Wellenfunktion also die Bewegung der Teilchen. Innerhalb dieser Theorie bewegen sich die Quantenobjekte somit auf kontinuierlichen (und deterministischen) Bahnen. Diese Bewegung ist natürlich erst dann eindeutig festgelegt, wenn Anfangsbedingungen spezifiziert werden. Man beachte, dass die Führungsgleichung eine Differentialgleichung erster Ordnung ist, also die Angabe der Teilchenorte zu einem Zeitpunkt die Bewegung schon festlegt. Im Unterschied dazu legen in der klassischen Mechanik erst Ort und Geschwindigkeit (bzw. Impuls) die Bewegung eindeutig fest. Alle Vorhersagen der Quantenmechanik können durch die De-Broglie-Bohm-Theorie gerade dann reproduziert werden, wenn man als Anfangsbedingung die sog. Quantengleichgewichtsverteilung wählt, d. h., die Gültigkeit der folgenden „Quantengleichgewichtshypothese“ annimmt.
Die Quantengleichgewichtshypothese lautet: Die Ortsverteilung $ \rho $ eines durch die Wellenfunktion $ \psi $ beschriebenen Systems lautet $ \rho =|\psi |^{2} $.
Die $ |\psi |^{2} $-Verteilung ist die sog. Quantengleichgewichtsverteilung.
Aufgrund der Quantengleichgewichtshypothese wird in der bohmschen Mechanik auch die heisenbergsche Unschärferelation nicht verletzt. Im Unterschied zur üblichen Quantenmechanik sind die Wahrscheinlichkeitsaussagen der bohmschen Mechanik jedoch lediglich unserer Unkenntnis der konkreten Anfangsbedingungen geschuldet.
Die quantenmechanische Kontinuitätsgleichung
stellt sicher, dass ein einmal $ |\psi |^{2} $-verteiltes System diese Eigenschaft behält. Damit bleibt jedoch noch offen, warum diese Verteilung zu irgendeinem Zeitpunkt vorliegen soll. Zur Beantwortung dieser Frage existieren verschiedene Ansätze. Offensichtlich ist es unbefriedigend, diesen Umstand sehr speziellen Anfangsbedingungen (etwa des Universums) zuzuschreiben. Physikalisch intuitiv wäre es, wenn man einen dynamischen Mechanismus angeben könnte, der erklärt wie (möglichst viele) Anfangsbedingungen sich dem Quantengleichgewicht annähern. Diesen Ansatz verfolgt etwa Valentini,[4] der argumentiert, wie aufgrund der bohmschen Dynamik eine größere Klasse von Anfangsbedingungen zu einer näherungsweisen Quantengleichgewichtsverteilung führen.
Die Frage, ob viele oder wenige Anfangsbedingungen mit der Quantengleichgewichtshypothese verträglich sind, setzt natürlich ein Maß voraus, mit dem diese Mengen gemessen werden können. Dürr et al.[5] wählten diese Freiheit zum Ausgangspunkt. Diese Autoren wählen ein Maß, bei dem durch eine spezielle Gewichtung fast alle Anfangsbedingungen mit der Quantengleichgewichtshypothese verträglich sind, und argumentieren, warum dieses Maß natürlich ist. Damit begründen sie, warum sich ein hypothetisches bohmsches Universum im Quantengleichgewicht befindet. Das Hauptresultat dieser Arbeit besteht nun darin, (i) das Konzept der Wellenfunktion eines Teilsystems zu definieren, und (ii) zu zeigen, dass diese Teilsysteme die Quantengleichgewichtshypothese erfüllen. In diesem Sinne ist nach Dürr[5] die Quantengleichgewichtshypothese kein Postulat, sondern eine Konsequenz der bohmschen Mechanik.
Wie erwähnt, legt eine Anfangsbedingung jede bohmsche Trajektorie eindeutig fest, da die Führungsgleichung (2) eine Differentialgleichung erster Ordnung ist. Dieses hat zur Folge, dass sich die Teilchenbahnen im Konfigurationsraum nicht schneiden können. Im 1-Teilchen-Fall findet die Bewegung also überschneidungsfrei im Ortsraum statt. Auf diese Weise kann man sich bei einfachen Systemen auch ohne numerische Simulation ein qualitatives Bild der Teilchenbewegung machen.
Die Abbildung rechts zeigt die Simulation einiger Trajektorien beim Doppelspalt. Die Eigenschaft der Überschneidungsfreiheit zusammen mit der Symmetrie der Anordnung sorgt dafür, dass die Bahnen die Mittelebene nicht schneiden können. Diese Abbildung illustriert auch, dass die bohmschen Trajektorien vollkommen unklassisch verlaufen. Sie weisen Richtungsänderungen auf, obwohl der Bereich hinter dem Spalt im klassischen Sinne feldfrei ist. In diesem Sinne gilt auf dem Niveau der individuellen Bahnen weder Energie- noch Impulserhaltung.
Im Falle reeller Wellenfunktionen ist die Situation noch einfacher. Da hier die Phase der Wellenfunktion verschwindet, ruht das Teilchen an $ |\psi |^{2} $-verteilten Orten. Diese Situation liegt z. B. beim Grundzustand des Wasserstoffatoms oder bei den Energieeigenzuständen des harmonischen Oszillators vor.
Es ist instruktiv zu betrachten, wie die De-Broglie-Bohm-Theorie den Spin beschreibt. Hier existieren verschiedene Ansätze, aber eine naheliegende Möglichkeit besteht darin, den Spin nicht dem Teilchen zuzuordnen, sondern nur als Eigenschaft der Wellenfunktion (bzw. des Pauli-Spinors) aufzufassen.
Konkret geht man von der Schrödingergleichung zur Pauli-Gleichung über. Aus der Wellenfunktion wird ein 2-komponentiger Spinor $ (\psi _{1},\psi _{2})^{t} $. Es existiert – analog zur Beschreibung spinloser Teilchen – ein Strom:
Hier bezeichnet $ A $ das Vektorpotential und $ a $ den Spinorindex. Die Führungsgleichung lautet analog zum spinlosen Fall:
Auch ohne die mathematischen Details zu überblicken, sollte folgender Punkt klar werden: Die Eigenschaft Spin wird nicht dem Teilchen zugeordnet, d. h. dem Objekt auf der bohmschen Trajektorie, und der Konfigurationsraum bleibt derselbe wie im Falle spinloser Objekte. Im Besonderen wird keine „verborgene Variable“ für den Spin eingeführt. Die übliche Sprechweise lautet, dass der Spin „kontextualisiert“ wird (s. u.).
Charakteristische Eigenschaften der De-Broglie-Bohm-Theorie sind die folgenden:
Die mit Abstand wichtigste Eigenschaft der De-Broglie-Bohm-Theorie ist, dass sie das Messproblem der Quantenmechanik löst bzw. dass innerhalb dieser Theorie das Messproblem gar nicht erst auftritt. Zur Erinnerung: Das Messproblem der Quantenmechanik besteht im Kern darin, Überlagerungen makroskopisch verschiedener Zustände zu interpretieren. Diese treten bei der quantenmechanischen Behandlung der Messung auf ganz natürliche Weise auf, obwohl jede tatsächlich durchgeführte Messung immer ein definiertes Ergebnis hat (also nicht durch eine Überlagerung beschrieben wird).
Um diesen Widerspruch aufzuklären, wurde von John von Neumann eine spezielle Zustandsänderung beim Akt der Messung postuliert, der sogenannte Kollaps der Wellenfunktion. Dieser stellt aber weniger eine Lösung als ein Eingeständnis des Messproblems dar. Schließlich bleibt unklar, welche Wechselwirkung den Rang einer Messung hat und wie dieser Mechanismus physikalisch zu verstehen ist.
In der bohmschen Mechanik gibt es hingegen einen einfachen Mechanismus, der die Komponente der Wellenfunktion auszeichnet, die dem tatsächlichen Messresultat entspricht: Es ist der Teilchenort, der in einer kontinuierlichen Bewegung einen Zweig der Wellenfunktion erreicht hat. Mit anderen Worten: verschiedene Messresultate sind in der De-Broglie-Bohm-Theorie durch unterschiedliche Konfigurationen unterschieden.
Eine radikale Neuerung der De-Broglie-Bohm-Theorie stellt ihre Umdeutung des Observablen-Konzepts der Quantenmechanik dar. Die übliche Quantenmechanik identifiziert alle Beobachtungsgrößen mit hermiteschen Operatoren, die auf dem Hilbertraum der Zustände wirken. Das Nichtvertauschen dieser Operatoren wird als Ausdruck der radikalen Neuheit der Quantenmechanik gedeutet.
Die De-Broglie-Bohm-Theorie schlägt hier einen anderen Weg ein. Sie zeichnet den Ort explizit aus und beschreibt ihn durch reelle Koordinaten sowie die Teilchengeschwindigkeit durch ein reelles Vektorfeld (auf dem Konfigurationsraum). Alle anderen Größen (Spin, Energie, Impuls usw.) haben lediglich einen abgeleiteten Status. Der Grund dafür ist einfach: Bei der Durchführung eines Experiments zur „Messung“ von z. B. der Spinkomponente wird (wie bei jedem anderen Ereignis) der Ausgang durch die Wellenfunktion und den Anfangsort festgelegt. Es findet also gar keine Messung im Wortsinn statt, d. h., es wird keine intrinsische Eigenschaft bestimmt, die auch unabhängig von der Messung besteht. Die etwas unglückliche Sprechweise lautet, dass diese Größen (also etwa der Spin) kontextualisiert werden, d. h., der Messwert vom jeweiligen Kontext der Messanordnung und dem Anfangsort abhängt. Konkret können etwa Fälle konstruiert werden, in denen an Systemen, die durch dieselbe Wellenfunktion beschrieben werden, durch unterschiedliche Anfangsorte unterschiedliche Spinkomponenten „gemessen“ werden. Diese Eigenschaft ist im Übrigen der Schlüssel, warum das Kochen-Specker-Theorem die Widerspruchsfreiheit der De-Broglie-Bohm-Theorie nicht betrifft. Die hermiteschen Operatoren der üblichen Quantenmechanik spielen in der bohmschen Mechanik keine fundamentale Rolle, sondern treten als mathematische Objekte auf, die Wahrscheinlichkeitsverteilungen kodieren (vgl.[6]).
Da die Wellenfunktion auf dem Konfigurationsraum $ R^{3N} $ (mit N der Teilchenanzahl) definiert ist, verknüpft die Führungsgleichung im Prinzip die Bewegung individueller Teilchen mit dem Ort aller anderen zum selben Zeitpunkt. Auf diese Weise können auch raumartig getrennte Objekte einander beeinflussen, d. h. diese Form der Wechselwirkung geschieht mit Über-Lichtgeschwindigkeit, sogar instantan. Durch diesen Mechanismus erklärt die bohmsche Mechanik den EPR-Effekt bzw. die Verletzung der Bellschen Ungleichung. Aufgrund der Quantengleichgewichtshypothese ist eine Signalübermittlung mithilfe dieser Korrelationen jedoch nicht möglich. Diese Form der „Einstein-Lokalität“ wird also sehr wohl respektiert.
Wenn der Mehrteilchenzustand jedoch nicht verschränkt ist, d. h., in die Anteile der einzelnen Teile faktorisiert, entkoppeln die Bewegungsgleichungen der bohmschen Mechanik und die entsprechenden Teilsysteme entwickeln sich unabhängig voneinander.
Resultate wie die bereits erwähnte Verletzung der Bellschen Ungleichungen oder das „Free Will Theorem“[7][8] von John Horton Conway und Simon Kochen zeigen, dass es keine Vervollständigungen bzw. Formulierungen der Quantenmechanik geben kann, die lokal und deterministisch sind.
Die De-Broglie-Bohm-Theorie beschreibt die Quantenphänomene deterministisch, d. h., alle Zustandsänderungen sind durch die Anfangsbedingungen (Wellenfunktion und Konfiguration) vollkommen festgelegt. Alle Wahrscheinlichkeitsaussagen sind lediglich der Unkenntnis der speziellen Anfangsorte geschuldet.
Im Gegensatz dazu wird in der üblichen Auffassung die prinzipielle Zufälligkeit von Quantenphänomenen behauptet, zum Beispiel beim Akt der Messung.
Es muss jedoch betont werden, dass aufgrund der Quantengleichgewichtshypothese die Unkenntnis über die Anfangsbedingungen in der De-Broglie-Bohm-Theorie prinzipiell ist und somit der deskriptive Gehalt beider Theorien identisch ist. In philosophischer Terminologie wird aus der ontologischen Unbestimmtheit der Quantenphysik (vereinfacht: es gibt keinen Ort) eine „epistemische“ Unbestimmtheit in der De-Broglie-Bohm-Theorie (es gibt einen Ort, er kann aber nicht erkannt werden).
Das Konzept der Komplementarität wurde eingeführt, um die gemeinsame Verwendung voneinander im strikten Sinne widersprechenden Beschreibungsarten in der Quantenmechanik zu rechtfertigen. Zum Beispiel sind nach üblicher Auffassung Wellen- und Teilcheneigenschaften komplementär zueinander. Damit meint man, dass sie sich gegenseitig ergänzen und bei ihrer Verwendung der jeweilige Anwendungsbereich beachtet werden muss.
In der bohmschen Mechanik sind Wellen- und Teilchencharakter von z. B. Elektronen jedoch eine einfache Folge der Tatsache, dass zu ihrer Beschreibung sowohl eine Teilcheneigenschaft verwendet wird (nämlich der Ort) als auch eine wellenartige Größe (die Wellenfunktion). Die Abbildung 1 stellt die Simulation einiger Trajektorien beim Doppelspaltversuch dar und illustriert diesen Punkt besonders anschaulich.
Die De-Broglie-Bohm-Theorie erlaubt – wie jede andere Theorie auch – verschiedene äquivalente Darstellungen. Unsere bisherige Präsentation hat zum Beispiel keinen Wert auf das sogenannte Quantenpotential gelegt und ist damit der Lesart von Bell gefolgt, die von Dürr u. a. weiterentwickelt wurde.[5] In vielen Darstellungen der De-Broglie-Bohm-Theorie wird das Quantenpotential jedoch als das entscheidende Merkmal hervorgehoben. Aus diesem Grund soll es an dieser Stelle hier auch erwähnt werden (andere Differenzen zwischen verschiedenen Schulen der De-Broglie-Bohm-Theorie betreffen den Status von Observablen und der Wellenfunktion und die Herleitung des Quantengleichgewichts).
In Bohms Präsentation der Theorie 1952[2] (sowie den Darstellungen anderer Autoren 1993[9][10]) wird die Neuartigkeit der De-Broglie-Bohm-Theorie in dem Auftreten eines zusätzlichen Potentialterms gesehen. Setzt man die Polardarstellung $ \psi =R\cdot e^{{\frac {i}{h}}S},\rho =R^{2} $ in die Schrödingergleichung ein und trennt Real- und Imaginärteil, wird man auf folgende Gleichungen geführt:
Der Ausdruck (3) ist gerade die Kontinuitätsgleichung der Quantenmechanik. Gleichung (4) entspricht der klassischen Hamilton-Jacobi Gleichung für die Wirkung $ S $. Hier tritt allerdings neben dem kinetischen Term und der potentiellen Energie ein zusätzlicher Term $ U_{quant} $ auf, das sog. Quantenpotential:
Die klassische Hamilton-Jacobi-Theorie ist eine Umformulierung der newtonschen (bzw. hamiltonschen) Mechanik. Die Hamilton-Jacobi-Gleichung ist erster Ordnung (allerdings nicht-linear). Die Geschwindigkeit (bzw. der Impuls) ist durch die Bedingung $ m\cdot v=\nabla S $ festgelegt. Dieses entspricht gerade der Führungsgleichung der De-Broglie-Bohm-Theorie.
Mit Hilfe des Quantenpotentials kann schließlich der bohmschen Bewegungsgleichung eine newtonsche Anmutung gegeben werden:
Da die Teilchenbewegung jedoch durch die Führungsgleichung bereits vollständig festgelegt ist, kann man auf die Herleitung über die Analogie zur Hamilton-Jacobi-Theorie sowie den zusätzlichen Potentialterm verzichten. Die Führungsgleichung kann z. B. auch direkt aus Symmetriebetrachtungen motiviert werden.[5] Durch die Quantenpotential-Formulierung wird man zudem zu dem Missverständnis eingeladen, dass die De-Broglie-Bohm-Theorie im Wesentlichen klassische Mechanik mit einem zusätzlichen Potentialterm sei. Im Grunde ist die Vorliebe für die eine oder andere Formulierung der Theorie jedoch eine Frage des Geschmacks. Zudem kann jede Formulierung einen sinnvollen Anwendungsbereich haben. So ist zum Beispiel das Problem des klassischen Grenzwerts der De-Broglie-Bohm-Theorie besonders intuitiv in der Quantenpotential-Fassung zu formulieren.
Die De-Broglie-Bohm-Theorie wird lediglich von einer kleinen Minderheit von Physikern vertreten. Dies liegt allerdings nur zum Teil an expliziter Kritik an dieser Theorie, sondern auch daran, dass die De-Broglie-Bohm-Theorie keine neuen experimentell überprüfbaren Voraussagen macht, sondern als Beitrag zu Interpretationsfragen in der Physik von Interesse ist. An diesen Diskussionen nehmen die meisten Wissenschaftler nicht teil.
Die Kritik, die an der De-Broglie-Bohm-Theorie geäußert wird, lässt sich in verschiedene Gruppen unterteilen. Etwa kann man der Theorie vorwerfen, dass sie den Ortsraum auszeichnet und dass die Wellenfunktion auf die Teilchenorte wirkt, aber nicht umgekehrt. Zudem kann es als unbefriedigend erscheinen, dass die De-Broglie-Bohm-Theorie die Welt mit „leeren“ Wellenfunktionen bevölkert, d. h. jenen Komponenten, die keine Teilchenbahn enthalten und aufgrund von Dekohärenz keinen Einfluss mehr auf die Teilchendynamik haben sollten. Statt darin eine Kritik zu sehen, werden diese Eigenschaften mitunter auch als bemerkenswerte Neuerungen der Naturbeschreibung aufgefasst.
Häufig wird die Nichtlokalität der De-Broglie-Bohm-Theorie als Einwand vorgebracht. Diesem lässt sich auf verschiedenen Ebenen erwidern. Zum einen gibt es angesichts der Verletzung der bellschen Ungleichungen zahlreiche Physiker, die ebenso die „Nichtlokalität“ der üblichen Quantenmechanik behaupten. Zumindest ist der EPR-Effekt zwischen raumartig entfernten Objekten ein experimentelles Faktum. Diese Diskussion leidet daran, dass man dem Begriff der Nichtlokalität bzw. Nicht-Separabilität zahlreiche Bedeutungen geben kann. So wird etwa die „Signal-Lokalität“, d. h. keine Signalausbreitung mit Überlichtgeschwindigkeit, sowohl von der Quantenmechanik als auch von der De-Broglie-Bohm-Theorie respektiert.
Man kann die Auffassung vertreten, dass der Vorwurf der Nichtlokalität eine nicht-relativistische Theorie wie die bohmsche Mechanik gar nicht trifft. Der Vorwurf der Nichtlokalität ist in der Regel mit dem Zweifel verbunden, eine befriedigende relativistische (und quantenfeldtheoretische) Verallgemeinerung der De-Broglie-Bohm-Theorie angeben zu können. Dieser Einwand stellt die Verallgemeinerungsfähigkeit der De-Broglie-Bohm-Theorie in Frage und sucht eine stärker inhaltliche Auseinandersetzung mit der Theorie, oder verlangt ihre Weiterentwicklung. Vor allem die Quantengleichgewichtsbedingung und die Forderung der Lorentzkovarianz scheinen sich zu widersprechen,[11] d. h. in einer „bohmartigen“ relativistischen Theorie muss ein ausgezeichnetes Bezugssystem eingeführt werden. Allerdings existieren „bohmartige“ Modelle der Dirac-Theorie, in denen dieses ausgezeichnete Bezugssystem ohne experimentellen Effekt ist und alle statistischen Vorhersagen der relativistischen Quantenmechanik reproduziert werden können.[10]
Ebenso existieren verschiedene Ansätze einer „bohmartigen“ Quantenfeldtheorie. Während einige die „Teilchenontologie“ der nicht-relativistischen Formulierung beibehalten,[12][13][14][15] führen andere Felder als verborgene Parameter ein.[9][10][16] Dieser Ansatz ist bisher jedoch nur für bosonische Felder gelungen. Die weitere Entwicklung auf diesem Gebiet wird voraussichtlich eine große Rolle für die Rezeption der De-Broglie-Bohm-Theorie spielen. Eine genauere Auseinandersetzung mit Kritik an der De-Broglie-Bohm-Theorie findet sich in einem 2004 erschienenen Artikel von Passon.[17] Einen Überblick über die verschiedenen Ansätze zur quantenfeldtheoretischen Verallgemeinerung der De-Broglie-Bohm-Theorie gibt Struyve.[18]