Die Schrödingergleichung ist eine grundlegende Gleichung der Quantenmechanik. Sie beschreibt in Form einer partiellen Differentialgleichung die zeitliche Veränderung des quantenmechanischen Zustands eines nichtrelativistischen Systems. Die Gleichung wurde 1926 von Erwin Schrödinger zuerst als Wellengleichung aufgestellt[1] und bei ihrer ersten Anwendung erfolgreich zur Erklärung der Spektren des Wasserstoffatoms genutzt.
In der Schrödingergleichung ist der Zustand des Systems durch eine Wellenfunktion repräsentiert. Die Gleichung beschreibt deren zeitliche Veränderung dadurch, dass ein Hamiltonoperator auf die Wellenfunktion wirkt. Wenn das Quantensystem ein klassisches Analogon hat (z. B. Teilchen im dreidimensionalen Raum), lässt sich der Hamiltonoperator schematisch aus der klassischen Hamiltonfunktion erhalten. Für manche Systeme werden Hamiltonoperatoren auch direkt nach quantenmechanischen Gesichtspunkten konstruiert (Beispiel: Hubbard-Modell).
Im Allgemeinen verändert die Wellenfunktion ihre Form in Abhängigkeit von der Zeit. Damit können physikalische Prozesse beschrieben werden wie z. B. die Ausbreitung, Streuung und Interferenz von Teilchen. Bei speziellen Wellenfunktionen bewirkt der Hamiltonoperator aber keine Änderung der Form, sondern nur der komplexen Phase, so dass sich das Betragsquadrat der Wellenfunktion mit der Zeit nicht ändert. Die entsprechenden Zustände sind stationäre Zustände, auch als Eigenzustände des Hamiltonoperators bezeichnet. Die Schrödingergleichung ermöglicht die Berechnung der durch solche Zustände definierten Energieniveaus.
Die Schrödingergleichung bildet das Fundament für fast alle praktischen Anwendungen der Quantenmechanik. Seit 1926 gelang mit ihr die Erklärung vieler Eigenschaften von Atomen und Molekülen (bei denen die Elektronenwellenfunktionen als Orbitale bezeichnet werden) sowie von Festkörpern (Bändermodell).
Die nach ihm benannte Gleichung wurde von Schrödinger 1926 postuliert. Ausgangspunkt dabei waren die auf Louis de Broglie zurückgehende Vorstellung von Materiewellen und die Hamilton-Jacobi-Theorie der klassischen Mechanik. Die Wirkung
Die Schrödingergleichung kann nicht aus der klassischen Physik hergeleitet werden, sondern ist ein Postulat. Formal kann die Schrödingergleichung jedoch aus der Hamiltonfunktion (Ausdruck für die Energie) des betrachteten Problems
abgeleitet werden, indem man die klassischen Größen Energie, Impuls und Ort gemäß dem Korrespondenzprinzip durch die entsprechenden quantenmechanischen Operatoren ersetzt:
Anschließendes Anwenden auf die unbekannte Wellenfunktion
Auf die gleiche Weise kann die Hamilton-Funktion in einen Hamilton-Operator umgewandelt werden.
Historisch gesehen ging Schrödinger von Louis de Broglies Beschreibung freier Teilchen aus und führte in seiner Arbeit Analogien zwischen Atomphysik und elektromagnetischen Wellen, in Form von De-Broglie-Wellen (Materiewellen), ein:
wobei
Eine andere Möglichkeit, die Schrödingergleichung aufzustellen, benutzt den von Richard Feynman eingeführten Begriff des Pfadintegrals. Diese alternative Herleitung betrachtet die Wahrscheinlichkeiten für die verschiedenen Bewegungen (Pfade) des zu untersuchenden Teilchens von einem Ort
Die Schrödingergleichung in ihrer allgemeinsten Form lautet
Dabei bezeichnet
Ein quantenmechanischer Zustand wird durch einen Vektor im Hilbertraum
Die durch die Schrödingergleichung beschriebene Zeitentwicklung ist eine unitäre Transformation des Zustandsvektors im Hilbertraum. Da es sich dabei um eine lineare Transformation handelt, gilt das Superpositionsprinzip. Eine weitere Konsequenz ist die Möglichkeit der quantenmechanischen Verschränkung nicht wechselwirkender Teilsysteme.
Die Zeitentwicklung der Zustände wird durch die Anwendung eines Hamiltonoperators
Der Zeitentwicklungsoperator hat für zeitunabhängige Hamiltonoperatoren
Die Norm eines Zustands ist gleich der L2-Norm, die durch das Skalarprodukt induziert wird:
Die Wahrscheinlichkeitserhaltung (Erhaltung der Norm des Zustands) drückt sich durch die Unitarität des Zeitentwicklungsoperators
Setzt man die Erhaltung der Wahrscheinlichkeitsdichte in der Theorie voraus, so muss der Zeitentwicklungsoperator unitär sein. Die Änderung eines zeitabhängigen Zustandes
ansetzen kann. Damit reduziert sich das Postulieren der Schrödingergleichung auf die Bestimmung der Gestalt des hermiteschen Operators
Die Hermitezität ist eine Forderung, die an alle Operatoren der Quantenmechanik gestellt wird, die nach dem Korrespondenzprinzip Messergebnisse repräsentieren. Da Messergebnisse stets reell sein müssen, kommen als zugeordnete Operatoren nur hermitesche Operatoren in Frage. Solche Operatoren werden auch Observablen genannt.
Die von Schrödinger aufgestellte Gleichung ist Prototyp und Spezialfall des allgemeinen Schemas. Sie beschreibt die Quantenmechanik von nichtrelativistischen Punktteilchen, der Hilbertraum ist der Raum komplexwertiger Funktionen im Konfigurationsraum.
Die komplexwertige Wellenfunktion
wobei
Die Schrödingergleichung ist eine lineare partielle Differentialgleichung zweiter Ordnung. Aufgrund der Linearität gilt das Superpositionsprinzip: Wenn
Mit dem Hamiltonoperator
lässt sich die Schrödingergleichung in ihrer allgemeinen Form
schreiben.
Hinweis: Elektrodynamische Größen sind hier im CGS-Einheitensystem angegeben
Falls das Teilchen, wie im Falle eines Elektrons oder Protons, eine elektrische Ladung besitzt, so verallgemeinert sich bei Anwesenheit eines äußeren elektromagnetischen Feldes der Ein-Teilchen-Hamiltonoperator in der Orts-Darstellung zu
wobei hier
Der Hamiltonoperator eines Vielteilchensystems ist die Summe der Ein-Teilchen-Hamiltonoperatoren und der Wechselwirkungsenergien (zum Beispiel der Coulomb-Wechselwirkungen zwischen den Teilchen)
Mehrere Teilchen werden durch eine einzelne Wellenfunktion
Mit der Schrödingergleichung wurde die Ad-hoc-Konstruktion des bohrschen Atommodells überwunden (wie zuvor schon mit der umständlicheren Heisenberg'schen Matrizenmechanik). Die diskreten Energieniveaus des Wasserstoffatoms, die im Bohrschen Modell stationären klassischen Bahnen eines Elektrons im Coulombpotential des Atomkerns zugeordnet sind, ergeben sich im Rahmen der Schrödingergleichung als Eigenwerte der Schrödingergleichung für ein Elektron im Potential des Atomkerns.
Während die Bahn
In der Schrödingergleichung kommen die Wellenfunktion und die Operatoren im sogenannten Schrödinger-Bild vor, in dem eine Bewegungsgleichung für die Zustände betrachtet wird. Im Heisenberg-Bild werden stattdessen Bewegungsgleichungen für die Operatoren selbst betrachtet. Diese Bewegungsgleichungen werden als Heisenbergsche Bewegungsgleichung bezeichnet. Die beiden Formulierungen sind mathematisch äquivalent.
Die Schrödingergleichung ist deterministisch, das heißt, dass ihre Lösungen bei Vorgabe von Anfangsbedingungen eindeutig sind. Andererseits sind die Lösungen der Schrödingergleichung nach der Kopenhagener Deutung statistische Größen, aus denen nur Aussagen über die Mittelwerte von Messergebnissen in gleichartigen Versuchsanordnungen folgen. Nach der Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik liegt dies nicht an einem Mangel der Messanordnung, vielmehr ist dies durch die Natur selbst bedingt.
Für die statistische Interpretation der Quantenmechanik ist es notwendig, die Lösungen der Schrödingergleichung so zu normieren, dass
ist. Diese sogenannte Normierungsbedingung sagt aus, dass die Wahrscheinlichkeit, dass das Teilchen irgendwo im gesamten Raum zu finden ist, bei 1 liegt. Für die so erhaltenen normierten Lösungen entspricht dann
Da die Schrödinger-Gleichung invariant ist unter der Phasentransformation
Aus der Wellenfunktion ergeben sich die physikalischen Eigenschaften des Teilchens. Beispielsweise wird der klassische Wert für den Ort des Teilchens
ersetzt, während der klassische Wert für den Impuls des Teilchens durch folgenden Mittelwert ersetzt wird:
Jede klassische Messgröße
Der Ausdruck
Für ein System mit Hamiltonoperator
naheliegend. Hierbei ist die Zeitabhängigkeit des Zustandsvektors durch einen Faktor
Entsprechend der Planckschen Formel hat ein solches System die Energie
Diskrete Eigenwerte entsprechen diskreten Energieniveaus des Systems („Quantisierung als Eigenwertproblem“).
Anmerkung: Eine gebräuchliche Ortsraumdarstellung der „zeitfreien“ (stationären) Schrödingergleichung lautet:
Die Lösungen der Schrödingergleichung (bzw. Pauligleichung) beinhalten im Prinzip die ganze Festkörperphysik und Chemie (eine Einschränkung: für innere Elektronen schwerer Atome sind relativistische Korrekturen nicht mehr klein). Lösungen in geschlossener Form gibt es nur für einige 1-Elektron-Systeme (Wasserstoffatom, Potentialbarriere, harmonischer Oszillator, Morse-Potential, …). Ab Heliumatom oder Wasserstoffmolekül ist man auf numerische Techniken angewiesen.
Mit Computerunterstützung und geeigneten Methoden (Störungsrechnung, Variationsansätze, …) lassen sich Systeme mit bis zu etwa 10 Elektronen numerisch ohne Näherung behandeln, d. h. die Verfahren konvergieren mit steigendem Rechenaufwand gegen die exakte Lösung. Ein Beispiel solcher Verfahren ist Configuration Interaction.
Bei diesen prinzipiell exakten Verfahren ist im
Größere Systeme werden daher mit Näherungsverfahren untersucht. Bekannte Verfahren sind die Hartree-Fock-Näherung, Erweiterungen und die Split-Operator-Methode in der Theoretischen Chemie.
Eine Sonderrolle spielt die auf Walter Kohn zurückgehende Dichtefunktionaltheorie, da diese gezielt die Exponentialbarriere umgeht. Damit lassen sich mit ab initio-Rechnungen Gitterkonstanten und Bindungsenergien auch komplizierter Atome und Verbindungen mit Fehlern im Prozentbereich berechnen.
Im eindimensionalen Fall eines freien Teilchens reduziert sich der Laplace-Operator zu einer doppelten Ableitung und das Potential
Im Fall einer gaussförmigen Amplitudenverteilung ist eine Lösung der eindimensionalen Schrödingergleichung mit verschwindendem Potential:
Hier ist
Dieses Beispiel beschreibt ein einfaches Modell für chemische Bindung (siehe Feynman Lectures[3]). Ein Elektron ist an einen Atomkern 1 gebunden und befindet sich im Zustand
Durch Addition und Subtraktion dieser Gleichungen sieht man, dass es neue stationäre Zustände in Form von Superpositionen aus
denn für diese findet man mit elementarer Algebra
Die Vorfaktoren der stationären Zustände werden wieder als messbare Energien interpretiert. Eine der beiden Energien
(je nach Vorzeichen von
Für die Schrödingergleichung in einem Hilbertraum lässt sich mathematisch zeigen, dass der Hamiltonoperator
Die Schrödingergleichung ohne Potential (freie Schrödingergleichung)
kann mittels Fourier-Transformation behandelt werden und der freie Schrödingeroperator ist auf dem Sobolev-Raum
Die Normerhaltung
lässt sich durch Fourier-Transformation zeigen. Sie drückt im Fall
Es gilt
Diese Eigenschaft drückt das Zerfließen der Wellenpakete aus.
Die Schrödingergleichung mit einem Potential
kann mit Methoden der Störungstheorie behandelt werden. Zum Beispiel folgt aus dem Satz von Kato-Rellich: Gilt in drei (oder weniger) Dimensionen
das durch Separation in Kugelkoordinaten explizit lösbar ist. Betrachtet man Atome mit mehr als einem Elektron oder Moleküle, so wurde die Selbstadjungiertheit erst später von Tosio Kato bewiesen. Die Struktur des essentiellen Spektrums wird in diesem Fall durch das HVZ-Theorem (nach W. Hunziker, C. van Winter und GM Zhislin) beschrieben. Solche Modelle können in der Regel nur numerisch gelöst werden.
Die eindimensionale Schrödingergleichung ist ein Spezialfall einer Sturm-Liouville-Gleichung.
Die Wechselwirkung des Spins oder Eigendrehimpulses des Teilchens mit einem äußeren Magnetfeld wird in obiger Form der Schrödingergleichung nicht berücksichtigt. Wenn diese Wechselwirkung nicht vernachlässigt werden soll, ist für ein Elektron bei Anwesenheit eines äußeren Magnetfeldes die Pauli-Gleichung zu benutzen.
Die Pauli-Gleichung ist jedoch nicht lorentzinvariant, sondern „nur“ Galilei-invariant (nicht relativistisch). Die korrekte relativistische Verallgemeinerung der Schrödinger- und auch der allgemeineren Pauli-Gleichung stellt für Fermionen die lorentzinvariante Diracgleichung dar, die im Gegensatz zur Schrödingergleichung eine partielle Differentialgleichung 1. Ordnung ist.
Eine Reihe von Problemen in der Physik führt auf eine Verallgemeinerung, die nichtlineare Schrödingergleichung
mit einem nichtlinearen Selbstwechselwirkungsterm
Nimmt man eine gravitative Selbstwechselwirkung der Teilchen an, enthält man die nichtlineare Schrödinger-Newton-Gleichung.
Schrödingers Originalarbeiten
Die Schrödingergleichung wird in allen üblichen Lehrbüchern der Quantenmechanik behandelt, zum Beispiel:
Mathematik: