Der harmonische Oszillator in der Quantenmechanik beschreibt analog zum harmonischen Oszillator in der klassischen Physik das Verhalten eines Teilchens in einem Potential der Form
Ein solches quadratisches Potential bezeichnet man auch als harmonisches Potential. Klassisch erhält man dieses Potential für ein System, dessen Rückstellkraft proportional zur Auslenkung aus der Ruhelage ist.
Da ein beliebiges Potential in der Nachbarschaft einer stabilen Gleichgewichtslage näherungsweise als harmonisches Potential beschrieben werden kann, ist dies eines der wichtigsten Modellsysteme in der Quantenmechanik. Zudem ist es eines der wenigen quantenmechanischen Systeme, für die eine genaue analytische Lösung bekannt ist.
Der Hamilton-Operator oder auch Energieoperator, der in der Quantenmechanik die Gesamtenergie (kinetische Energie + potentielle Energie) beschreibt, ist für den harmonischen Oszillator
Dabei ist $ m $ die Teilchenmasse und $ \omega $ die Eigenkreisfrequenz des Oszillators. In der Ortsdarstellung ist der Ortsoperator $ {\hat {x}}=x $ und der Impulsoperator $ {\hat {p}}=-\mathrm {i} \hbar \nabla $. Die quadrierte Ortsableitung ist durch den Laplace-Operator $ \nabla ^{2}=\Delta $ ausgedrückt.
Die stationäre Schrödinger-Gleichung
lautet damit für den eindimensionalen harmonischen Oszillator
Die Eigenfunktionen $ \psi _{n}(x) $ des harmonischen Oszillators ergeben sich durch Lösen dieser linearen Differentialgleichung. Diese Lösungen sind die Hermite-Funktionen (Herleitung z. B. über die Leiteroperatormethode möglich):
Dabei sind $ H_{n}(y) $ die Hermite-Polynome:
also
Der Term $ e^{-{\frac {1}{2}}{\frac {m\omega }{\hbar }}x^{2}} $ beschreibt den exponentiellen Abfall im Außenbereich, wo das Oszillatorpotential die Energie des Zustands übersteigt. Bei der Berechnung von Hand ist folgende Relation oft von Nutzen:
$ \int _{-\infty }^{\infty }x^{2n}e^{-ax^{2}}dx=\Gamma \left({\frac {1}{2}}+n\right){\sqrt {\frac {1}{a^{2n+1}}}}={\frac {(2n-1)!!}{2^{n}}}{\sqrt {\pi }}{\sqrt {\frac {1}{a^{2n+1}}}}={\frac {1\cdot 3\cdot 5\cdot \ldots \cdot \left(2n-1\right)}{2^{n}}}{\sqrt {\frac {\pi }{a^{2n+1}}}} $.
Der Grundzustand $ n=0 $ hat die Form einer Gauß-Kurve
Die nebenstehende obere Grafik zeigt die ersten acht Lösungen $ \psi _{n}(x) $ für die Wellenfunktion, darunter deren Betragsquadrat, das die Aufenthaltswahrscheinlichkeit eines Teilchens angibt. Das gegebene harmonische Potential ist die blaue Parabel. Die Höhen der Nulllinien entsprechen den Energieniveaus
der Lösungen.
Der Zustand mit der niedrigsten Energie liegt somit $ E_{0}={\frac {1}{2}}\hbar \omega $ über dem Potentialminimum.
Dadurch ist das Teilchen in Übereinstimmung mit der heisenbergschen Unschärferelation nicht exakt bei $ x=0,p=0 $ lokalisiert, wie man es von einem klassischen Oszillator erwarten würde. Man spricht hier von einer Nullpunktenergie bzw. Nullpunktsschwingung. In den Quantenfeldtheorien führt dies zu Vakuumfluktuationen.
Das Problem des harmonischen Oszillators in der Quantenmechanik lässt sich auch mithilfe der Methode der Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren behandeln. Sie wurde von Paul Dirac, basierend auf Arbeiten von Niels Bohr und Otto Wiener, entwickelt. Dieser Lösungsweg wird auch algebraische Methode genannt.
Für diesen Lösungsweg definiert man den Operator
Der adjungierte Operator ist dann
Daraus folgt die Darstellung des Impulsoperator und des Ortsoperators durch
Unter Benutzung der kanonischen Vertauschungsrelation $ [{\hat {p}},{\hat {x}}]=-i\hbar $ kann man zeigen, dass sich der Hamiltonoperator mit Hilfe des Produkts aus $ {\hat {a}} $ und $ {\hat {a}}^{\dagger } $ darstellen lässt
Ebenso ergibt sich die Vertauschungsrelation $ [{\hat {a}},{\hat {a}}^{\dagger }]=1 $, mit der man die Operatoridentitäten
zeigen kann. Wenn $ |\psi \rangle $ ein Energieeigenzustand von $ {\hat {H}} $ ist, dann ist $ {\hat {a}}^{\dagger }|\psi \rangle $ ebenfalls ein Energieeigenzustand, und zwar mit einer um $ \hbar \omega $ höheren Energie. Entsprechend ist $ {\hat {a}}|\psi \rangle $ Eigenzustand mit um $ \hbar \omega $ niedrigeren Energie. Da die Anwendung dieser Operatoren die Energie des Zustandes um jeweils ein Energiequant verändern, bezeichnet man sie als Leiteroperatoren oder auch als Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren. Da der Operator $ {\hat {H}} $ als Summe von Quadraten hermitescher Operatoren positiv definit ist, ist die Energie nach unten beschränkt. Wiederholte Anwendung des Absteigeoperators $ {\hat {a}} $ auf einen Eigenzustand würde aber zu negativen Eigenwerten der Energie führen, wenn sie nicht an einem Zustand $ |\psi _{0}\rangle $ abbricht, bei dem $ {\hat {a}}|\psi _{0}\rangle $ gleich dem Nullvektor ist. Dies ist der Grundzustand, seine Eigenwertgleichung ist
Die Grundzustandsenergie ist also $ \hbar \omega /2 $. Der $ n $-te angeregte Zustand ergibt sich durch $ n $-fache Anwendung des Aufsteigeoperators: $ |\psi _{n}\rangle ={\frac {1}{\sqrt {n!}}}\left({\hat {a}}^{\dagger }\right)^{n}|\psi _{0}\rangle $. (Der Vorfaktor ergibt sich aus der Forderung, dass die Eigenzustände normiert sein sollen.) Seine Energie ist $ E_{n}=(n+1/2)\hbar \omega $. Zur Vereinfachung schreibt man die Eigenzustände zur Energie $ E_{n} $ auch einfach als $ |n\rangle $. Aus der Darstellung von $ {\hat {H}} $ folgt, dass die Anwendung des Operators
auf Energieeigenzustände gerade die Zahl $ n $, also die Anzahl der Energiequanten ergibt, weswegen er auch Anzahloperator genannt wird.
Statt aus der Schrödingergleichung lässt sich die Wellenfunktion $ \psi _{0}(x) $ des Grundzustands $ |\psi _{0}\rangle $ leicht durch die Differentialgleichung 1. Ordnung finden, die sich aus $ {\hat {a}}|\psi _{0}\rangle =0 $ ergibt. Die Wellenfunktionen der angeregten Zustände erhält man durch $ n $-fache Anwendung des Aufsteigeoperators auf $ \psi _{0}(x) $.
Diese Methode ist ein sehr eleganter Weg, den harmonischen Oszillator zu behandeln. Sie hat aber noch wesentlich weiter reichende Anwendungen. Stellt man sich etwa elektromagnetische Strahlung, aus Photonen zusammengesetzt vor, so kommt man leicht dazu, für Photonen ebenfalls Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren aufzustellen. Tatsächlich lässt sich sogar zeigen, dass man das elektromagnetische Feld als Ansammlung von harmonischen Oszillatoren beschreiben kann. Dabei steht jeder Oszillator für eine Lichtwelle bestimmter Frequenz $ \omega $, Ausbreitungsrichtung und Polarisation. Dabei gibt dann $ n $ die Anzahl der Photonen in dieser „Mode“ des Lichtfeldes an. Allgemein nennt man ein solches Vorgehen zweite Quantisierung.
Eine detaillierte Berechnung der Eigenwerte des (eindimensionalen) Oszillators ist im Artikel Erzeugungs- und Vernichtungsoperator unter bosonische Kletteroperatoren zu finden.
Im Grenzfall großer Quantenzahlen $ n $ geht die Aufenthaltswahrscheinlichkeit in die klassische Aufenthaltswahrscheinlichkeit über. Diese klassische Wahrscheinlichkeitsdichte ist proportional zur inversen Geschwindigkeit $ 1/v $. Je kleiner die Geschwindigkeit $ v $ des klassischen Teilchens im Potential ist, desto länger verweilt es an einem entsprechenden Ort. Die Geschwindigkeit kann man direkt aus dem Energiesatz ableiten. Die folgende Abbildung zeigt die klassische und die quantenmechanische Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte. Je größer $ n $ wird, desto ähnlicher werden sich die Kurven:
Bringt man ein lokalisiertes Wellenpaket in ein harmonisches Potential (siehe Abbildung rechts), so verhält es sich wie ein klassisches Teilchen in diesem Potential (daher quasiklassischer Zustand). Trifft es auf die Potentialränder, so wird es umdrehen und zurücklaufen. Effektiv führt es dann eine Schwingung im Potential aus.
Mathematisch entsprechen diese Zustände kohärenten Zuständen. Sie werden durch eine komplexe Zahl $ \alpha $ charakterisiert und lassen sich als Linearkombination der Zustände $ \left|n\right\rangle $ darstellen:
Wichtig sind solche Zustände bei der Beschreibung von kohärenter Strahlung, da man zeigen kann, dass sich das Lichtfeld in der Quantenfeldtheorie auf harmonische Oszillatoren (einer für jede Mode des Feldes) zurückführen lässt (siehe auch kohärente Strahlung). Die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Besetzungszahlen kohärenter Zustände folgt (wie die Photonenstatistik von kohärentem Licht) der Poisson-Verteilung:
Ein dem quasiklassischen Zustand ähnlicher Zustand wird erzeugt, wenn man ein zweiatomiges Molekül (z. B. Wasserstoff H2) mit Hilfe von intensiven Femtosekundenlasern anregt.[1] Oben wurde bereits erläutert, dass man für die Schwingung zweiatomiger Moleküle den harmonischen Oszillator als Näherung verwenden kann. In der folgenden Abbildung ist das Geschehen gezeigt:
Zunächst wird mit einem Laserpuls eine tiefliegende schmale Wellenfunktion in einen höheren Energiezustand angehoben. Dort bleibt sie weiter lokalisiert und beginnt sich als „quasiklassischer Zustand“ im Potential zu bewegen. Zur Messung wird dann ein zweiter Puls eingestrahlt, der das Molekül ionisiert. Die Position der Wellenfunktion gibt den Abstand der Atome im Molekül an. Aus der kinetischen Energie der Bruchstücke kann auf diesen Abstand und die Form des Wellenpakets geschlossen werden.
Der eindimensionale harmonische Oszillator kann leicht auf den N-dimensionalen Fall erweitert werden. Der Hamilton-Operator in N Dimensionen ist
Daraus wird deutlich, dass der N-dimensionale harmonische Oszillator genau N unabhängigen eindimensionalen harmonischen Oszillatoren mit der gleichen Masse und Rückstellkraft entspricht, denn eine Summe aus N unabhängigen Eigenfunktionen für jede Koordinate nach dem obigen eindimensionalen Schema löst die Schrödingergleichung. Dies ist eine vorteilhafte Eigenschaft des $ r^{2}=x_{1}^{2}+x_{2}^{2}+\dots +x_{N}^{2} $ Potentials (vgl. Satz des Pythagoras), welches es ermöglicht die potentielle Energie in Terme zu trennen, die nur von jeweils einer Koordinate abhängen.
Die möglichen Energieniveaus ergeben sich entsprechend zu
Zu beachten ist jedoch, dass die Energieniveaus $ E_{n} $ des N-dimensionalen Oszillators entsprechend der kombinatorischen Möglichkeiten zur Realisierung der Niveaus $ g_{n} $-fach entartet sind wie folgt:
Betrachtet man im einfachsten Fall ein System aus zwei eindimensionalen Teilchen, welche nur durch eine harmonische Kraft $ F=-k(x_{2}-x_{1}) $ aneinandergekoppelt sind, so ergibt sich dafür der Hamilton-Operator
Da $ (x_{2}-x_{1})^{2}=x_{1}^{2}+x_{2}^{2}-2x_{1}x_{2} $ eine einfache Separation der Schrödingergleichung zunächst verhindert, bietet sich eine Transformation in Schwerpunkt-Koordinaten $ x_{1}',x_{2}' $ an:
Die Impulse lassen sich durch die Impulse der Schwerpunktkoordinaten ausdrücken als
Damit gelingt die Separation des Hamiltonoperators
Dies entspricht einem einzelnen harmonischen Oszillator bzgl. der Differenzschwingung $ x_{2}',p_{2}' $ der 2 Teilchen (mit doppelter reduzierter Masse), wobei sich das System als Ganzes $ (x_{1}',p_{1}') $ zusätzlich wie ein freies Teilchen bewegt. Die Lösung der Schrödingergleichung führt entsprechend zu den harmonischen Energieniveaus
Bei einer Kette aus N derart paarweise harmonisch hintereinander gekoppelter Teilchen (eindimensionales Gitter) findet man ähnlich eine Koordinatentransformation $ {\vec {x}}'=M{\vec {x}} $ derart, dass $ N-1 $ voneinander unabhängige kollektive harmonische Schwingungen (plus eine kommunale Schwerpunktsbewegung) resultieren.[2]
Bei dreidimensionalen Kristallgittern in der Festkörperphysik führt diese Betrachtung dann zu den Phononen.
Der harmonische Oszillator ist ein wichtiges Modellsystem der Quantenphysik, da es eines der wenigen geschlossen (also ohne Näherungen und numerische Methoden) lösbaren Systeme der Quantenmechanik ist. Mit ihm können eine Reihe physikalischer Sachverhalte näherungsweise beschrieben werden: