Die Molekülphysik ist ein Teilgebiet der Physik, das sich mit der Untersuchung der chemischen Struktur (z. B. Bindungslängen und -winkel), der Eigenschaften (z. B. Energieniveaus) und des Verhaltens (z. B. Reaktionsprozesse) von Molekülen beschäftigt. Daher kann die Molekülphysik auch als Grenzgebiet zwischen Physik und Chemie aufgefasst werden. Untersuchungsobjekte und -methoden entsprechen weitgehend denen der physikalischen Chemie.
Grundlagen sind die Erkenntnisse der Atomphysik und Quantenmechanik. Ein wichtiges Modell zu Berechnung der Moleküleigenschaften ist die Born-Oppenheimer-Näherung. Das in der Atomphysik wichtige Orbitalmodell wird in der Molekülphysik um Molekülorbitale erweitert.
Eine der wichtigsten Messmethoden der Molekülphysik ist die Schwingungsspektroskopie bzw. Molekülspektroskopie, in der nicht nur die elektronischen Energiezustände, sondern auch Schwingungs- und Rotationszustände auftreten.
In Molekülen werden die (von den Atomen bekannten) elektronischen Energieniveaus von Schwingungs- und diese von Rotationszuständen weiter unterteilt. Die Energieabstände zwischen elektronischen Zuständen sind am größten und liegen bei einigen Elektronenvolt, die zugehörige Strahlung liegt etwa im sichtbaren Bereich. Die Strahlung von Schwingungsübergängen liegt im mittleren Infrarot (ungefähr zwischen 3 und 10 µm), die von Rotationsübergängen im fernen Infrarot (ca. zwischen 30 und 150 µm). Das Spektrum eines Moleküls besteht in der Regel aus viel mehr Linien als das eines Atoms. Zu einer Änderung des elektronischen Zustandes gehört ein sogenanntes Bandensystem, wobei jede einzelne Bande einem gleichzeitigen Schwingungsübergang beim elektronischen Übergang entspricht. Jede Bande besteht wiederum aus einzelnen Spektrallinien, zu denen jeweils ein parallel zum elektronischen Übergang und zum Schwingungsübergang stattfindender Rotationsübergang gehört.
Hier werden vor allem zweiatomige Moleküle betrachtet, bei denen die Zustände einfacher dargestellt werden können.
Näherungsweise (für niedrige Rotationsquantenzahlen, das heißt, wenn das Molekül nicht so schnell rotiert, dass der Kernabstand merklich steigt) kann man das Molekül als Starrer Rotator betrachten, das heißt, der Abstand zwischen den Atomkernen ist konstant. Es kommt zur Quantisierung des Drehimpulses ($ {\vec {L}}_{N} $ genannt, obwohl die zugehörige Quantenzahl $ J $ genannt wird):
mit den Rotationsquantenzahlen $ J=0,1,2,\ldots $ und der vom Planckschen Wirkungsquantum abgeleiteten Größe $ \hbar ={\frac {h}{2\pi }} $. Die Rotationsenergie ist
mit dem Trägheitsmoment $ I $ und der sogenannten Rotationskonstante
des Moleküls. Durch spektroskopische Messungen kann man die Rotationskonstante bestimmen und so auf das Trägheitsmoment und den Kernabstand schließen.
Der Abstand zwischen den Energieniveaus $ J=n $ und $ J=n+1 $ beträgt $ \Delta E=(2+2n)\cdot hcB $, steigt also mit steigender Quantenzahl. Die Auswahlregel für Übergänge mit Absorption oder Emission eines Photons ist $ \Delta J=\pm 1 $, zusätzlich muss das Molekül ein permanentes Dipolmoment besitzen, was bei Molekülen mit zwei gleichartigen Atomen nicht der Fall ist; deshalb haben diese Moleküle kein reines Rotationsspektrum.
Die Energieunterschiede zwischen Rotationsniveaus liegen im Bereich der typischen thermischen Energien von Teilchen bei Zimmertemperatur. Im thermischen Gleichgewicht sind die Energiezustände nach der Boltzmann-Statistik besetzt. Dabei muss man aber beachten, dass es sich bei dem Zustand mit der Quantenzahl J eigentlich um $ 2J+1 $ entartete Zustände (mit den Richtungsquantenzahlen $ m_{J}=-J,-J+1,\ldots -1,0,1,\ldots ,J-1,J $) handelt. Die Besetzungsdichte ist daher proportional zu $ \left(2J+1\right)\cdot e^{-{\frac {hcBJ\left(J+1\right)}{kT}}} $. Das Rotationsspektrum ist außerdem noch von den Übergangswahrscheinlichkeiten zwischen den Zuständen abhängig. Wenn diese ungefähr gleich sind, dann spiegeln die Intensitäten der Spektrallinien die Besetzungsdichten wider. Typischerweise steigt die Besetzungsdichte von $ J=0 $ weg mit steigendem J anfangs durch den Faktor $ 2J+1 $ bis zu einem Maximum, um dann durch den exponentiellen Faktor wieder abzufallen; so sehen dann auch oft Rotationsspektren aus. Die Abstände zwischen den Spektrallinien sind dabei alle gleich, weil die Abstände zwischen den Energieniveaus bei einer Erhöhung von J um 1 immer um $ 2hcB $ steigen und durch die Auswahlregel nur Übergänge zum nächstgelegenen Niveau möglich sind.
Die Atome eines zweiatomigen, hantelförmigen, Moleküls können auch gegeneinander schwingen. Die einfachste Näherung ist hier eine harmonische Schwingung; die potentielle Energie eines Atoms muss hier mit der Entfernung von einem Gleichgewichtsabstand r0 zum anderen Atom quadratisch ansteigen. Die Energieniveaus eines quantenmechanischen harmonischen Oszillators (Quantenzahl $ \nu $) sind äquidistant:
Reale Moleküle weichen jedoch stark von diesem Verhalten ab, das Potenzial ist nicht harmonisch (anharmonischer Oszillator) und steigt bei Annäherung an das andere Atom viel stärker an als bei Entfernung - hier nähert es sich asymptotisch der Dissoziationsenergie $ E_{\rm {dis}} $ des Moleküls. Eine bessere Näherung als das harmonische Potenzial ist das sogenannte Morse-Potential.
$ E_{0} $ ist die Nullpunktenergie des Potenzials, $ a $ ein Parameter:
$ k $ ist hier die Federkonstante des am besten passenden harmonischen Potenzials.
Diese Funktion bildet das reale Potenzial deutlich besser ab. Die Schrödinger-Gleichung ist in quadratischer Näherung (Taylorentwicklung des Morsepotentials) analytisch lösbar. Die Energieniveaus können so berechnet werden: $ E_{\nu }=\hbar \omega _{0}\cdot \left(\nu +{\frac {1}{2}}\right)-{\frac {\hbar ^{2}\omega _{0}^{2}}{4E_{\rm {dis}}}}\cdot \left(\nu +{\frac {1}{2}}\right)^{2}\qquad {\text{mit}}\quad \omega _{0}=a{\sqrt {\frac {2E_{\text{dis}}}{m_{r}}}} $
Im Gegensatz zum harmonischen Oszillator liegen nun die erlaubten benachbarten Schwingungszustände nicht mehr äquidistant, sondern verringern ihren Abstand näherungsweise mit $ \nu ^{2} $. Außerdem ist zu beachten, dass nur endliche viele gebundene Zustände existieren, wobei $ \nu _{\text{max}}=\lfloor {\frac {4E_{\text{dis}}-\hbar \omega _{0}}{2\hbar \omega _{0}}}\rfloor =\lfloor {\frac {1}{a\hbar }}{\sqrt {2E_{\rm {dis}}m_{r}}}\rfloor $ durch $ E_{\nu _{\text{max}}}=E_{\text{dis}} $ gegeben ist.
Die Auswahlregeln für Übergänge zwischen Schwingungsniveaus in der Dipolnäherung sind $ \Delta \nu =\pm 1 $ für den harmonischen Oszillator, für den anharmonischen Oszillator sind auch $ \Delta \nu =\pm 2,\pm 3,\dots $ mit abnehmender Wahrscheinlichkeit erlaubt. Bei Streckschwingungen muss zusätzlich ein Rotationsübergang stattfinden, es gilt dabei also $ \Delta J=\pm 1 $. Dabei unterscheidet man den sog. P- und R-Zweig, wobei P $ \Delta J=-1 $ und R $ \Delta J=+1 $ bezeichnet. Bei Beugeschwingungen ist auch ein Übergang ohne Änderung des Rotationszustandes möglich, den man Q-Zweig nennt.
Weil das Trägheitsmoment des Moleküls durch die Schwingungen schwankt, muss man zur Energie des Moleküls bei genauerer Betrachtung noch die Rotations-Schwingungs-Wechselwirkungsenergie addieren. Nach den folgenden Ansatz für die Gesamtenergie
kann man die sogenannten Dunham-Koeffizienten $ Y_{jk} $ den experimentellen Resultaten anpassen.
Das effektive Potenzial für die Molekülschwingung im zweiatomigen Molekül wird durch die Rotation erhöht ($ E_{pot,0} $ ist das Potenzial ohne Rotation):
Dadurch kommt es bei höheren Rotationsquantenzahlen zur Ausbildung einer sogenannten Rotationsbarriere: Bei steigender Entfernung der Atomkerne wächst das effektive Potenzial von einem Minimum (Gleichgewichtslage) zu einem Maximum (der Rotationsbarriere), das bereits über der Dissoziationsenergie liegt, um danach wieder zur Dissoziationsenergie abzufallen. Dadurch kann sich das Molekül in einem Schwingungszustand „hinter“ der Rotationsbarriere befinden, dessen Energie höher ist als die Dissoziationsenergie. Es kann dann zur Dissoziation durch den Tunneleffekt kommen. Bei sehr hohen Rotationsquantenzahlen wird auch das Potenzialminimum über die Dissoziationsenergie gehoben, bei noch höheren Rotationsquantenzahlen gibt es schließlich kein Minimum und somit keine stabilen Zustände mehr.
Ähnlich wie bei Atomen wird auch hier der Zustand eines Elektrons durch eine Hauptquantenzahl n und eine Bahndrehimpulsquantenzahl l angegeben, wobei den verschiedenen Werten von l wie beim Atom Buchstaben zugeordnet sind (s, p, d, f, …). Das elektrische Feld ist aber nicht mehr kugelsymmetrisch, deshalb muss sich der Bahndrehimpuls relativ zur Kernverbindungsachse einstellen. Die Projektion des Bahndrehimpulses $ {\vec {L}}_{l} $ auf die Kernverbindungsachse nennt man $ {\vec {L}}_{\lambda } $ mit der zugehörigen Quantenzahl λ. Für die unterschiedlichen Werte von λ schreibt man griechische Buchstaben, die den römischen Buchstaben bei den Werten von l entsprechen (σ, π, δ, φ, …). Man schreibt dann z. B. den Grundzustand des Wasserstoffmoleküls (1sσ)2: 2 Elektronen befinden sich im Grundzustand n = 1, l = 0, λ = 0.
Die Kopplung der einzelnen Drehimpulse zu einem Moleküldrehimpuls erfolgt zweckmäßig je nach den Stärken der Wechselwirkungen in unterschiedlicher Reihenfolge, man spricht von den Hundschen Kopplungsfällen (a) - (e) (nach Friedrich Hund).
Die Summe der auf die Kernverbindungsachse projizierten Bahndrehimpulse nennt man $ {\vec {L}}_{\Lambda } $ mit der Quantenzahl Λ; die Summe der Elektroneneigendrehimpulse (Spins) nennt man wie beim Atom $ {\vec {L}}_{S} $ mit der Quantenzahl S; die Projektion dieses Gesamtspins auf die Kernverbindungsachse nennt man $ {\vec {L}}_{\Sigma } $ mit der Quantenzahl Σ; die Summe von $ {\vec {L}}_{\Lambda } $ und $ {\vec {L}}_{\Sigma } $ nennt man $ {\vec {L}}_{\Omega } $ mit der Quantenzahl Ω. Der mechanischen Drehimpuls des Moleküls $ {\vec {L}}_{N} $ tritt mit den elektronischen Drehimpulsen auch noch in Wechselwirkung.
Für die elektronischen Zustände werden oft auch andere Bezeichnungen verwendet: X steht für den Grundzustand, A, B, C, … stehen für die immer höher angeregten Zustände (kleine Buchstaben a, b, c, … kennzeichnen in der Regel Triplettzustände).
Es ist üblich, den Hamiltonoperator nicht in SI-Einheiten, sondern in sogenannten atomaren Einheiten zu schreiben, da dies die folgenden Vorteile birgt:
Der Hamiltonoperator ergibt sich zu
mit
Hierbei sind $ i $ und $ j $ die Indizes über die Elektronen, $ \mu $ bzw. $ \nu $ die Indizes über die Atomkerne, $ r_{ij} $ der Abstand zwischen dem i-ten und dem j-ten Elektron, $ R_{\mu \nu } $ der Abstand zwischen dem $ \mu $-ten und dem $ \nu $-ten Atomkern und $ R_{i\mu } $ der Abstand zwischen dem $ i $-ten Elektron und dem $ \mu $-ten Atomkern, $ Z_{\mu } $ die Kernladungszahl des $ \mu $-ten Atomkerns.
Die zeitunabhängige Schrödingergleichung ergibt sich dann zu $ H\Psi =E\Psi $, wobei allerdings in der Praxis die Gesamtschrödingergleichung mit Hilfe der Born-Oppenheimer-Näherungen in eine elektronische Schrödingergleichung (mit festen Kernkoordinaten) und eine Kernschrödingergleichung aufgeteilt wird. Die Lösung der Kernschrödingergleichung setzt dabei die Lösung der elektronischen Schrödingergleichung für alle (relevanten) Kerngeometrien voraus, da die elektronische Energie als Funktion der Kerngeometrie dort eingeht. Die elektronische Schrödingergleichung ergibt sich formal durch setzen von $ T_{k}=0 $.