Energie-Zeit-Unschärferelation

Energie-Zeit-Unschärferelation

Die Energie-Zeit-Unschärferelation beschreibt eine Grenzbedingung für die erreichbare Messgenauigkeit von Energie und Zeit in der Quantenmechanik.

Einordnung

In vorläufiger Form wurde sie 1927 von Werner Heisenberg gefunden und mit der gleichzeitig gefundenen Unschärferelation für Ort und Impuls zunächst auf eine Stufe gestellt.[1] Wie die Ort-Impuls-Unschärferelation ist die Energie-Zeit-Unschärferelation prinzipieller Natur und nicht eine Folge unzulänglicher Messungen. Die beiden Relationen zeigen aber grundsätzliche Unterschiede, die auch jeweils eine eigene Interpretation erforderlich machen: Während Ort und Impuls eines Teilchens zu jedem Zeitpunkt beobachtbare Größen sind, wie sie in der Quantenmechanik durch Orts- und Impuls-Operatoren dargestellt werden, ist die Zeit keine im selben Sinne beobachtbare Größe und kann nicht widerspruchsfrei durch einen Zeitoperator dargestellt werden.[2]

Auch hier handelt es sich, wie bei allen Unschärferelationen, um eine direkte Anwendung des Satzes von Plancherel (1910).

Mathematische Beschreibung

Heisenberg leitete für das Produkt aus der Ungenauigkeit ΔE einer Energiemessung und der Dauer Δt, die diese Messung mindestens beansprucht, die Abschätzung

ΔEΔt

her, wobei das reduzierte plancksche Wirkungsquantum ist. Diese Form wird auch heute noch häufig benutzt. Dies kann zu einer echten Ungleichung

ΔEΔt2,

verschärft werden, in der ΔE die Standardabweichung der im System vertretenen Energiewerte ist und Δt die kleinstmögliche Zeitspanne, in der sich der Erwartungswert einer Observablen um eine Standardabweichung verändert.[3]

Auch ohne Bezug auf den Begriff Messgenauigkeit gilt in der Quantenmechanik grundsätzlich, dass ein System, dessen Zustand nicht zeitlich konstant bleibt, keine scharf bestimmte Energie haben kann. Denn nur die Eigenzustände zum Energieoperator sind stationäre Zustände. Je nach betrachtetem Fall können sich unterschiedliche Abschätzungen für das kleinstmögliche Produkt aus der Spannweite der beteiligten Energiewerte und einer für die Änderung des Systems charakteristischen Zeitspanne ergeben.

In populärwissenschaftlichen Darstellungen heißt es gelegentlich, die Energie-Zeit-Unschärferelation erlaube, für eine kurze Zeit Δt die Energieerhaltung um den Betrag ΔE zu verletzen; dies erkläre die „virtuellen Zustände“ und Vakuumfluktuationen in der Störungstheorie in Quantenmechanik und Quantenfeldtheorie. Dies ist nicht korrekt. Die Energieerhaltung ist immer strikt gewährleistet, und die genannten Begriffe aus der Störungstheorie bezeichnen mathematische Konstrukte, die als solche unbeobachtbar sind.

Wegen des quantenmechanischen Zusammenhangs E=ω zwischen Energie und Kreisfrequenz ω lässt sich die Energie-Zeit-Unschärferelation auch als Frequenz-Zeit-Unschärferelation schreiben:

ΔωΔt12.

Diese Relation wird z. B. in der Hochfrequenztechnik verwendet, um die Zeit Δt zu errechnen, die man praktisch benötigt, um eine Kreisfrequenz mit der Ungenauigkeit Δω zu bestimmen, wie dies von Küpfmüller 1924 auch genau so getan wurde.

Herleitungen

Eine allgemeine formale Herleitung

Die formale Herleitung legt die verallgemeinerte Form der Unschärferelation für den Hamilton-Operator H^ und einen beliebigen anderen Operator A^ zugrunde:[4]

ΔHΔA12|[H^,A^ ]|

Darin ist ΔH=ΔE die Standardabweichung der Energie und ΔA die Standardabweichung der Observablen A im betrachteten Zustand. Da aber für A^ nicht die Zeit gewählt werden darf, weil diese im Gegensatz zu Ort, Impuls, Drehimpuls, Energie etc. nicht durch einen Operator dargestellt werden kann, wird der Umweg über die zeitliche Änderung des Erwartungswerts von A^ genommen. Die Änderungsgeschwindigkeit ist nach dem Ehrenfest-Theorem (hierbei werden A^ und H^ als stationär, d. h. als nicht explizit zeitabhängig vorausgesetzt):

|ddtA^|=1|[H^,A^]|,

Schreiben wir ΔE statt ΔH, so gilt also

ΔEΔA2|ddtA^|.

Die Zeitspanne ΔtA wird eingeführt, indem

ΔA=|ddtA^|ΔtA.

gesetzt wird. ΔtA ist also kein Maß für eine Streuung, sondern die Zeit, die verstreichen muss, damit der Erwartungswert der Observablen A^ sich wesentlich, d. h. um eine Standardabweichung ΔA ändert. Wenn die letzte Ungleichung mit ΔtA multipliziert wird, lässt sich ΔA herauskürzen. Übrig bleibt die gesuchte Unschärferelation:

ΔEΔt2.

Da die rechte Seite der Ungleichung nicht von der Wahl von A^ abhängt, gilt sie allgemein und kann bei keiner Observablen unterschritten werden. Daher kann der Index bei ΔtA weggelassen werden. Gleichwohl sollte man sich des Kontextes bei der Interpretation der Ungleichung und des Zeitintervalls Δt stets bewusst sein.

Energieunschärfe und Lebensdauer

Mit einer anderen physikalischen Interpretation gilt eine ähnliche Energie-Zeit-Unschärferelation beim Zerfall eines Systems in einem metastabilen Zustand in zwei Teilchen, also auch bei jeder Art von Emission. Hier ist die Relation durch eine Gleichung gegeben:

ΔEτ=.

Darin steht ΔE nicht für die Standardabweichung, sondern für die Halbwertsbreite der kinetischen Energie der Zerfallsprodukte, und τ nicht für eine Zeitunschärfe, sondern für die wohlbestimmte mittlere Lebensdauer des metastabilen Zustands. Allerdings kann man τ auch als eine Zeitunschärfe ansehen, weil bei einem Ensemble gleicher Systeme die einzelnen Zerfallszeiten eine exponentielle Verteilung zeigen, für die der Mittelwert auch die Standardabweichung angibt. Die Herleitung erfolgt im Rahmen der Resonanztheorie für die Streuung an einem Potentialtopf.[5] Sie gilt für jedes zerfallende System, denn dieses lässt sich als Resonanz in der Umkehrreaktion auffassen, wenn also die Zerfallsprodukte aneinander gestreut werden.

Weitere Einzelbeispiele

Es gibt eine Reihe weiterer Einzelbeispiele, an denen sich eine ähnliche Energie-Zeit-Unschärferelation finden lässt. Unter anderem:

  • Bezieht sich Δt auf die Unsicherheit in der Bestimmung des Zeitpunkts, an dem ein Teilchen einen Ort passiert, dann wird die Wellenfunktion des Teilchens als Wellenpaket mit einer gewissen Ausdehnung und damit auch Energieunschärfe modelliert. Bei gegebener (mittlerer) Geschwindigkeit ist Δt proportional zur Länge des Wellenpakets, die ihrerseits umgekehrt proportional zur Energieunschärfe ist.[6] Es ergibt sich ΔEΔt.
  • Daraus abgeleitet ergibt sich, dass eine Energiemessung mit der Genauigkeit ΔE mindestens die Zeit Δt=/ΔE erfordert.
  • Befindet sich das System in einem Überlagerungszustand aus zwei Energieniveaus mit Energieabstand ΔE, dann schwingt die Wellenfunktion mit der Periode τ=h/ΔE zwischen der symmetrischen und der antisymmetrischen Form hin und her.[7]

Literatur

  • Wolfgang Nolting: Grundkurs Theoretische Physik 5/1; Quantenmechanik – Grundlagen. 7. Auflage. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg New York 2004, ISBN 3-540-68868-4. Seite 220ff
  • Oliver Passon, Johannes Grebe-Ellis: Was besagt die Heisenberg'sche Unschärferelation? (PDF) Abgerufen am 11. Mai 2019.

Einzelnachweise

  1. W. Heisenberg: Über den anschaulichen Inhalt der quantentheoretischen Kinematik und Mechanik. In: Zeitschrift für Physik. Band 43, Nr. 3, 1927, S. 172–198, doi:10.1007/BF01397280 (Originalarbeit [PDF; 2,7 MB]).
  2. Siegfried Großmann: Heisenbergsche Unschärferelation
  3. Eckhard Rebhan: Theoretische Physik II. 1. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, München 2005, S. 96 ff.
  4. Wolfgang Nolting: Grundkurs Theoretische Physik 5/1; Quantenmechanik - Grundlagen. 7. Auflage, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg 2009, ISBN 978-3-540-68868-6, Seite 220ff
  5. John M. Blatt, Viktor Weisskopf: Theoretische Kernphysik. 1. Auflage. B.G.Teubner, Leipzig 1959, S. 354 ff.
  6. Franz Schwabl: Quantenmechanik - Eine Einführung. 7. Auflage. Springer, Heidelberg 2007, S. 101 ff.
  7. Albert Messiah: Quantum Mechanics I. North Holland Publishing, Amsterdam 1970, ISBN 0-7204-0044-9, S. 136 ff.