Das nach Wilhelm Wien benannte Wiensche Verschiebungsgesetz besagt, dass die Wellenlänge, bei der ein Schwarzer Körper der absoluten Temperatur T die intensivste Strahlung abgibt, umgekehrt proportional zur Temperatur ist. Verdoppelt sich beispielsweise die Temperatur des Strahlers, so halbiert sich die Wellenlänge, bei der sein Strahlungsmaximum liegt. So verändert sich etwa die Glutfarbe eines glühenden Körpers von zunächst rötlich über weißlich zu bläulich, also zu kürzeren Wellenlängen, wenn die Temperatur von 1000 K über 3000 K bis 10000 K steigt.
Neben dieser Formulierung des Gesetzes werden manchmal andere Formulierungen benutzt, welche statt der Wellenlänge die Frequenz der intensivsten Strahlung oder die Wellenlänge bzw. Frequenz der höchsten Photonenrate betreffen. Der Begriff „intensivste Strahlung“ bezeichnet genauer das Maximum der jeweiligen Spektralen Leistungsdichte und kann daher je nach Variable zu verschiedenen Spektralbereichen gehören.
Das Wiensche Verschiebungsgesetz kann aus dem planckschen Strahlungsgesetz abgeleitet werden, das die spektrale Leistungsdichte der Strahlung eines Schwarzen Körpers beschreibt. Wien hatte es bereits einige Jahre vor Entdeckung dieses Gesetzes aus thermodynamischen Überlegungen ableiten können.
Die von einem Schwarzen Körper abgegebene Wärmestrahlung ist ein Gemisch elektromagnetischer Wellen aus einem breiten Wellenlängenbereich. Die Verteilung der Strahlungsintensität auf die einzelnen Wellenlängen wird durch das plancksche Strahlungsgesetz beschrieben. Sie weist ein deutliches Maximum auf, dessen Lage mit dem wienschen Verschiebungsgesetz einfach berechnet werden kann.
Je höher die Temperatur eines Körpers ist, bei desto kürzeren Wellenlängen liegt das Maximum der Verteilung. Daher gibt zum Beispiel Stahl bei Raumtemperatur unsichtbare infrarote Strahlung („Wärmestrahlung“) ab, warmer glühender Stahl leuchtet dunkelrot. Heißer flüssiger Stahl glüht fast weiß, da neben der Verschiebung des Maximums in einen kurzwelligeren, bläulichen Bereich auch die Intensität aller Wellenlängen im Spektrum erhöht wird (weißes Licht besteht aus mehreren Wellenlängen des sichtbaren Spektrums).
Die gebräuchlichste Formulierung des Verschiebungsgesetzes beschreibt die Wellenlänge, bei der das Maximum der Strahlungsintensität liegt. Sie lautet:
mit
: Wellenlänge, bei der die Intensität maximal ist (in μm) | |
: absolute Temperatur des Schwarzen Körpers (in K) |
Gelegentlich ist anstelle der Wellenlänge die Frequenz von Interesse, bei der das Intensitätsmaxium liegt. Diese Frequenz ist:
Diese Frequenz ist nicht die Frequenz, die gemäß der für alle Wellen geltenden Umrechnungsformel
Für manche Prozesse wie beispielsweise die Photosynthese ist statt der einfallenden Strahlungsintensität die einfallende Photonenrate ausschlaggebend. Die Wellenlänge, bei der das Maximum der Photonenrate liegt, ist
Die Frequenz, bei der das Maximum der Photonenrate liegt, ist
Auch hier ergibt sich die Frequenz des Maximums nicht einfach durch Umrechnung aus der Wellenlänge des Maximums.
Die Tatsache, dass die Lage des Intensitätsmaximums unterschiedlich ist, je nachdem ob die Strahlungsverteilung als Funktion der Wellenlänge oder der Frequenz betrachtet wird – dass es also keine objektive Lage des Maximums gibt – beruht darauf, dass die Strahlungsverteilung eine Dichteverteilung ist. Bei der Form der Planckschen Kurve unterscheiden sich die Wellenlängen an beiden Intensitätsmaxima unabhängig von der Temperatur um den Faktor ca.
Im Falle eines Strahlungsspektrums ist es nämlich nicht möglich, für eine gegebene einzelne Wellenlänge eine zugehörige Strahlungsintensität anzugeben. Da die abgegebene Strahlungsleistung in jedem Wellenlängenintervall eine endliche Anzahl von Watt enthält, das Intervall jedoch aus unendlich vielen Wellenlängen besteht, entfallen auf jede einzelne Wellenlänge Null Watt.
Man betrachtet daher nicht eine einzelne Wellenlänge
die beispielsweise in Watt pro Mikrometer gemessen wird. Diagramme, die das Spektrum der abgestrahlten Leistung darstellen, zeigen diese Größe[Anm. 1] als Kurve über der Wellenlänge aufgetragen. Das Konzept der spektralen Leistungsdichte ist dasselbe, das beispielsweise auch der Massendichte zugrunde liegt: Die in einem gegebenen Punkt eines Gegenstandes enthaltene Masse ist Null, weil ein Punkt kein Volumen hat. Betrachtet man aber die Masse, die in einem kleinen den Punkt umgebenden Volumen enthalten ist und bildet deren Verhältnis zum Volumen, erhält man auch für ein gegen Null schrumpfendes Volumen einen endlichen Zahlenwert: die Massendichte an diesem Punkt.
Soll eine als Funktion der Wellenlänge gegebene spektrale Leistungsdichte
Man betrachte also das Intervall zwischen den Wellenlängen
wobei im Folgenden das Minuszeichen ignoriert wird, da nur die Beträge der Intervallbreiten von Interesse sind. (Das Minuszeichen spiegelt lediglich den Umstand wider, dass die Frequenz zunimmt, wenn die Wellenlänge abnimmt.) Für die Umrechnung der Spektren werden infinitesimal kleine Intervalle benötigt. Dazu lässt man im obigen Ausdruck
woraus folgt
Unterteilt man beispielsweise die Wellenlängenachse in gleich große Wellenlängenintervalle
Da die im jeweils betrachteten Intervall enthaltene Strahlungsleistung
folgt für die spektrale Leistungsdichte
und damit
Der Zahlenwert der spektralen Leistungsdichte in der Frequenzdarstellung muss also bei zunehmender Frequenz um denselben Faktor abnehmen, um den die Breite der Frequenzintervalle zunimmt.
Hat die betrachtete Strahlungsquelle beispielsweise in der Wellenlängendarstellung eine konstante spektrale Leistungsdichte (
Hat die Strahlungsquelle in der Wellenlängendarstellung
Wellenlängenabhängige Größen, die keine Dichteverteilungen sind, werden von der Wellenlängen- in die Frequenzdarstellung umgerechnet, indem die der Wellenlänge
Die spektrale spezifische Ausstrahlung eines Schwarzen Körpers der Temperatur
: | spektrale spezifische Ausstrahlung in W·m−2m−1 | |
: | plancksches Wirkungsquantum in Js | |
: | Lichtgeschwindigkeit in m·s−1 | |
: | Boltzmann-Konstante in J·K−1 | |
: | absolute Temperatur der Strahlerfläche in K | |
: | betrachtete Wellenlänge in m |
Gesucht ist die Wellenlänge
Die Substitution
Die numerische Lösung ergibt
und die Rücksubstitution führt auf das wiensche Verschiebungsgesetz in der Wellenlängendarstellung:
Die Wellenlänge maximaler Strahlungsleistung verschiebt sich also bei einer Temperaturänderung einfach umgekehrt proportional zur absoluten Temperatur des schwarzen Strahlers: Verdoppelt sich die Temperatur des Strahlers, so tritt die größte Strahlungsleistung bei der halben Wellenlänge auf.
Die Konstante
Die spektrale spezifische Ausstrahlung des Maximums ist proportional zu
In der Frequenzdarstellung ist die spektrale spezifische Ausstrahlung gegeben durch
Nullsetzen der Ableitung nach der Frequenz
Die Substitution
Die numerische Lösung ergibt
und Rücksubstitution führt auf das wiensche Verschiebungsgesetz in der Frequenzdarstellung:
Die Frequenz maximaler Strahlungsleistung verschiebt sich also proportional zur absoluten Temperatur des Strahlers. Der exakte Wert der wienschen Konstanten b′ in der Frequenzdarstellung beträgt:[5]
Die spektrale spezifische Ausstrahlung des Maximums ist proportional zu
Die spektrale spezifische Ausstrahlung, ausgedrückt durch die Abstrahlungsrate der Photonen, ist in der Wellenlängendarstellung gegeben durch
Nullsetzen der Ableitung nach
Die Substitution
Die numerische Lösung ergibt
und Rücksubstitution führt auf das wiensche Verschiebungsgesetz für die Photonenrate in der Wellenlängendarstellung:
Die spektrale Photonenrate des Maximums ist proportional zu
In der Frequenzdarstellung ist die spektrale spezifische Ausstrahlung, ausgedrückt durch die Abstrahlungsrate der Photonen, gegeben durch
Die Substitution
Die numerische Lösung ergibt
und Rücksubstitution führt auf das wiensche Verschiebungsgesetz für die Photonenrate in der Frequenzdarstellung:
Die spektrale Photonenrate des Maximums ist proportional zu
Nimmt man für die Sonne λmax ≈ 500 nm an und betrachtet sie näherungsweise als schwarzen Strahler, so ergibt sich nach dem wienschen Verschiebungsgesetz ihre Oberflächentemperatur zu circa 5800 K. Die auf diese Weise ermittelte Temperatur heißt wiensche Temperatur. Man vergleiche sie auch mit der über das Stefan-Boltzmann-Gesetz ermittelten Effektivtemperatur von 5777 K. Der Unterschied rührt daher, dass die den beiden Berechnungen zugrunde gelegte Annahme, die Sonne sei ein schwarzer Strahler, zwar in guter Näherung, aber nicht perfekt erfüllt ist.
Glühfarben geben Aufschluss über die Temperatur heißer (über ca. 500 °C), glühender Materialien.
Andere Beispiele sind die strahlende Erdoberfläche und die Treibhausgase. Bei den Temperaturen im Bereich von 0 °C liegt das Strahlungsmaximum im infraroten Bereich um 10 μm. Bei den Treibhausgasen kommt dazu, dass sie nur teilweise (selektive) schwarze Körper sind.
Die ursprünglich von Wien aufgestellte Fassung des Verschiebungsgesetzes beschrieb die Änderung der gesamten Energieverteilungs-Kurve eines Schwarzen Körpers bei Temperaturänderung, nicht nur die Verschiebung des Strahlungsmaximums.
Aufgrund der experimentellen Untersuchungen von Josef Stefan und der thermodynamischen Herleitung durch Ludwig Boltzmann war bekannt, dass die von einem Schwarzen Körper mit der absoluten Temperatur
Wien konnte aufgrund thermodynamischer Überlegungen ein „Verschiebungsgesetz“ ableiten, welches einen Zusammenhang zwischen den Wellenlängenverteilungen bei verschiedenen Temperaturen herstellte. Damit hätte man – wenn die Gestalt der Energieverteilung
„Wenn die Vertheilung der Energie als Function der Wellenlänge für irgend eine Temperatur
gegeben ist, so lässt sie sich jetzt für jede andere Temperatur ableiten. Denken wir uns wieder die als Abscissen, die als Ordinaten aufgetragen. Der Flächeninhalt zwischen der Curve und der Abscissenaxe ist die Gesammtenergie . Man hat nun zunächst jedes so zu verändern, dass constant bleibt. Schneidet man an der Stelle des ursprünglichen ein schmales Stück von der Breite und dem Inhalt aus, so wird nach der Änderung diess Stück sich an die Stelle verschoben haben, aus der Breite ist geworden. Da nun das Energiequantum constant bleiben muss, so ist
. Nun verändert sich ausserdem mit der Temperatur jedes
nach dem Stefan'schen Gesetze im Verhältnis , es wird also die neue Ordinate sein
. Auf diese Weise erhält man alle Puncte der neuen Energiecurve.“[6]
Damit war die reale Wellenlängenverteilung der Schwarzkörper-Strahlung zwar immer noch unbekannt, aber es war eine zusätzliche Bedingung gefunden, welcher sie bei einer Temperaturänderung unterliegen musste. Unter Zuhilfenahme einiger zusätzlicher Annahmen konnte Wien ein Strahlungsgesetz ableiten, welches sich bei Temperaturänderungen in der Tat so verhält wie vom Verschiebungsgesetz gefordert. Der Vergleich mit dem Experiment zeigte jedoch, dass dieses wiensche Strahlungsgesetz im langwelligen Bereich zu niedrige Werte liefert.
Max Planck konnte schließlich durch eine geschickte Interpolation zwischen dem Rayleigh-Jeans-Gesetz (korrekt für große Wellenlängen) und dem wienschen Strahlungsgesetz (korrekt für kleine Wellenlängen) das plancksche Strahlungsgesetz ableiten, das die emittierte Strahlung in allen Wellenlängenbereichen richtig wiedergibt.
Heutzutage spielt das wiensche Verschiebungsgesetz in der ursprünglichen Fassung keine Rolle mehr, weil das plancksche Strahlungsgesetz die spektrale Verteilung bei jeder beliebigen Temperatur korrekt beschreibt und daher keine „Verschiebungen“ auf eine gewünschte Temperatur nötig sind. Lediglich die temperaturbedingte Verschiebung des Strahlungsmaximums, die bereits aus der ursprünglichen Fassung des Verschiebungsgesetzes ableitbar ist, hat unter dem Namen wiensches Verschiebungsgesetz überlebt.