Gravitationslinseneffekt

Gravitationslinseneffekt

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Simulation des Gravitationslinseneffekts
Das Einsteinkreuz: Der Quasar QSO 2237+0305 steht von der Erde aus gesehen genau hinter dem Kern einer etwa 400 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie, die als Gravitationslinse wirkt. Durch die Gravitationslinse entstehen vier ähnlich helle Bilder in Form eines Kreuzes mit dem Galaxienkern im Zentrum.

Als Gravitationslinseneffekt wird in der Astronomie die Ablenkung von Licht durch große Massen bezeichnet. Der Name rührt her von der Analogie zu optischen Linsen und der wirkenden Kraft, der Gravitation (auch Schwerkraft genannt).

Lichtstrahlen, die von einer Gravitationslinse abgelenkt werden, werden umso stärker zur Masse hin abgelenkt, je näher sie an der ablenkenden Masse vorbeilaufen. Eine Gravitationslinse konzentriert das Licht, das an der ablenkenden Masse vorbeiläuft, auf die Achse zwischen Objekt und Beobachter. In verschiedenen Abständen am Objekt vorbeilaufende Lichtstrahlen schneiden aber die Achse in verschiedenen Entfernungen. Infolgedessen kann eine Gravitationslinse im Sinne der abbildenden Optik kein reelles Bild erzeugen. Die stattdessen erzeugte Lichtverteilung ist eine Kaustik.[1]

Grundsätzlich wird dabei das Licht einer entfernten Quelle wie eines Sterns, einer Galaxie oder eines anderen astronomischen Objekts durch ein vom Betrachter gesehen davorliegendes Objekt, die Gravitationslinse, beeinflusst. In deren Gravitationsfeld ändert sich die Ausbreitungsrichtung des Lichtes, sodass die Position der Quelle am Himmel verschoben erscheint. Auch kann ihr Bild dabei verstärkt, verzerrt oder sogar vervielfältigt werden. Nach dem Odd-Number-Theorem tritt dabei immer eine ungerade Anzahl von Bildern auf.

Je nach Masse und Form (Massenverteilung) der beteiligten Objekte und ihren Lagen zueinander kann der Effekt unterschiedlich stark ausfallen, von spektakulär verzerrten Mehrfachbildern bis hin zu nur leichten Helligkeitsänderungen, sodass man vom Starken Gravitationslinseneffekt, vom Schwachen Gravitationslinseneffekt und vom Mikrolinseneffekt spricht. Ein Spezialfall des Gravitationslinseneffekts ist die Kosmische Scherung.

Bereits Isaac Newton vermutete 1704 in den berühmten Queries Nr.1 seines Werkes Opticks die gravitative Lichtablenkung.[2] Die erste quantitative Überlegung dazu gab es um 1800, sie wurde aber erstmals 1915/16 von Albert Einstein mit seiner Allgemeinen Relativitätstheorie korrekt beschrieben. Nach ersten Beobachtungen an der Sonne 1919 und einigen theoretischen Arbeiten gelangen jedoch erst ab 1979 dank verbesserter Beobachtungstechniken Beobachtungen weiterer Gravitationslinsen.[3][4] Seitdem hat sich der Gravitationslinseneffekt zu einem vielfältigen Gebiet der Beobachtenden Astronomie und auch zu einem Werkzeug für andere Felder wie die Kosmologie entwickelt.

Geschichte

Die erste gezielte experimentelle Überprüfung der allgemeinen Relativitätstheorie (ART), die in der Öffentlichkeit großes Aufsehen erregte und diese Theorie berühmt machte, wurde 1919 durchgeführt.[5] Sie überprüfte die Voraussage der ART, dass Licht, wie jede elektromagnetische Strahlung, in einem Gravitationsfeld abgelenkt wird. Dabei wurde die Sonnenfinsternis vom 29. Mai 1919 ausgenutzt, um die scheinbare Verschiebung der Position eines Sternes nahe der Sonnenscheibe zu messen, da hier der Effekt am stärksten sein sollte. Die Voraussage der Einstein’schen Theorie, dass Sternenlicht, das auf seinem Weg zur Erde den Rand der Sonnenscheibe streift, um 1,75 Bogensekunden abgelenkt werden sollte, wurde bei dieser ursprünglichen Messung mit einer Abweichung von 20 % bestätigt.

Klassisch, d.h. mit Hilfe der Newtonschen Gravitationstheorie, oder mithilfe der speziellen Relativitätstheorie berechnet, wäre der Effekt nur halb so groß, da sich nur die Zeitkoordinate und nicht die Raumkoordinate ändert. Die aus der Newtonschen Gravitationstheorie folgende Ablenkung von 0,83 Bogensekunden war bereits im März 1801 von Johann Georg von Soldner berechnet worden.[6]

Ähnliche Messungen wurden später mit verbesserten Instrumenten durchgeführt. In den 1960ern wurden die Positionen von Quasaren vermessen, womit eine Genauigkeit von 1,5 % erreicht wurde, während ähnliche Messungen mit dem VLBI (Very Long Baseline Interferometry) später die Genauigkeit auf 0,2 % steigerten. Auch wurden die Positionen von 100.000 Sternen durch den ESA-Satelliten Hipparcos vermessen, womit die Voraussagen der ART auf 0,1 % genau überprüft werden konnten. Die ESA-Raumsonde Gaia, welche am 19. Dezember 2013 gestartet wurde, soll die Position von über einer Milliarde Sterne vermessen und damit die Raumkrümmung noch exakter bestimmen.

Phänomenologie

Prinzip

Gravitationslinse — Prinzipdarstellung
links: unabgelenktes Strahlenbündel im Vakuum, rechts: von einem schwarzen Loch abgelenkte Strahlen (Animation)

Objekte mit einer sehr großen Masse lenken elektromagnetische Wellen in eine andere Richtung. Dementsprechend wird das Abbild des Hintergrundobjektes verlagert, verzerrt und möglicherweise vervielfacht.

Eine besondere Erscheinungsform ist der Mikrolinseneffekt ({{Modul:Vorlage:lang}} Modul:Multilingual:149: attempt to index field 'data' (a nil value)). Hier ist die Ablenkung so geringfügig, dass sie nicht als räumliche Verlagerung registriert wird, sondern sich als vorübergehender Helligkeitsanstieg bemerkbar macht.

Die Wirkung beruht in jedem Falle auf der durch Albert Einstein in seiner allgemeinen Relativitätstheorie als Wirkung der Gravitation auf die Raumzeit beschriebenen Krümmung des Raumes durch massehaltige Objekte oder Energie.

Dieser Effekt kann bei einer totalen Sonnenfinsternis an Sternen nachgewiesen werden, die sehr nah an der Blickrichtung zur Sonne liegen und durch diese sonst überstrahlt werden: Die Position dieser Sterne erscheint dann geringfügig von der Sonne weg verschoben. Die entsprechende Beobachtung durch Arthur Eddington lieferte 1919 die erste experimentelle Bestätigung der Allgemeinen Relativitätstheorie. Einstein hielt es für möglich, aber kaum wahrscheinlich, dass man bei geeigneten Bedingungen Mehrfachabbildungen desselben Objektes wahrnehmen könne. Er dachte jedoch nur an Sterne als Auslöser dieses Effektes; 1937 untersuchte Fritz Zwicky die Auswirkung, die eine Galaxie als Gravitationslinse haben kann. 1963 erkannten Yu. G. Klimov, S. Liebes und Sjur Refsdal unabhängig, dass dann Quasare ideale Lichtquellen für diesen Effekt darstellen.

Starker Gravitationslinseneffekt

Weit entfernte Galaxien erscheinen als Kreisabschnitte
Simulation der Lichtablenkung an einem Neutronenstern

Um eine Gravitationslinse im üblichen, also astronomischen Sinne zu erhalten, sind normalerweise die extrem intensiven Gravitationsfelder astronomischer Objekte wie Schwarze Löcher, Galaxien oder Galaxienhaufen nötig. Bei diesen ist es möglich, dass eine hinter der Gravitationslinse liegende Lichtquelle nicht nur verschoben erscheint, sondern dass der Beobachter mehrere Bilder sieht. Die erste solche „starke Gravitationslinse“ wurde 1979 entdeckt: der „Twin Quasar“ Q0957+561. Ein bekanntes Beispiel ist das 1985 entdeckte Einsteinkreuz im Sternbild Pegasus, eine vierfache Abbildung desselben Objekts. Unter bestimmten Umständen erscheint das Objekt hinter der Gravitationslinse als geschlossene Line in Form eines Einsteinrings.

Die erste Gravitationslinse, die nicht aus einer einzelnen Galaxie, sondern einem Galaxienhaufen (Abell 370) besteht, wurde im Jahre 1987 unabhängig voneinander von Genevieve Soucail, Yannick Mellier und anderen in Toulouse und von Vahé Petrosian und Roger Lynds in den USA als solche erkannt.

Schwacher Gravitationslinseneffekt

Bei schwachen Verzerrungen – aufgrund eines schwachen oder weit entfernten Gravitationsfeldes – sind die Auswirkungen der Gravitationslinse nicht direkt ersichtlich, da die eigentliche Form der Objekte hinter der Gravitationslinse nicht bekannt ist. In diesem Fall ist die Bestimmung des Gravitationsfeldes dennoch durch statistische Methoden möglich, indem Form und Orientierung vieler der im Hintergrund vorhandenen Galaxien untersucht werden. Hierbei geht man davon aus, dass die Orientierung der Galaxien im Hintergrund ohne eine Gravitationslinse zufällig wäre. Mit Gravitationslinse erhält man eine Scherung des Hintergrundes, sodass Galaxien häufiger entlang eines Rings um Regionen mit starkem Gravitationsfeld ausgerichtet erscheinen. Hieraus kann die Massenverteilung bestimmt werden, welche den Linseneffekt hervorruft.[7]

Da dieser Effekt klein ist, muss für eine ausreichende statistische Signifikanz eine große Anzahl von Galaxien untersucht werden. Des Weiteren ist eine Reihe von möglichen systematischen Fehlern zu berücksichtigen. Hierzu zählen die intrinsische Form von Galaxien, die Punktspreizfunktion der verwendeten Kamera, Abbildungsfehler des Teleskops sowie unter Umständen die Luftunruhe der Erdatmosphäre, welche ebenfalls zu einer Verzerrung des Bildes führen kann.

Mikrolinseneffekt

Hauptartikel: Mikrolinseneffekt

Anders als von Einstein angenommen (siehe oben), können auch die Effekte, die ein einzelner Stern auf die Strahlung eines Hintergrundobjektes ausübt, beobachtet werden. So hat man eine Reihe von MACHOs nachgewiesen, weil ein Einzelstern das Licht eines dahinterliegenden, wesentlich schwächeren Objektes gebündelt und so (kurzzeitig) verstärkt hat. Auch extrasolare Planeten konnten mit diesem Effekt nachgewiesen werden.

Der Brennpunkt des Linseneffektes der Sonne liegt in einer Entfernung von etwa 82,5 Milliarden Kilometern bzw. rund 550 Astronomischen Einheiten und würde eine Vergrößerung um einen Faktor von ungefähr 100 Millionen erbringen.

Anwendungen

Wenn eine Gravitationslinse (aus der Sicht des irdischen Beobachters) das Licht des Hintergrundobjektes bündelt, können Objekte untersucht werden, die ansonsten wegen ihrer geringen scheinbaren Helligkeit nicht registriert werden könnten. Damit ist es möglich, Galaxien in großer Entfernung und damit in sehr frühen Epochen der Entwicklung des Kosmos zu beobachten.

Verschiedene Einsteinringe (aufgenommen vom Hubble Space Telescope)

Außerdem liefert die Verteilung der Strahlung in der Bildebene die Möglichkeit, Eigenschaften (Masse und Massenverteilung) der Gravitationslinse selbst zu untersuchen. Dabei erhält man die Gesamtmasse direkt, ohne auf Unterstellungen hinsichtlich des Anteils der Dunklen Materie zurückgreifen zu müssen.

Statistische Auswertungen von Gravitationslinsenbildern können genutzt werden, Parameter wie etwa die Kosmologische Konstante oder die Materiedichte des gesamten Universums einzugrenzen. Auch die Hubble-Konstante kann unter Umständen mittels Gravitationslinsen näher bestimmt werden, wie Sjur Refsdal bereits 1964 vorhersagte. Forscher der Universität Zürich und der USA haben damit das Alter des Universums mit großer Genauigkeit auf nunmehr 13,5 Milliarden Jahre bestimmt.

Auch auf den Gravitationslinseneffekt geht zurück dass das mittels des Panoramic Survey Telescope And Rapid Response System (Pan-STARRS/Hawaii) 2010 von japanischen Astronomen entdeckte Objekt PS1-10afx vermeintlich als eine vor neun Milliarden Jahren explodierte Hypernova angesehen wurde, die aber einer Supernova vom Typ Ia ähnelte, jedoch dafür viel zu hell erschien. Als dann 2013 in dieser Region eine schwach leuchtende Galaxie im Vordergrund auffiel, die von der exakt dahinter liegenden, helleren Supernova zuvor überstrahlt worden war, wurde klar, dass das bei der Explosion abgestrahlte Licht in Richtung der Erde durch diese Galaxien-Gravitationslinse gebündelt worden war und die Supernova dadurch 30-fach heller als ohne Lupen-Effekt erschien. Aufgrund dieser Beobachtungen gehen Astronomen jetzt davon aus, dass künftig weitere derartige Objekte entdeckt werden, weil es als wahrscheinlich gilt, dass mit zunehmender Entfernung – irgendwo auf dem Weg der Supernova-Strahlung bis zur Erde – es zu einem Gravitationslinseneffekt kommen kann.[8]

Literatur

  • Peter Schneider, Jürgen Ehlers, Emilio E. Falco: Gravitational Lenses. Springer, Berlin 1999, ISBN 978-3-540-66506-9.
  • Joachim Wambsganß: Gravitationslinsen – Universelle Werkzeuge der Astrophysik. 1999 (PostScript-Datei)
  • Frédéric Courbin, et al.: Gravitational lensing – an astrophysical tool. Springer, Berlin 2002, ISBN 3-540-44355-X.
  • Peter Schneider, Chris Kochanek, Joachim Wambsganss: Gravitational Lensing: Strong, Weak and Micro. Saas Fee Advanced Course 33, Springer, Berlin 2006, ISBN 3-540-30309-X.
  • Tommaso Treu, Philip J. Marshall, Douglas Clowe: Resource Letter: Gravitational Lensing. arxiv:1206.0791 (Übersicht über Fach- und Allgemeinliteratur zum Thema Gravitationslinsen)

Weblinks

Commons: Gravitational lensing – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Chris Kitchin: Exoplanets: finding, exploring, and understanding alien worlds, Springer 2012, ISBN 978-1-4614-0643-3, Appendix IV S. 255 ff.
  2. Albert Einstein: Lens-Like Action of a Star by the Deviation of Light in the Gravitational Field Science, Vol. 84, No. 2188, 4. Dezember 1936, S. 506–507, pdf; Sidney Liebes: Gravitational Lenses. Physical Review, vol. 133, Issue 3B, 1964, S. 835–844. bibcode:1964PhRv..133..835L
  3. V.R. Eshleman: Gravitational lens of the sun – Its potential for observations and communications over interstellar distances. Science, vol. 205, 14. September 1979, S. 1133–1135. bibcode:1979Sci...205.1133E
  4. Frank W. Dyson, Arthur Stanley Eddington, C. Davidson: A Determination of the Deflection of Light by the Sun’s Gravitational Field, from Observations Made at the Total Eclipse of May 29, 1919. In: Philos. Trans. Royal Soc. London. 220A, 1920, S. 291–333. (englisch)
  5. Johann Georg von Soldner: Ueber die Ablenkung eines Lichtstrahls von seiner geradlinigen Bewegung, durch die Attraktion eines Weltkörpers, an welchem er nahe vorbei geht. In: Berliner Astronomisches Jahrbuch. 1804, S. 161–172.
  6. Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn: Cosmology. Abgerufen am 22. August 2013. (Archive.org)
  7. Manfred Lindinger: Seltsame Sternexplosion heller als erlaubt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 25. April 2014, abgerufen am 25. Juli 2017.