Illustration der Berechnung der Casimir-Kraft auf zwei parallele Platten unter der Annahme hypothetischer Vakuumfluktuationen. Dieses Bild veranschaulicht nicht die van-der-Waals-Wechselwirkung, welche die eigentliche Ursache der Kraft ist.
Der Casimir-Effekt der Quantenfeldtheorie ist ein quantenphysikalischer Effekt, der bewirkt, dass auf zwei parallele, leitfähige Platten im Vakuum eine Kraft wirkt, die beide zusammendrückt.[1][2] Der Effekt wurde 1948 durch Hendrik Casimir vorhergesagt und auch nach ihm benannt.[3][4] 1956 erfolgte die experimentelle Bestätigung durch Boris Derjaguin, I. I. Abrikosowa und Jewgeni M. Lifschitz[5] in der Sowjetunion und 1958 durch Marcus Sparnaay von den Philips Forschungslaboratorien in Eindhoven.[6][7]
Wissenschaftler untersuchen die Möglichkeiten, den Casimir-Effekt im Bereich der Nanotechnologie für Mikrosysteme nutzbar zu machen.[8][9][10]
Van-der-Waals-Kraft
Die Casimir-Kraft gehört, wie auch die van-der-Waals- und Casimir-Polder-Kraft, zu den Dispersionswechselwirkungen. Im Folgenden wird die Casimir-Kraft mit Hilfe von virtuellen Teilchen und ihren Fluktuationen im Vakuum (Vakuumfluktuation) erklärt. Vakuumfluktuationen entstehen, wenn man aus der Planckschen Strahlungsformel die Nullpunktenergie herleitet, die auch Vakuumenergie genannt wird. Aufgrund der Unschärferelation zwischen Zeit und Energie müssen in begrenzten Räumen Vakuumfluktuationen entstehen.[11] Häufig wird daher die Casimir-Kraft als Beweis für Vakuumenergie und Vakuumfluktuationen angesehen. Im Grenzfall dünner Medien kann der Casimir-Effekt jedoch auch als eine Summe der Van-der-Waals-Kraft zwischen den einzelnen Atomen der beiden leitenden Platten verstanden werden. Darauf wurde 2005 von Robert L. Jaffe hingewiesen.[12] 2012 wurde dieses von Joseph Cugnon bestätigt.[13]
Vereinfachte Darstellung
Joseph Cugnon berichtet in seinem Artikel[14], wie Casimir zu seiner vereinfachten Berechnung gekommen ist. Die Berechnung von Van-der-Waals-Kräften zwischen Körpern ist sehr schwierig. Als Casimir nun z. B. für die Van-der-Waals-Kraft zwischen einem Atom und einer leitenden Platte eine unerwartet einfache Formel gefunden hatte, zweifelte er, ob diese stimmen könnte. Er folgte dann einem Ratschlag von Niels Bohr: „Warum berechnen Sie den Effekt nicht, indem Sie die Differenz der Nullpunktenergien des elektromagnetischen Feldes ermitteln?“ Er berechnete daraufhin die Kräfte zwischen zwei Atomen und zwischen einem Atom und einer leitenden Platte. Schließlich wurde ihm klar, dass die Berechnung für zwei leitende Platten noch einfacher ist, und dieses Ergebnis publizierte er schließlich[15]
Die Van-der-Waals-Kraft zwischen leitenden Platten kann also einfacher berechnet werden, wenn angenommen wird, dass das Vakuum ein Raum voller virtueller Teilchen ist, die als Vakuumfluktuation bezeichnet werden. Solchen Teilchen kann eine De-Broglie-Wellenlänge zugeordnet werden. Dabei muss der Abstand der beiden Platten einem Vielfachen der halben Wellenlänge der virtuellen Teilchen entsprechen. Außerhalb der Platten sind allerdings alle möglichen Wellenlängen vorhanden. Es besteht ein unbegrenztes, kontinuierliches Spektrum. Dieses umfasst sowohl die Zustände, die innerhalb der Platten auftreten dürfen, als auch diejenigen, die zwischen den Platten auf Grund der Randbedingungen nicht möglich sind.
Außerhalb der Platten existiert also ein Kontinuum an virtuellen Teilchen, während innerhalb der Platten nur eine diskrete Anzahl von Teilchen entstehen kann, nämlich die, die den Randbedingungen der gegenüberstehenden Platten genügen. Daraus resultiert ein „Photonendruck“ von außen auf die Platten.
Berechnung mittels der vereinfachten Berechnungsmethode
Dazu werden virtuelle Teilchen angenommen, die aufgrund der Energieunschärfe kurzfristig aus dem Vakuum erzeugt werden. Diese können außerhalb der beiden Platten jeden beliebigen Impuls
- $ p=\hbar k $
annehmen (also ein kontinuierliches Spektrum aufweisen) mit
Zwischen den beiden Platten weisen sie ein diskretes Impulsspektrum auf. Das ergibt sich aufgrund der Randbedingungen, denen ihre Bewegungsgleichungen auf den Platten genügen müssen. Dieses diskrete Impulsspektrum lässt sich als stehende Wellen zwischen beiden Platten auffassen. Somit sind zwischen den Platten bestimmte Zustände virtueller Teilchen verboten, die außerhalb angenommen werden können. Alle erlaubten virtuellen Teilchen werden aber an den Platten reflektiert. Von außen stoßen mehr (erlaubte) virtuelle Teilchen an als im Zwischenraum der Platten, und es entsteht eine Druckdifferenz. Dieser Casimir-„Druck“ $ p_{c} $ wirkt als Kraft $ F_{c} $ auf die Platten der jeweiligen Fläche $ A $ und drückt sie zusammen. Er beträgt für perfekt leitende Platten im Vakuum:
- $ p_{c}={F_{c} \over A}={\frac {\pi ^{2}\hbar c}{240}}\cdot {\frac {1}{d^{4}}} $
mit den Größen
- $ \pi $: Kreiszahl
- $ \hbar $: reduziertes plancksches Wirkungsquantum
- $ c $: Vakuumlichtgeschwindigkeit
- $ d $: Abstand zwischen beiden Platten.
Nach dieser Formel ergibt der Abstand von 190 nm einen Druck von 1 Pa, bei 11 nm erreicht man 100 kPa (ca. 1 bar).
Quantitative Messungen nahmen Steve Lamoreaux (Seattle, 1997) sowie Umar Mohideen und Anushree Roy (Riverside, 1998) vor.[16]
2009 zeigten Alexej Weber von der Universität Heidelberg und Holger Gies von der Universität Jena, dass der Casimir-Effekt bei gegeneinander gekippten Platten andere Eigenschaften zeigt; so verstärkt er sich z. B. mit höherer Temperatur der Oberfläche.[17][18]
Der Casimir-Effekt wurde auch im Breakthrough Propulsion Physics Project der NASA erforscht.[19] Seit 2008 betreibt die DARPA ein Forschungsprogramm, das Casimir Effect Enhancement program.[20]
Reverser Casimir-Effekt
Im Jahre 2007 haben Physiker um Ulf Leonhardt von der Universität St Andrews theoretisch vorhergesagt, dass es unter Zuhilfenahme von Metamaterial mit negativem Brechungsindex möglich wäre, den Casimir-Effekt umzukehren, also eine Abstoßung der Platten zu erreichen. Dies wird reverser oder repulsiver Casimir-Effekt oder auch Quanten-Levitation genannt.[21] Er war bereits 1956 von Jewgeni M. Lifschitz und – nachdem geeignete Metamaterialien vorlagen – 2002 von Eyal Buks und Michael L. Roukes vorhergesagt worden.[22]
Dynamischer Casimir-Effekt
Aus der Quantenfeldtheorie hat der Physiker Gerald T. Moore schon 1970 hergeleitet, dass virtuelle Teilchen, die sich in einem Vakuum befinden, real werden können, wenn sie von einem Spiegel reflektiert werden, der sich fast mit Lichtgeschwindigkeit bewegt. Dieser Effekt wurde später auch dynamischer Casimir-Effekt genannt. Der Experimentalphysiker Per Delsing und Kollegen von der Universität Göteborg konnten dieses 2011 nachweisen.[23][24][25]
Literatur
Bücher
- William M. R. Simpson, et al.: Forces of the quantum vacuum - an introduction to Casimir physics. World Scientific, New Jersey 2015, ISBN 978-981-4632-90-4.
- Michael Bordag,et al.: Advances in the Casimir effect. Oxford Univ. Pr., Oxford 2009, ISBN 978-0-19-923874-3.
- Kimball A. Milton:The Casimir effect. World Scientific, Singapore 2001, ISBN 981-02-4397-9.
- Vladimir M. Mostepanenko, et al.: The Casimir effect and its applications. Clarendon Press, Oxford 1997, ISBN 0-19-853998-3.
- Frank S. Levin, David A. Micha: Long-range Casimir forces. Plenum Press, New York 1993. ISBN 0-306-44385-6.
Artikel
- Michael Bordag: The Casimir effect 50 years later. In: Proceedings of the 4th Workshop on Quantum Field Theory under the Influence of External Conditions. World Scientific, Singapore 1999, ISBN 981-02-3820-7
- G. Jordan Maclay, (et al.): Of some theoretical significance - implications of Casimir effects. European Journal of Physics, 22, S. 463–469, 2001 Abstract pdf bei arxiv
- Christopher Hertlein (et al.): Direct measurement of critical Casimir forces. In: Nature. 451, Nr. 7175, 172–175 (2008) Abstract
- J. N. Munday, F. Capasso, V. A. Parsegian: Measured long-range repulsive Casimir-Lifshitz forces. In: Nature 457, Letter, S. 170–173, 8. Januar 2009 online
- Steven K. Lamoreaux: The Casimir force: background, experiments, and applications. Rep. Prog. Phys., 68 (2005) 201–236, doi:10.1088/0034-4885/68/1/R04, pdf.
Weblinks
Video
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ Astrid Lambrecht: Das Vakuum kommt zu Kräften: Der Casimir-Effekt. In: Physik in unserer Zeit. 36. Jahrgang, Nr. 2, ISSN 1521-3943, S. 85–91, doi:10.1002/piuz.200501061 (wiley.com [abgerufen am 28. Juli 2012]). Vorlage:Cite book/Meldung
- ↑
"The Casimir effect, in its simplest form, is the attraction between two electrically neutral, infinitely large, parallel conducting planes placed in a vacuum" in: Michael Bordag, et al.: Advances in the Casimir effect. Oxford Univ. Pr., Oxford 2009, ISBN 978-0-19-923874-3, S. 1,@google books
- ↑
Hendrik Casimir: On the attraction between two perfectly conducting plates. Proc. Kon. Nederland. Akad. Wetensch. B51, 793 (1948) pdf reprint online abgerufen am 12. August 2011
- ↑ Diego Dalvit, et al.: Casimir physics. Springer, Berlin 2011, ISBN 978-3-642-20287-2; S. 1ff.: How the Casimir Force was Discovered, @ google books& S. 394ff:The History of Casimir-Polder Experiments., @ google books abgerufen am 19. September 2012
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E.M. Lifshitz: The Theory of Molecular Attractive Forces Between Solids. Soviet Physics 2, 73 (1956), pdf online abgerufen am 12. August 2011
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Experiment with parallel plates by Sparnaay, S. 513–514, Kap.18 General Requirements for Casimir Force measurements, in: Michael Bordag, et al.: Advances in the Casimir effect. Oxford Univ. Pr., Oxford 2009, ISBN 978-0-19-923874-3.
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M.J. Sparnaay: Measurements of attractive forces between flat plates. In: Physica. 24, 1958, S. 751, doi:10.1016/S0031-8914(58)80090-7.
- ↑ Federico Capasso, et al.:Attractive and Repulsive Casimir–Lifshitz Forces, QED Torques, and Applications to Nanomachines. S. 249–286, in: Diego Dalvit, et al.: Casimir physics. Springer, Berlin 2011, ISBN 978-3-642-20287-2.
- ↑ Federico Capasso, et al.: Casimir forces and quantum electrodynamical torques: physics and nanomechanics. In: IEEE Journal of Selected Topics in Quantum Electronics, Vol.13, issue 2, 2007, S. 400–414, doi:10.1109/JSTQE.2007.893082.
- ↑ Metamaterials Could Reduce Friction in Nanomachines sciencedaily.com, abgerufen am 22. November 2012
- ↑ Henning Genz, Karlsruhe: Vakuum - 3.6 Fluktuationen. Abgerufen im Januar 2017.
- ↑ R. Jaffe: Casimir effect and the quantum vacuum. In: Physical Review D. 72. Jahrgang, Nr. 2, 2005, S. 021301, doi:10.1103/PhysRevD.72.021301, arxiv:hep-th/0503158, bibcode:2005PhRvD..72b1301J.
- ↑ Joseph Cugnon: The Casimir Effect and the Vacuum Energy: Duality in the Physical Interpretation. In: Few-Body Systems. 53.1-2 (2012): 181–188. Online (PDF)
- ↑ Joseph Cugnon: The Casimir Effect and the Vacuum Energy: Duality in the Physical Interpretation. In: Few-Body Systems. 53.1-2 (2012): 185. Online (PDF)
- ↑ H. B. G. Casimir, D. Polder The Influence of Retardation on the London-van der Waals Forces Phys. Rev. 73, 360 – Veröffentlicht 15. Februar 1948, doi:10.1103/PhysRev.73.360
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Steve K. Lamoreaux: Demonstration of the Casimir Force in the 0.6 to 6 μm Range. In: Physical Review Lett. Volume 78, 5–8 (1997) Abstract pdf online, abgerufen am 12. August 2011
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Quanteneffekte bei Nanostrukturen In: Spektrum der Wissenschaft, September 2009, S. 12; Interplay between geometry and temperature for inclined Casimir plates, bibcode:2009PhRvD..80f5033W
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Physicists Demonstrate that the Warmer a Surface is, the Stronger its Ability to Attract Nearby Atoms. AZoNano.com, 8. Februar 2007, abgerufen am 21. Juni 2016 (Lua-Fehler in Modul:Multilingual, Zeile 149: attempt to index field 'data' (a nil value)).
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Marc G. Millis: Breakthrough Propulsion Physics Workshop Preliminary Results nasa.gov, (pdf; 821 kB); ASSESSING POTENTIAL PROPULSION BREAKTHROUGHS grc.nasa.gov, abgerufen am 30. August 2012
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Research in a Vacuum - DARPA Tries to Tap Elusive Casimir Effect for Breakthrough Technology scientificamerican.com; DARPA seeks sticky-goldenballs Casimir forcefields theregister.co.uk, abgerufen am 28. März 2011
- ↑ Ulf Leonhardt, Thomas G Philbin: Quantum levitation by left-handed metamaterials. In: New Journal of Physics. 9. Jahrgang, Nr. 8, 10. August 2007, ISSN 1367-2630, S. 254–254, doi:10.1088/1367-2630/9/8/254 (iop.org [abgerufen am 28. Juli 2012]).
- ↑ Eyal Buks, Michael L. Roukes: Quantum physics: Casimir force changes sign. In: Nature. 419. Jahrgang, Nr. 6903, 12. September 2002, ISSN 0028-0836, S. 119–120, doi:10.1038/419119a (nature.com [abgerufen am 28. Juli 2012]).
- ↑ Rüdiger Vaas: Von nichts kommt nichts. Januar 2012. Abgerufen im Januar 2017.
- ↑ Maike Pollmann: Licht aus Vakuum erzeugt. November 2016. Abgerufen im Januar 2017.
- ↑ Gerald T. Moore: Quantum Theory of the Electromagnetic Field in a Variable-Length One-Dimensional Cavity. September 1970, bibcode:1970JMP....11.2679M.