Beim Millikan-Versuch handelt es sich um ein Experiment, mit dem es den amerikanischen Physikern Robert Andrews Millikan und Harvey Fletcher 1910 gelang, die Größe der Elementarladung $ e $ deutlich genauer zu bestimmen, als es bis dahin möglich gewesen war.[1][2]
Auf Anregung von Robert Millikan griff Harvey Fletcher dazu im Rahmen seiner Doktorarbeit auf zuvor von Harold Albert Wilson, Joseph John Thomson und anderen Forschern durchgeführte Versuche zurück, die er maßgeblich verbesserte. Seine wichtigste Verbesserung bestand darin, die zuvor eingesetzten Stoffe Wasser bzw. Alkohol durch schwerflüchtige Flüssigkeiten wie Öl und Quecksilber zu ersetzen.[1] Um die Elementarladung $ e $ zu bestimmen, wurde die Sinkgeschwindigkeit von elektrisch aufgeladenen Öltröpfchen bei vorhandenem elektrischem Feld im Vergleich zum Fall ohne elektrisches Feld gemessen. Der so ermittelte Wert der Elementarladung war:[3]
Für diese Messung erhielt jedoch nur Robert Millikan 1923 den Nobelpreis für Physik, da er und Harvey Fletcher vor der Veröffentlichung der Arbeit vertraglich vereinbarten, dass nur Millikans Name für die Arbeit in der Fachzeitschrift Science angegeben wird. Fletcher hingegen wurde dafür in einem Artikel in Physical Review über die Bestätigung der Brownschen Molekularbewegung als einziger Autor genannt und konnte dies für seine Dissertation verwenden.[4] Harvey Fletcher machte das Abkommen mit Robert Millikan in einem Text öffentlich, der erst nach seinem Tod 1982 in der Fachzeitschrift Physics Today gedruckt wurde.[5]
Mit einem Zerstäuber werden zunächst feinste Öltröpfchen erzeugt, die so klein (etwa 0,5 µm Durchmesser) sind, dass man sie mit einem herkömmlichen Mikroskop nicht mehr direkt beobachten kann. Um sie dennoch zu verfolgen, bedient man sich der Dunkelfeldmethode, bei der man die Öltröpfchen in einem Winkel von etwa 150° zum Betrachter, also aus fast entgegengesetzter Richtung beleuchtet und die dabei entstehenden Beugungsscheibchen im Mikroskop verfolgt (wobei zu beachten ist, dass das Mikroskop oben und unten vertauscht, man also die Beugungsscheibchen sinkender Öltröpfchen nach oben wandern sieht und umgekehrt). Wenigstens ein Teil der Öltröpfchen muss dabei elektrisch geladen sein, was in Millikans Versuchsaufbau durch eine Röntgenröhre erreicht wurde, deren ionisierende Strahlung die Öltröpfchen elektrostatisch auflud. In der Regel aber genügt schon die Reibung der Öltröpfchen aneinander beim Zerstäuben oder an der Luft, um sie hinreichend aufzuladen.
Anschließend gelangen die Tröpfchen zwischen die Platten eines Plattenkondensators. Die Öltröpfchen sind so klein, dass für sie die Luft wie eine zähe Flüssigkeit wirkt. Sie schweben lange Zeit als Aerosol in der Luft. Das elektrische Feld des Kondensators übt jedoch eine Kraft auf geladene Öltröpfchen aus, die die Schwerkraft weit übersteigt. Die Coulomb-Kraft zieht die positiv geladenen Tröpfchen zur negativ geladenen Platte des Kondensators. Die daraus resultierende Bewegung lässt sich als Bewegung der mit dem Mikroskop erkennbaren Beugungsmuster beobachten.
Montiert man die Platten des Kondensators horizontal übereinander, kann man durch Anlegen einer geeigneten Spannung an die Platten eine elektrische Kraft auf die Tröpfchen ausüben, die die Summe der beiden erstgenannten Kräfte kompensiert, die nach unten wirkende Gewichtskraft $ F_{\mathrm {G} } $ sich also die Waage mit der Summe der elektrischen Kraft $ F_{\mathrm {E} } $ sowie der Auftriebskraft $ F_{\mathrm {A} } $ hält und das betreffende Öltröpfchen damit im Prinzip schwebt.
Durch Lösen der Gleichung $ F_{\mathrm {E} }=F_{\mathrm {G} }-F_{\mathrm {A} } $ könnte nun also vom Grundsatz her die Ladung der Öltröpfchen bestimmt werden – praktisch aber scheitert das daran, dass die Beugungsscheibchen im Mikroskop keinerlei Rückschlüsse auf den Radius der Öltröpfchen zulassen, die rechte Seite der Gleichung also unbestimmt bleibt. Hinzu kommt, dass der Schwebezustand aufgrund der brownschen Bewegung nur schwer exakt zu erkennen ist.
Um den Radius der Tröpfchen dennoch zu ermitteln, kann man den Umstand nutzen, dass sich nicht nur durch das elektrische Feld im Kondensator, sondern auch durch den Einfluss der geschwindigkeitsabhängigen stokesschen Reibungskraft ein Kräftegleichgewicht einstellt, allerdings nun nicht in Form eines Schwebezustands der betreffenden Öltröpfchen, sondern einer konstanten Geschwindigkeit $ v $ ihres Fallens bzw. Steigens.
In der Praxis gibt es dazu zwei verschiedene Verfahren: Bei der „Einfeldmethode“ misst man nach einem angenähert erreichten Schwebezustand eines ausgewählten Öltröpfchens seine Fallgeschwindigkeit allein aufgrund der Schwerkraft, bei der „Zweifeldmethode“ dagegen lässt man das Öltröpfchen zunächst einmal vom Feld des Kondensators nach unten und (nach Umpolen des Feldes) anschließend wieder nach oben ziehen, wobei man jeweils die Sinkgeschwindigkeit $ v_{1} $ sowie Steiggeschwindigkeit $ v_{2} $ des Tröpfchens protokolliert.
Es existieren zwei Varianten des Versuchs, die Schwebe- (oder Einfeld-) und die Gleichfeldmethode (oder Zweifeldmethode). Bei der Schwebemethode wird eine Geschwindigkeit zu Null gewählt und die zweite Geschwindigkeit sowie die für den Stillstand benötigte Spannung gemessen. Bei der Zweifeldmethode wird der Betrag der Spannung fest vorgegeben und die zwei Geschwindigkeiten bei Umpolung des elektrischen Feldes gemessen. Die Zweifeldmethode ist dabei die üblichere.
Bei der Bewegung des Öltröpfchens treten folgende Kräfte auf, die in den Bildern grafisch veranschaulicht werden:
Die darin vorkommenden Größen sind wie folgt definiert:
Ein ausgewähltes Öltröpfchen wird durch Variation der Kondensatorspannung annähernd zum Stillstand (Schweben) gebracht und anschließend bei ausgeschaltetem elektrischem Feld seine Fallgeschwindigkeit gemessen. Sobald sich beim Fallen des Öltröpfchens ein Gleichgewicht zwischen Reibung, Auftrieb und Gewicht eingestellt hat, gilt:
Einsetzen der bekannten Zusammenhänge ergibt:
Umstellen nach $ r $ ergibt:
Damit ist der Radius der Öltröpfchen alleine aus der messbaren Fallgeschwindigkeit bestimmbar. Um zur Ladung zu gelangen, wird nun der Schwebezustand betrachtet. In diesem gilt analog der obigen Formel die Gleichung:
da sich nun die elektrische Kraft im Gleichgewicht mit Gewichts- und Auftriebskraft befindet. Einsetzen der Zusammenhänge für die Kräfte ergibt:
Das kann nach der Ladung umgeformt werden:
Einsetzen der Gleichung für $ r $ in die Gleichung für $ q $ liefert eine Gleichung für die Ladung, die nur noch von den messbaren Größen Spannung und Fallgeschwindigkeit abhängt:
Somit kann aus den Messgrößen direkt die Ladung und der Radius berechnet werden.
Bei gegebener Kondensatorspannung wird für ein ausgewähltes sich zunächst nach unten bewegendes Öltröpfchen seine Sinkgeschwindigkeit $ v_{1} $ und anschließend, nach Umpolung des elektrischen Feldes bei betragsmäßig beibehaltener Kondensatorspannung, seine Steiggeschwindigkeit $ v_{2} $ bestimmt. Im Falle des Sinkens gilt:
Im Falle des Steigens gilt:
Subtrahieren der beiden Gleichungen voneinander, Einsetzen der bekannten Zusammenhänge und Auflösen nach $ r $ liefert:
Einsetzen dieser Gleichung in eine der beiden Kraftgleichungen liefert eine Gleichung für die Ladung
Einsetzen der Gleichung für $ q $ in die Gleichung für $ r $ liefert für den Radius
Nun sind sowohl Radius als auch Ladung allein durch messbare Größen bestimmbar.
Da die Größe der Öltröpfchen im Bereich der mittleren freien Weglänge von Luft liegt, sollte für die Stokessche Reibung noch die Cunningham-Korrektur berücksichtigt werden.[6] Dabei wird die Reibungskraft um einen Term erweitert, der im Normalfall bei großen Körpern vernachlässigt werden kann:
wobei $ \lambda $ die mittlere freie Weglänge von Luft und $ r $ der Tröpfchenradius ist. Die Gleichungen müssen nun neu gelöst werden und werden etwas komplexer, aber auch signifikant genauer.
Da jedes Öltröpfchen aus einer größeren Anzahl von Atomen besteht und nicht nur eine, sondern auch mehrere Ladungen tragen kann, ist jede berechnete Ladung $ q $ eines Öltröpfchens ein ganzzahliges Vielfaches der Elementarladung. Zeichnet man die Ladungsverteilung vieler Versuche in ein Schaubild ein, ergibt sich keine kontinuierliche Verteilung. Es zeigt sich, dass nur Vielfache der Elementarladung $ e=1{,}602\cdot 10^{-19}\,\mathrm {C} $ auftreten.
Eine einzelne Elementarladung auf einem Teilchen lässt sich nur dann beobachten, wenn die Spannung hoch genug ist, um gerade noch sichtbare Öltröpfchen mit einer Elementarladung mindestens im Schwebezustand zu halten. Das ist in den meisten Versuchsaufbauten nicht der Fall.
Seit 1910 wurden deutlich genauere Methoden zur Bestimmung der Elementarladung entwickelt, unter anderem konnte sie über den Quanten-Hall-Effekt bestimmt werden. Seit der Neudefinition des Internationalen Einheitensystems 2019 werden die Einheiten Ampere und Coulomb über die Elementarladung definiert. Die Elementarladung ist daher keine experimentell zu bestimmende Konstante mehr, sondern wurde auf einen exakten Wert festgelegt:[7][8]