Ununterscheidbare (oder identische) Teilchen in der Physik sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich in keiner Weise anhand bestimmter Eigenschaften voneinander unterscheiden lassen, die von ihrem jeweiligen Zustand unbeeinflusst sind. In diesem Sinne sind alle fundamentalen Teilchen der gleichen Art ununterscheidbar (z. B. Elektronen, Photonen, Quarks). Die Ununterscheidbarkeit gilt auch für alle daraus zusammengesetzten Systeme (z. B. Protonen, Neutronen, Atomkerne, Atome, Moleküle), sofern sie sich im selben Zustand befinden.
Die Unmöglichkeit einer Unterscheidung mehrerer identischer Teilchen hat zur Folge, dass die Zuordnung von laufenden Nummern keine Auswirkungen auf experimentelle Ergebnisse hat. Sie würde bei Streuexperimenten zu falschen Voraussagen führen. Damit widerspricht die Ununterscheidbarkeit identischer Teilchen dem 1663 von Gottfried Wilhelm Leibniz formulierten Prinzip, nach dem es auf der Welt keine zwei Dinge geben könne, die sich in nichts unterscheiden.
Die Ununterscheidbarkeit der fundamentalen Teilchen hat Auswirkungen auf die Möglichkeiten, aus ihnen zusammengesetzte Systeme zu bilden. Sie trägt damit zum Verständnis des Verhaltens von Materie bei.
Die Ununterscheidbarkeit gleicher Teilchen verursacht Effekte, die für die klassische Physik (und den Alltagsverstand) unverständlich sind. Ein Gedankenexperiment soll sie veranschaulichen: So sind reale Münzen in der realen Welt immer unterscheidbare Objekte. Wenn man zwei Münzen gleichzeitig wirft, dann gibt es vier mögliche unterschiedliche Ergebnisse:
Wenn man das Experiment sehr oft wiederholt, dann erhält man das Ergebnis mit unterschiedlichen Seiten bei beiden Münzen doppelt so oft wie das mit (Kopf-Kopf) oder (Zahl-Zahl), weil es zwei unterschiedliche Varianten gibt, wie dieses Ergebnis zu Stande kommen kann.
Wenn es ununterscheidbare Münzen im Sinne der Quantenphysik gäbe, dann gäbe es keine Möglichkeit mehr, zu sagen, welche der ursprünglichen Münzen denn nun im Ergebnis die Zahl und welche den Kopf zeigt. Es gibt keine verschiedenen, geordneten Ergebnisse (Kopf-Zahl), (Zahl-Kopf), sondern nur eine Ergebnismenge, in der eine Münze Kopf und eine Münze Zahl zeigt. Daher gäbe es bei ununterscheidbaren Münzen nur drei verschiedene mögliche Ergebnisse:
Man erhält die drei möglichen Ergebnisse gleich häufig.
In der Quantenphysik werden solche Statistiken mit Streuexperimenten experimentell geprüft. Ein entsprechendes Gedankenexperiment dazu: 10000-mal nacheinander fliegen zwei Teilchen mit betragsmäßig gleichem Impuls aufeinander zu, eins genau aus nördlicher und eins genau aus südlicher Richtung. Die Flugrichtungen dieser „Nord-“ und „Süd“-Teilchen liegen fest, aber in welchem Abstand ihre Flugbahnen aneinander vorbeizielen, nicht. Also kommen alle Abstände vor, und alles wird als „Stoß“ bezeichnet. Ist der Abstand genügend klein, üben die beiden Teilchen Kräfte aufeinander aus und ändern dadurch (in entgegengesetzt gleicher Weise) ihre Flugrichtung. Da alle Abstände mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeitsverteilung vorkommen, kommen auch alle Ablenkwinkel mit einer bestimmten (anderen) Wahrscheinlichkeitsverteilung vor. Gezählt wird die Häufigkeit, wie oft eins der Teilchen (egal welches) zufällig um genau 90° abgelenkt wird und anschließend in Richtung Osten fliegt. Dann fliegt das andere Teilchen stets in entgegengesetzter Richtung fort, also nach Westen. Nur um diese Endzustände geht es hier.
Für jedes Paar aus Nord- und Südteilchen gibt es zwei unterscheidbare Endzustände, deren Häufigkeiten zusammengezählt werden: (1) das Nord-Teilchen fliegt nach dem Stoß nach Osten und das Süd-Teilchen nach Westen, oder (2) umgekehrt.
Unterscheiden sich Nord- und Südteilchen (z. B. durch ihre Farbe), so kann man zählen, wie viel der ursprünglich aus Norden kommenden Teilchen nach Osten fliegen, z. B. 16.[Anm. 1] Aus Symmetriegründen (weil bei 90° der Ablenkwinkel für Nord- und Süd-Teilchen gleich groß ist) werden auch sicher gleich viele Süd-Teilchen dorthin abgelenkt. Damit kommen auf der Ostseite insgesamt 32 Teilchen an, wie (aus Symmetriegründen) auf der Westseite auch.
Sind die Teilchen aber ununterscheidbar (im Sinne der völligen Ununterscheidbarkeit, von der hier die Rede ist), bleibt es dann bei den insgesamt 32 beobachteten Teilchen?
Der statistische Effekt: Bei ununterscheidbaren Teilchen haben auch die beiden eben genannten Endzustände nun kein physikalisch feststellbares Unterscheidungsmerkmal mehr. Dann sind es, in quantenphysikalischer Zählweise der Zustände, auch gar nicht zwei verschiedene Zustände, sondern nur noch einer. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei der zufallsgesteuerten Verteilung auf die Ablenkwinkel dieser eine Zustand getroffen wird, ist daher (bei gleicher Form der Kräfte) nur halb so groß wie die Wahrscheinlichkeit für die zwei Zustände der unterscheidbaren Teilchen zusammen. Demnach kommen statt 32 also nur 16 Teilchen im Osten an. (Die anderen 16 sind, trotz gleicher Art des Aufeinanderschießens und gleicher Form der Kräfte, bei anderen Ablenkwinkeln angekommen und erhöhen dort die Zählrate!) Dabei verbietet sich wegen der Ununterscheidbarkeit der Teilchen die Frage, „welche“ der Teilchen es sind, also wie viele von ihnen aus Norden bzw. Süden kommen. Diese Zählweise der möglichen Zustände hat sich in den Stoßexperimenten mit Teilchen und in der statistischen Physik als die einzig zutreffende erwiesen.
Der dynamische Effekt: Im hier dargestellten Streuexperiment tritt noch eine weitere Besonderheit der identischen Teilchen hinzu. Danach fliegen (bei gleicher Form der Kräfte) – je nach Teilchenklasse Boson bzw. Fermion der beiden Stoßpartner – tatsächlich entweder 64 (bei Bosonen) oder gar keines (bei Fermionen) nach Osten weg, statt der eben errechneten Zahl von 16 Teilchen.[Anm. 2] Dies ist in entsprechenden Experimenten überprüft worden.[1] Es entspricht genau der Voraussage der Quantenmechanik, dass für ununterscheidbare Teilchen die Wellenfunktion (oder der Zustandsvektor) eine besondere Form haben muss. Darin kommen zwar immer genau zwei Teilchen mit entgegengesetzten Flugrichtungen vor. Im Anfangszustand fliegen sie in Nord-Süd-Richtung aufeinander zu und im Endzustand in Ost-West-Richtung voneinander weg. Aber im Anfangszustand kommt jedes der beiden Teilchen mit gleicher Wahrscheinlichkeitsamplitude aus Nord und aus Süd, im Endzustand fliegt jedes der beiden Teilchen mit gleicher Amplitude nach Ost und nach West. Somit ist es schon begrifflich ausgeschlossen, demjenigen der beiden ununterscheidbaren Teilchen, das beobachtet wurde, eine bestimmte Herkunft oder einen bestimmten Weg zuschreiben zu wollen. Wenn man, wie in der Darstellung durch eine Wellenfunktion üblich, die Teilchen bzw. ihre Koordinaten durchnummeriert, muss deshalb diese Wellenfunktion eine Form annehmen, in der jede Nummer mit jedem der Einteilchenzustände zusammen auftritt.[Anm. 3] Dadurch ergeben sich Interferenzen der beiden Wahrscheinlichkeitsamplituden, mit denen jeder der beiden einzelnen Endzustände (Nord-Teilchen nach Osten bzw. Süd-Teilchen nach Osten) auftreten würde.[Anm. 4] Bei 90° Ablenkung sind beide Amplituden gleich groß und müssen bei Bosonen addiert werden (konstruktive Interferenz, daher Verdoppelung der Zahl der beobachteten Teilchen von 32 auf 64), bei Fermionen subtrahiert (destruktive Interferenz, daher Ergebnis 0). Nimmt man die Intensität auch bei anderen Streuwinkeln auf, so wechseln sich in Abhängigkeit vom Winkel Minima und Maxima ab und zeigen ein ausgeprägtes Interferenzmuster.
Die besondere Rolle, die die Ununterscheidbarkeit identischer Teilchen spielt, wurde 1926 von Paul Dirac und Werner Heisenberg entdeckt, als sie mit Hilfe der damals neuen Quantenmechanik die Atome mit mehreren Elektronen studierten, woran die älteren Quantentheorien gescheitert waren. Dirac und Heisenberg stellten die Regel auf, dass es den Zustand des Atoms unverändert lässt, wenn zwei Elektronen darin wechselseitig ihre Orbitale vertauschen. Dem quantenmechanischen Formalismus (Wellenfunktion oder Zustandsvektor) zufolge wird es damit unmöglich, unter mehreren Elektronen ein bestimmtes zu identifizieren und seinen Weg zu verfolgen. Das gilt nicht nur für die Elektronen in einem bestimmten Atom, sondern ganz allgemein, z. B. auch für frei fliegende Elektronen in Streuexperimenten wie oben beschrieben. In einem System aus mehreren Elektronen lässt sich die Gesamtzahl der Elektronen identifizieren und welche Zustände von ihnen besetzt sind, aber nicht, „welches“ der Elektronen einen bestimmten Zustand innehat. Im ersten Lehrbuch zur Quantenmechanik von 1928 drückte Hermann Weyl das so aus: „Von Elektronen kann man prinzipiell nicht den Nachweis ihres Alibi verlangen“.[2] Zur gleichen Zeit wurde an Molekülen aus zwei gleichen Atomen entdeckt, dass diese Art von Ununterscheidbarkeit auch für ganze Atome gilt, also auch zwei gleichen Atomkernen zukommt und damit für alle Bausteine der Materie zutrifft.
Im Alltag findet man eine ebenso perfekte Ununterscheidbarkeit nicht an realen Dingen, sondern nur an abstrakten, wie etwa bei der Gleichheit beider Seiten einer mathematischen Gleichung wie
In der Philosophie hielt man es von alters her und besonders seit Leibniz für ausgeschlossen, dass es zu einem Ding zusätzlich Kopien geben könne, die sich in buchstäblich nichts von dem Ding unterscheiden lassen (Principium identitatis indiscernibilium – pii). Für diesen Satz gab es auch einen formalen logischen Beweis. Doch nachdem an den Elektronen genau dies Phänomen festgestellt wurde, ist dieser Satz und sein Beweis heftig umstritten.[Anm. 5][3] Weyl z. B. führte den zitierten Satz so weiter: „Von Elektronen kann man prinzipiell nicht den Nachweis ihres Alibi verlangen. So setzt sich in der modernen Quantentheorie das Leibnizsche Prinzip von der coincidentia indiscernibilium durch.“ Für einen Überblick über die andauernde Diskussion siehe Stanford Encyclopedia of Philosophy.[4][5]
Eine (nicht perfekte, aber praktische) Ununterscheidbarkeit spielt in der Datenmodellierung eine Rolle. In einer Datenbank gelten alle Objekte mit einem Mengenattribut als ununterscheidbar. Beispiel: 73 Stück (Mengenattribut) identische Mineralwasserflaschen (einer bestimmten Art, Größe usw.) im Warenbestand eines Geschäftes.
In der statistischen Physik ist die Ununterscheidbarkeit ein wichtiger Punkt bei der Zählung der Zustände eines Systems. Ein System aus ununterscheidbaren Teilchen hat im Vergleich zu einem System aus gleich vielen unterscheidbaren Teilchen einen eingeschränkten Zustandsraum (s. Gedankenexperiment oben). Scheinbar verschiedene Zustände, bei denen lediglich Teilchen gegeneinander vertauscht wurden, sind in Wirklichkeit immer ein und derselbe Zustand. Da es
In der wellenmechanischen Formulierung der Quantenmechanik wird jeder wohldefinierte Zustand des gesamten N-Teilchensystems durch eine Wellenfunktion
Bei identischen Teilchen gilt, wie in der statistischen Physik, dass aus der Vertauschung nur derselbe physikalische Zustand hervorgehen kann. Für die Wellenfunktion
Allen Beobachtungen zufolge gilt: Wenn man in einem beliebig zusammengesetzten Vielteilchensystem zwei Teilchen vertauscht, bleibt im Fall zweier identischer Bosonen die Wellenfunktion ungeändert, während sie bei identischen Fermionen das Vorzeichen wechselt. Eine theoretische Begründung liefert das Spin-Statistik-Theorem. Die Wellenfunktionen, die beim Vertauschen zweier beliebiger Teilchen immer ihr Vorzeichen wechseln, heißen total antisymmetrisch, diejenigen, die dabei immer gleich bleiben, total symmetrisch.
Die einfachsten Basiszustände für die Modellierung einer Gesamtwellenfunktion eines Systems aus
Das vollständig antisymmetrisierte Produkt von
In bosonischen Systemen gilt das Pauli-Prinzip nicht. Daher sitzen Bosonen, sofern sie sich nicht abstoßen, bei tiefen Temperaturen bevorzugt im gleichen, energetisch tiefstmöglichen Zustand, was zu einem besonderen Systemzustand führt, dem Bose-Einstein-Kondensat.
In der Zweiten Quantisierung ist die Ununterscheidbarkeit identischer Teilchen schon in den Grundbegriffen des Formalismus in vollkommener Weise berücksichtigt. Der Zustandsvektor
Dabei gilt das Pluszeichen, wenn
Entsprechend berechnet man die Zweiteilchenwellenfunktion