Ein Pseudovektor, auch Drehvektor, Axialvektor oder axialer Vektor genannt, ist in der Physik eine vektorielle Größe, die bei einer Punktspiegelung des betrachteten physikalischen Systems ihre Richtung beibehält. Im Gegensatz dazu kehren polare oder Schubvektoren bei einer Punktspiegelung ihre Richtung um.
Das Bild zeigt einen Körper bei einer Drehbewegung und sein Spiegelbild. Der Drehimpuls ändert sich bei der Punktspiegelung nicht, denn die Drehgeschwindigkeit wird durch einen axialen Vektor beschrieben. Die Bahngeschwindigkeit zeigt nach der Punktspiegelung wie der Impuls in die entgegengesetzte Richtung und ist daher ein polarer Vektor.
Die Richtung eines axialen Vektors ist bezüglich einer Orientierung des Raumes, üblicherweise der rechtshändigen, definiert. Axialvektoren treten typischerweise auf, wenn ein physikalischer Zusammenhang durch das Kreuzprodukt ausgedrückt wird (das bei rechtshändigen Koordinatensystemen die Rechte-Hand-Regel verwendet.)
Gegeben sei ein physikalisches System und ein zweites, das zu jedem Zeitpunkt aus dem ersten durch immer dieselbe räumliche Bewegung χ hervorgeht (d. h. durch eine längen- und winkeltreue Abbildung, keine Bewegung im kinematischen Sinn!). Dabei sind für χ auch ungleichsinnige (orientierungsumkehrende) Bewegungen erlaubt. Im ersten System wird zu einem festen Zeitpunkt t also ein Teilchen, das sich am Ort P(t) befindet, auf ein Teilchen am Ort P’(t) im bewegten System abgebildet. Masse und Ladung des Teilchens bleiben dabei unverändert. Für kontinuierliche Verteilungen heißt das, dass eine Dichte $ \rho $ auf eine Dichte $ \rho ' $ mit $ \rho '(t,P')=\rho (t,P) $ abgebildet wird. Man sagt, eine physikalische Größe habe ein bestimmtes Transformationsverhalten unter der Bewegung, wenn diese Transformation die physikalische Größe auf die entsprechende Größe im bewegten System abbildet. Zum Beispiel hat das bewegte Teilchen am Ort P’ die transformierte Geschwindigkeit $ {\vec {v}}' $, die durch die Geschwindigkeit $ {\vec {v}} $ des ursprünglichen Teilchens am Ort P bestimmt ist.
Setzt sich die Bewegung χ nur aus Verschiebungen und Drehungen zusammen, so ist das Transformationsverhalten für alle vektoriellen Größen dieselbe. Betrachtet man dagegen den Fall einer Punktspiegelung im Raum am Zentrum $ P_{Z} $, d. h. $ {\vec {r}}'=-{\vec {r}} $, wobei $ {\vec {r}}={\overrightarrow {P_{Z}\,P}} $ und $ {\vec {r}}'={\overrightarrow {P_{Z}\,P'}} $ die Ortsvektoren eines Teilchens und seines Spiegelbildes sind, so sind zwei Fälle zu unterscheiden. Ein polarer Vektor, wie etwa die Geschwindigkeit $ {\vec {v}} $ des Teilchens, ist dadurch charakterisiert, dass er wie die Ortsvektoren transformiert: $ {\vec {v}}'=-{\vec {v}} $. Ein axialer Vektor, wie etwa die Winkelgeschwindigkeit $ {\vec {\omega }} $ des Teilchens, wird dagegen unter der Punktspiegelung auf sich selbst abgebildet: $ {\vec {\omega }}'={\vec {\omega }} $. Die Eigenschaft einer vektoriellen Größe, axial oder polar zu sein, legt bereits das Transformationsverhalten unter einer beliebigen Bewegung χ fest. Denn jede Bewegung lässt sich durch eine Hintereinanderausführung von Translationen, Drehungen und Punktspiegelungen darstellen.
Diese Betrachtungen[1] zum Transformationsverhalten einer vektoriellen Größe unter einer aktiven Bewegung χ des Systems hat nichts zu tun mit dem Transformationsverhalten der Komponenten des Vektors unter einer gewöhnlichen Koordinatentransformation. Letztere ist dieselbe für axiale und polare Vektoren, nämlich die von Koordinaten eines Tensors vom Rang eins. Es handelt sich also um echte Vektoren im Sinne der Tensorrechnung, weswegen der Begriff Pseudovektor in diesem Zusammenhang irreführend ist. Tatsächlich gibt es Autoren[2][3], die diese unterschiedlichen Begriffe nicht klar trennen. Viele Autoren[4][5] beschreiben eine ungleichsinnige Bewegung des Systems als Koordinatentransformation bei gleichzeitiger Änderung der Orientierung, bezüglich welcher das Kreuzprodukt zu berechnen ist. Dies entspricht einer passiven Transformation, wobei der Beobachter die gleiche Transformation erfährt wie das Koordinatensystem. Anschaulich bedeutet das, dass die rechte Hand bei einer Punktspiegelung des Koordinatensystems zu einer linken Hand wird. Rechnerisch wird das realisiert durch die Einführung eines Pseudotensors, dessen Komponenten unabhängig von der Orientierung eines orthonormalen Koordinatensystems durch das Levi-Civita-Symbol gegeben sind. Dieser vollständig antisymmetrische Pseudotensor (auch Tensordichte vom Gewicht -1 genannt) ist also kein Tensor. In diesem Sinne ist auch der Begriff Pseudovektor zu verstehen, welcher in dieser Betrachtung bei einer Punktspiegelung des Koordinatensystems seine Richtung ändert (dessen Komponenten dagegen unverändert bleiben). Diese passive Sichtweise liefert die gleichen Ergebnisse bezüglich der Unterscheidung axialer und polarer Vektoren wie die aktive.
Jeder Tensor zweiter Stufe besitzt im dreidimensionalen Raum eine Vektorinvariante, die als solche ein axialer Vektor ist[6]. Zu der Vektorinvariante trägt nur der schiefsymmetrische Anteil des Tensors etwas bei. Die Umkehroperation stellt aus dem axialen Vektor den schiefsymmetrischen Anteil des Tensors her:
Darin sind a1,2,3 die Koordinaten des Vektors $ {\vec {a}} $ bezüglich der Standardbasis $ {\hat {e}}_{1,2,3} $, 1 ist der Einheitstensor, „ד bildet das Kreuzprodukt und „$ \otimes $“ das dyadische Produkt. Das Ergebnis ist im Koordinatenraum die Kreuzproduktmatrix $ [{\vec {a}}]_{\times } $.
Die Wirbelstärke ist die negative Vektorinvariante des Geschwindigkeitsgradienten und mit obiger Umkehroperation entsteht dessen schiefsymmetrischer Anteil, der Wirbeltensor. Bei einer Starrkörperbewegung entspricht der Winkelgeschwindigkeit der Winkelgeschwindigkeitstensor, der hier die Rolle des Geschwindigkeitsgradienten übernimmt. Für das Magnetfeld B erhält man auf diese Weise die räumlichen Komponenten des elektromagnetischen Feldstärketensors.
Allgemeiner kann einem axialen Vektor über die Hodge-Dualität ein schiefsymmetrischer Tensor zweiter Stufe zugeordnet werden. In Koordinaten ausgedrückt gehört zu einem Vektor $ a_{i} $ die 2-Form $ (*a)_{ij}=\mp \epsilon _{ijk}a_{k} $ (für positiv bzw. negativ orientierte Orthonormalbasis) mit dem Levi-Civita-Symbol $ \epsilon _{ijk} $ und unter Verwendung der Summenkonvention. Dieser Zusammenhang kann benutzt werden, um Größen wie den Drehimpuls für Räume der Dimension ungleich drei zu verallgemeinern. Nur im R3 hat eine antisymmetrische 2-Form genauso viele unabhängige Komponenten wie ein Vektor. Im R4 beispielsweise sind es nicht 4, sondern 6 unabhängige Komponenten.