Sharp Edge Flight Experiment

Sharp Edge Flight Experiment

Der zusammengebaute SHEFEX II-Körper

Das Sharp Edge Flight Experiment (SHEFEX) (deutsch scharfkantiges Flugexperiment) steht für ein Programm des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) zur Entwicklung einiger neuer, kostengünstiger und sicherer Konstruktionsprinzipien für Raumkapseln und Raumgleiter mit Wiedereintrittsfähigkeit in die Atmosphäre und deren Integration zu einem Gesamtsystem. Das DLR erklärte zu den mit SHEFEX verfolgten Absichten : Ziel der Forschungsarbeiten ist ein Raumgleiter, der ab 2020 für rückführbare Experimente unter Schwerelosigkeit zur Verfügung stehen soll.[1] Das Raumgleiterprojekt hat den Namen REX-Free Flyer erhalten (REX für Returnable Experiment, dt. Rückkehrexperiment).[2]

Beim Wiedereintritt von Raumfahrzeugen in die Erdatmosphäre entstehen durch die hohe Geschwindigkeit der Raumfahrzeuge und die Reibung dieser mit den Molekülen der Luft sowie deren Verdrängung Temperaturen von über 2000 Grad Celsius.[1] Um nicht zu verglühen, benötigen Raumschiffe daher bisher sehr teure und manchmal versagende Hitzeschilde.

Erstes Raumfahrzeug mit scharfen Ecken und Kanten

Die namensgebende Idee für das scharfkantige Flugexperiment von Projektleiter Hendrik Weihs, Koordinator für Rückkehrtechnologien im DLR, ist eine völlig neue Form für ein Raumfahrzeug, nämlich mit scharfen Ecken und Kanten, statt der bisher in der Raumfahrt durchgehend verwendeten runden Formen. Flache Einzelbauteile, aus denen sich diese Form zusammensetzen kann, lassen sich kostengünstiger herstellen als gerundete.[1]

Zu diesem grundlegenden Vorteil des Konzepts erklärte Klaus Hannemann, Leiter der Abteilung Raumfahrzeuge im DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik in Göttingen:

„Ein Space Shuttle hat über 25.000 unterschiedlich geformte Kacheln. Durch die einfache Form der SHEFEX-Kacheln lassen sich die Wartungskosten des Thermalschutzsystems senken und ein einfacher Austausch im Weltall wäre denkbar.“

Weiter streben die Verantwortlichen eine bessere Aerodynamik an. Gesamtprojektleiter Hendrik Weihs erklärte dazu:

„Die Kapsel erreicht fast die aerodynamischen Eigenschaften eines Space Shuttles, ist aber kleiner und benötigt keine Flügel“[3]

Programmatisch erklärte das DLR dazu:

„Aus den Erfahrungen bei der Entwicklung von Thermalschutzsystemen konnte die Vorgabe gekrümmter Außenkonturen mit hoher Genauigkeit als ein wesentlicher Kostenfaktor identifiziert werden. Große, gekrümmte faserkeramische Strukturen benötigen aufwändige Fertigungshilfsmittel und für jedes Einzelbauteil entsprechende Hilfsformen und optimierte Herstellverfahren. Ein mögliches Einsparpotential stellt daher die Vereinfachung der Außenkontur durch Auflösung in möglichst wenige, ebene Oberflächen dar. Grundsätzlich lassen sich plattenförmige Paneele aus einer Grundform herstellen und durch einfaches Beschneiden anpassen. Dies führt auch zu deutlichen Einsparungen bei der Wartung und dem Austausch beschädigter Elemente. Strömungstechnisch ergeben sich jedoch während des Wiedereintritts Probleme an den Kanten und Ecken. Dort treten sehr hohe Temperaturen auf, die durch neue Technologien, wie z.B. aktiv gekühlte Elemente, beherrscht werden müssen. Aerodynamisch ergeben sich jedoch im Hyperschallflug durch diese Formgebung auch Vorteile, da in diesem Geschwindigkeitsbereich Konturen mit scharfen Vorderkanten geringeren Widerstand erzeugen.“[4]

Faserkeramische Verbundmaterialien für den Hitzeschild

Als Werkstoffe für die Schilde werden faserkeramische Verbundmaterialien eingesetzt. So wurden z.B. bei zweiten Raketenversuch SHEFEX II neun verschiedene Materialien getestet, größtenteils Entwicklungen des DLR in Stuttgart und Köln. Diese seien – so das DLR – im Vergleich zu metallischen Werkstoffen wesentlich hitzebeständiger, extrem leicht und auch bei hohen Temperaturen formstabil.[1]

Aktive Kühlung für den Hitzeschild

Außerdem wird auch ein Hitzeschutzsystem entwickelt und getestet, bei dem während des Wiedereintritts Stickstoff durch eine poröse Kachel strömt und so den Flugkörper kühlt.[5] Projektleiter Hendrik Weihs erklärte zu diesem Teilvorhaben:

„Das austretende Gas bildet eine Art kühlende Schutzschicht um die Oberfläche, so dass das atmosphärische Gas nicht an das Raumfahrzeug herankommt“[3]

Steuerung während des Wiedereintritts bei SHEFEX II

Das zweite Experiment SHEFEX II wurde mit aktiven aerodynamischen Kontrollelementen ausgerüstet, die eine aktive Flugsteuerung während der Wiedereintrittsphase ermöglichen. Diese keramischen sogenannten Canards mit ihren mechanischen Aktuatoren und einem autonomen Kontrollsystem stellen ein weiteres wesentliches Entwicklungsziel des Projektes dar.[6]

Beteiligte Institute

Die fliegende Experimentplattform SHEFEX ist eine Gemeinschaftsarbeit von sieben DLR-Instituten und -Einrichtungen:

  • Das Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik führte Windkanalversuche durch und berechnete das Strömungsfeld beim Wiedereintritt und stattet den Flugkörper mit Sensoren für die Messung von Temperatur, Druck und Wärmebelastung aus.
  • Das Institut für Bauweisen- und Konstruktionsforschung fertigte den Flugkörper an und entwarf und produzierte unter anderem die keramischen Thermalschutzsysteme. Bei einem dieser Hitzeschutzsysteme strömt während des Wiedereintritts Stickstoff durch eine poröse Kachel und kühlt so den Flugkörper.
  • Das Institut für Flugsystemtechnik testete Canards, das sind Steuerflächen, mit denen die Lage von SHEFEX II aktiv gesteuert werden kann.
  • Das Institut für Werkstoffforschung stellte keramische Kacheln her,
  • Das Institut für Raumfahrtsysteme und die
  • Einrichtung Simulations- und Softwaretechnik entwickelten eine Navigationsplattform zur Lagebestimmung des Raumfahrzeugs während des Flugs.
  • Die Mobile Raketenbasis MORABA des DLR steuerte das zweistufige Trägersystem hinzu, steuerte die Rakete und empfing die Daten, die SHEFEX während des Flugs sendete.[5]

SHEFEX I

Der erste Versuchsträger SHEFEX-I startete am 28. Oktober 2005 auf einer zweistufigen Höhenforschungsrakete von einer Startanlage auf der Insel Andøya nahe der norwegischen Stadt Andenes. SHEFEX-I erreichte über dem Nordmeer eine Höhe von über 200 km. Das Gerät trat innerhalb von 20 Sekunden mit fast siebenfacher Schallgeschwindigkeit wieder in die Erdatmosphäre ein. Die Messdaten sowie live Bilder der Bordkamera wurden direkt zur Bodenstation übertragen. Da bei der Aktivierung des Fallschirmsystems ein Fehler auftrat, der zum Verlust des Fallschirmsystems führte, ging die Flugeinheit von SHEFEX-I verloren. Die Auswertung der Messdaten lieferte aber nach Angaben der DLR wichtige Erkenntnisse, die SHEFEX-I aus Sicht der DLR zu einem großen Erfolg werden ließen.[4] Als Antrieb wurde ein Raketensystem verwendet, das aus einer brasilianischen VS-30-Unterstufe und einer HAWK-Rakete als Oberstufe kombiniert wurde.[7] Die Kosten des dreijährigen Projektes betrugen ca. 4 Mio. Euro und wurden im Rahmen des Programms Weltraum von der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren (HGF) und dem DLR aufgebracht.[7]

SHEFEX II

Mit der Entwicklung SHEFEX II sollten auf der facettierten Außenhaut neun verschiedene Hitzschutzsysteme getestet werden. Diese sind überwiegend Entwicklungen aus Faserkeramik der DLR-Standorte in Stuttgart und Köln. Ergänzend wurden aber auch den deutschen Raumfahrtunternehmen EADS Astrium und MT Aerospace sowie dem internationalen Partner Boeing Testflächen zur Verfügung gestellt. In den Versuchsträger wurden Sensoren eingebaut, die von der DLR-Abteilung Hyperschalltechnologie in Köln entwickelt wurden. Sie sollten während des Fluges Druck, Wärmefluss und Temperatur in der Nutzlastspitze messen.[8]

Am 22. Juni 2012 um 21.18 Uhr MESZ startete die sieben Tonnen schwere und knapp 13 Meter lange Rakete mit ihrer Nutzlast SHEFEX II vom norwegischen Raketenstartplatz Andøya. Die Raumkapsel SHEFEX II erreichte dabei eine Höhe von etwa 180 Kilometern. SHEFEX II flog mit einer Geschwindigkeit von 11.000 Kilometern in der Stunde (elffache Schallgeschwindigkeit) durch die Atmosphäre. Beim Wiedereintritt in die Atmosphäre überstand SHEFEX II Temperaturen von über 2.500 Grad Celsius und sendete Messdaten von den über 300 Sensoren zur Bodenstation. [5]

SHEFEX III

Die DLR hat für 2016[veraltet] das Projekt Shefex III ins Auge gefasst, der deutlich schneller fliegen, einem Raumgleiter ähneln und 15 Minuten in der Atmosphäre bleiben solle. Ziel der Forschung sei es, mit diesen Daten dann einen Flugkörper zu entwickeln, der nach seinem Start über Tage hinweg Experimente in der Schwerelosigkeit ermöglicht und anschließend unbeschädigt wieder auf dem Boden landen soll.[9]

REX-Free Flyer (SHEFEX IV)

Als erste Anwendung für SHEFEX, dem deutschen Programm zur Hyperschall- und Wiedereintritts-Technologieentwicklung, wurde der REX-Free Flyer ins Auge gefasst. Das System soll als frei fliegende Plattform mit hoher Mikro-G-Güte Experimente in Schwerelosigkeit über mehrere Tage hinweg erlauben. Die Möglichkeit einer gesteuerten Rückführung sowie eine Modulbauweise der Experimenteinschübe, die sich stark an jene von Höhenforschungsraketen anlehnt, sollen Experimentatoren einen möglichst schnellen und kostengünstigen Zugang zu ihren Experimenten ermöglichen.[10]

Einzelnachweise

Siehe auch

  • Dragon (Raumschiff), amerikanische Neuentwicklung eines kostengünstigen Raumschiffes der Firma SpaceX, die auf einen ablativen Hitzeschild setzt.

Weblinks

zu SHEFEX I:

zu SHEFEX II

zum REX-Free Flyer

zum Startplatz: