Strukturfaktor

Strukturfaktor

Der Strukturfaktor Fhkl ist ein Maß für das Streuvermögen einer Kristallbasis. Er gibt die relative Intensität des durch die Laue-Indizes h, k, l bestimmten Beugungsreflexes an. Der Strukturfaktor hängt ab vom Aufbau der Basis, dem Streuvermögen der Basisatome und ihrer thermischen Bewegung. Die Richtung, in welcher die Beugungsreflexe beobachtet werden können, werden von der Bragg- bzw. äquivalent von der Laue-Bedingung angegeben, die vom reinen Kristallgitter ausgehen (ein punktförmiges Streuzentrum am Gitterpunkt).

Beschreibung

Prinzip der Laue-Bedingung:
nur bei bestimmten Verhältnissen von r,k und k' interferieren die beiden Strahlen konstruktiv

Man wählt einen Referenzpunkt innerhalb der Elementarzelle als Ursprung. Betrachtet werden zwei infinitesimale Volumenelemente dV als Streuzentren, eines am Referenzpunkt 0, eines bei r. Der Wellenvektor der einfallenden Strahlung sei k, der der gestreuten sei k. Damit ergibt sich folgender Gangunterschied (Wegdifferenz):

Δs(r)=rkkrkk=r(kkkk)

Der Phasenunterschied beträgt (die Streuung sei elastisch, also k=k):

φ(r)=2πΔsλ=kΔs=(kk)r

Nach der Laue-Bedingung können Beugungsreflexe nur beobachtet werden, wenn die Änderung des Wellenvektors beim Streuprozess einem Gittervektor G des reziproken Gitters entspricht: kk=G. Dies ergibt eingesetzt:

φ(r)=Gr

Nun integriert man über das Volumen VEZ einer Elementarzelle und gewichtet die Phasenunterschiede exp[iφ(r)] mit dem Streuvermögen n(r) jedes Volumenelements (das Streuvermögen ist je nach Beugungsexperiment die Elektronendichte, die Ladungsdichte oder die Kerndichte, siehe Einleitung). Das Integral bezeichnet man als Strukturfaktor Fhkl:

Fhkl=VEZn(r)exp[iφ(r)]d3r=VEZn(r)exp[iGr]d3r

mit der imaginären Einheit i.

Die Amplitude der am Kristall gebeugten Welle ist proportional zum Strukturfaktor. Er hängt von den Laue-Indizes h, k, l ab, da für den reziproken Gittervektor gilt: G=hb1+kb2+lb3.

Der Strukturfaktor ist die Fouriertransformierte des Streuvermögens (z. B. der Elektronendichte):

Fhkl(G)=F{n(r)}.

Der Vektor r lässt sich als Linearkombination der primitiven Gittervektoren ai schreiben: r=u1a1+u2a2+u3a3; und mit der Relation aibj=2πδij lässt sich das Skalarprodukt Gr im Exponenten auswerten (VEZ entspricht ui[0;1]):

Fhkl=010101n(u1,u2,u3)exp[2πi(u1h+u2k+u3l)]du1du2du3

Phasenproblem

Der Strukturfaktor ist eine komplexe Größe:

F=ρeiγ.

Als Ergebnis eines Beugungsexperiments beobachtet man die Intensität der gebeugten Welle, die proportional zum Betragsquadrat des Strukturfaktors ist:

I|Fhkl|2=ρ2

Somit gehen alle Phaseninformationen γ verloren, die jedoch benötigt werden, um aus den beobachteten Reflexen das Streuvermögen (bzw. die Elektronendichte) zu rekonstruieren (Phasenproblem).

Würde Fhkl als Ergebnis einer Messung zur Verfügung stehen, so könnte man die gesuchte Größe n(r) durch nochmalige Fouriertransformation finden:

n(r)=n(u1,u2,u3)=h,k,l=Fhklexp[2πi(u1h+u2k+u3l)]

Da aber nur |Fhkl|2 bekannt ist, müssen Näherungsmethoden wie die Patterson-Methode verwendet werden, um das Phasenproblem zu lösen. Bei der Patterson-Methode wird die nochmalige Fouriertransformation nicht auf Fhkl angewendet, sondern auf |Fhkl|2.

Atomarer Streufaktor

Der Ortsvektor r wird nun zerlegt in einen Anteil rj vom Bezugspunkt zum Kern des j-ten Atoms und einen Vektor r~ vom Kern des j-ten Atoms zum betrachteten Volumenelement.

r=rj+r~

In der Gleichung für den Strukturfaktor wird das Integral über die ganze Elementarzelle aufgespalten in eine Summe über kleinere Integrationsgebiete, nämlich über die Volumina VAj der j einzelnen Atome der Elementarzelle. Dabei ist nj(r~)=n(rj+r~) das Streuvermögen (z. B. die Elektronendichte) des j-ten Atoms:

Fhkl=jVAjnj(r~)exp[iG(rj+r~)]d3r~=jexp[iGrj]VAjnj(r~)exp[iGr~]d3r~fj

Letzteres Integral wird atomarer Streufaktor (oder auch Atomformfaktor) fj des j-ten Atoms genannt:

fj=VAjnj(r~)exp[iGr~]d3r~

Damit schreibt sich der Strukturfaktor wie folgt:

Fhkl=jfjexp[iGrj]

Mit oben eingeführter Komponentenschreibweise:

Fhkl=jfjexp[2πi(uj,1h+uj,2k+uj,3l)]

Betrachtet man zusätzlich noch die thermische Bewegung der Atome, so ist rj zeitabhängig. Nun zerlegt man rj in einen mittleren Aufenthaltsort rj,0 (Gleichgewichtslage, ruhend) und die Auslenkung uj(t) (zeitabhängig). Letztere führt auf den Debye-Waller-Faktor.

Beispiel

Als Beispiel wird der Strukturfaktor für eine Cäsiumchloridstruktur berechnet. Das Gitter ist kubisch-primitiv mit 2-atomiger Basis, die primitiven Gittervektoren sind a1=ae^x, a2=ae^y, a3=ae^z. Das eine Basisatom sitzt bei r1=0, das andere bei r2=(1/2)(a1+a2+a3).

Fhkl=j=12fjexp[2πi(uj,1h+uj,2k+uj,3l)]=f1exp[2πi(0h+0k+0l)]+f2exp[2πi(12h+12k+12l)]=f1+f2exp[πi(h+k+l)]=f1+f2(1)h+k+l={f1+f2,wenn h+k+l geradef1f2,wenn h+k+l ungerade

Ist die Summe der Laue-Indizes also gerade, so hat der gebeugte Röntgenstrahl eine hohe Intensität, bei ungerader Summe ist die Intensität minimal.

Haben beide Basisatome denselben atomaren Streufaktor f1=f2=:f, so ist bei ungerader Summe die Intensität gleich Null; man spricht von vollständiger Auslöschung. Dies trifft beim kubisch raumzentrierten Gitter (bcc-Gitter) zu, wenn man es im System des kubisch primitiven Gitters mit zwei gleichen Basisatomen beschreibt:

Fhkl={2f,wenn h+k+l gerade0,wenn h+k+l ungerade

Literatur

  • Borchardt-Ott, Walter: Kristallographie: eine Einführung für Naturwissenschaftler. Springer Verlag.
  • Massa, Werner: Kristallstrukturbestimmung. Teubner Verlag.