In der Physik bezeichnet man als Zweikörperproblem die Aufgabe, die Bewegung zweier Körper zu berechnen, die ohne zusätzliche äußere Einflüsse nur miteinander wechselwirken. Sie bilden ein Zweikörpersystem. Ein typischer Fall ist der Stoß zweier Körper, soweit man alle weiteren eventuell vorhandenen äußeren Kräfte wenigstens kurzzeitig vernachlässigen kann. Ein anderer typischer Fall ist ein Zweikörpersystem, in dem die beiden Körper sich gegenseitig mit einer Kraft anziehen oder abstoßen, die parallel zur Verbindungslinie zwischen den Körpern wirkt, und deren Stärke umgekehrt proportional zum Quadrat ihres Abstandes ist. Es folgen zwei Beispiele für den zuletzt genannten Fall.
Erstes Beispiel: Das Zweikörperproblem in der Astronomie. Es beschreibt zwei Himmelskörper, die sich gegenseitig mit der Gravitationskraft anziehen. Oft sind diese Objekte aneinander gebunden und bewegen sich umeinander, beispielsweise im Erde-Mond-System oder bei Doppelsternen. Bei sehr unterschiedlichen Massen wird der größere auch Zentralkörper genannt.
Zweites Beispiel: Zwei geladene Teilchen, die sich durch die elektrostatische Kraft anziehen oder abstoßen. Zwei konkrete Beispiele dafür sind: Erstens: Proton und Elektron im Wasserstoffatom, Zweitens: Alphateilchen beim Stoß mit einem Atomkern.
Das Zweikörperproblem in der Astronomie wird auch als Keplerproblem bezeichnet, weil Johannes Kepler in den drei nach ihm benannten Gesetzen als Erster die genaue Form der Bewegung für gebundene Zweikörpersysteme angeben konnte. Ihre Herleitung ist eine Standardaufgabe der klassischen Mechanik, die zuerst von Isaac Newton gelöst wurde.[1]
Die nach der klassischen Mechanik berechneten Bewegungen zeigen sich auch dann, wenn zusätzliche äußere Kräfte wirken, diese sich aber für jeden der beiden Körper gerade aufheben. Ein Beispiel ist das reibungsfreie Gleiten zweier schwerer Körper auf einer horizontalen Fläche, die die Gewichtskräfte gerade neutralisiert, z. B. (näherungsweise) beim Paarlaufen auf dem Eis oder beim Stoß zweier gleitender oder rollender Körper. Auch wenn das Zweikörpersystem sich in einem homogenen Schwerkraftfeld befindet, gelten in seinem Schwerpunktsystem die Gesetze des Zweikörperproblems.
Mit einem elektrostatischen Kraftfeld hat das Keplerproblem dieselben Lösungen wie mit der Gravitation. Da die Anwendungen sich hier aber vor allem auf das Innere von Atomen beziehen (siehe Bohr-Sommerfeldsches Atommodell), ist die Quantennatur der atomaren Teilchen zu berücksichtigen. Daher ist für eine befriedigende Darstellung das quantenmechanische Zweikörperproblem zu lösen. Dies zeigt im Fall zweier ununterscheidbarer Teilchen, z. B. beim Stoß zweier Elektronen oder zweier gleicher Atomkerne, ein grundsätzlich anderes Verhalten als nach der klassischen Mechanik.
Da nur die zwei Körper (Massen
Dabei können die Kräfte
Man rechnet nun in Relativ- und Schwerpunktkoordinaten (siehe Abbildung):
Durch Addition geeigneter Vielfacher der beiden obigen Bewegungsgleichungen erhält man nun zwei entkoppelte Bewegungsgleichungen:
Die erste Gleichung besagt, dass der Massenschwerpunkt eine geradlinig gleichförmige Bewegung beschreibt, wie es auch aus dem allgemeinen Schwerpunktsatz zu folgern ist. Die zweite Gleichung wird umformuliert zu
wobei
als die reduzierte Masse des Zweikörperproblems bezeichnet wird.
Nachdem das Einkörperproblem durch die Bahnkurve
Im Schwerpunktsystem betrachtet (mathematisch, indem man eine Koordinatentransformation, genauer eine Verschiebung, um
erfüllt ist, als ob der Körper sich in einem effektiven Kraftfeld
bewegen würde, dessen Zentrum ortsfest am Schwerpunkt bleibt und dessen Stärke mit dem wirklichen Kraftfeld in einer durch das Massenverhältnis bestimmten größeren Entfernung übereinstimmt – genauso für den anderen Körper.
Wenn sich der Schwerpunkt selbst geradlinig und gleichförmig bewegt, und weitere geeignete Startbedingungen erfüllt sind, dann beschreiben die Bahnen der beiden Körper eine Art „Schlangenkurve“ um die Bahn des Schwerpunktes. In der Astronomie erlaubt diese sogenannte Taumelbewegung eine indirekte Beobachtung unsichtbarer Begleiter von Sternen wie z. B. Exoplaneten.
Die Kraft
Daher ist der Drehimpuls
Aus der Konstanz des Drehimpulses folgt auch das 2. Keplersche Gesetz oder der Flächensatz, der also für jedes Zentralkraftfeld gilt.
In ebenen Polarkoordinaten zerfällt die vektorielle Bewegungsgleichung des Einkörperproblems in zwei gekoppelte gewöhnliche Differentialgleichungen:
Die zweite dieser Gleichungen zeigt noch einmal die Erhaltung des Drehimpulses
Für das Keplerproblem im engeren Sinn ist die Kraft durch die Gravitation gegeben:
Verwendet man die Definition des Drehimpulses in Polarkoordinaten, um aus der anderen Differentialgleichung die Winkelgeschwindigkeit
Dies kann nach Multiplikation mit
geschrieben werden. Die drei Summanden in dieser Gleichung entsprechen der Reihenfolge nach dem Radialanteil der kinetischen Energie, dem Winkelanteil der kinetischen Energie, der als Zentrifugalpotential wie eine potentielle Energie die Radialbewegung beeinflusst, sowie der potentiellen Energie des Körpers im äußeren Zentralpotential. Gemeinsam ergeben sie seine Gesamtenergie
die laut obiger Gleichung zeitlich konstant und somit ebenfalls ein Integral der Bewegung ist. Die Gesamtenergie muss natürlich schon allein deshalb erhalten sein, weil es sich bei einem Gravitationsfeld um ein konservatives Feld handelt. Siehe auch den Artikel Spezifische Bahnenergie, der sich näher damit befasst.
Gibt man die Werte für die beiden Integrale der Bewegung
Daher ist es üblich, entweder die Radialgleichung oder das Energieintegral zunächst in eine Differentialgleichung nach dem Winkel
Mit der Energiegleichung aus dem vorigen Abschnitt und indem man
Die Bahnkurve, die diese Gleichung löst, ist, wenn man die Willkür in der Wahl des Winkels
wobei man durch Einsetzen nachrechnen kann, dass für die beiden Parameter
Ist die Gesamtenergie negativ, dann gilt
Ist die Gesamtenergie positiv, so ist
Die Hauptachse
Daher sind alle Bahnen mit gleicher Hauptachse energetisch entartet, gleich welche Exzentrizität oder kleine Halbachse sie haben.
Um bei bekannter Bahn
Die Umlaufzeit
Dies ist genau die Aussage des dritten keplerschen Gesetzes.
Johannes Kepler hat das später nach ihm benannte Problem weder aufgestellt noch gelöst. Aber er hat in der kompakten Form der drei Keplerschen Gesetze die resultierenden Bahnen mathematisch korrekt beschrieben. Isaac Newton konnte 1687 die erste Lösung veröffentlichen. Die Keplerschen Gesetze bildeten einen entscheidenden Prüfstein für die von Newton geschaffene Newtonsche Mechanik. Genau genommen handelt es sich bei ihnen um die Lösungen des äquivalenten Einkörperproblems, bei dem eine Schwerkraftquelle fest im Raum steht und einen einzelnen Körper anzieht, ohne dass dieser eine Rückwirkung auf die Quelle ausübt.
Die Lösung des Problems gliedert sich in folgende Teile:
Als mögliche Bahnen (Keplerbahnen) kommen Kreise, Ellipsen, Parabeln und Hyperbeln in Frage. Bei Kreisen und Ellipsen sind die Körper aneinander gebunden wie die Planeten an die Sonne. Ist die Bahnform parabolisch oder hyperbolisch, so findet nur eine Begegnung statt, wie dies z. B. bei manchen Kometen der Fall ist.
Die nebenstehende Zeichnung stellt verschiedene Bahnkurven dar. Sie werden durch ihre numerische Exzentrizität
Zur genauen Beschreibung eines heliozentrischen Planetensystems reicht Keplers Lösung aber nicht aus, denn im Planetensystem wirkt auch die ebenfalls von Newton entdeckte gegenseitige Anziehung aller Himmelskörper. Daher stellt das Keplerproblem eine physikalische Idealisierung dar. Beim Sonnensystem wie bei vielen weiteren astronomischen Systemen ist der Einfluss der weiteren Körper aber relativ gering, sodass die Lösung des Zweikörperproblems eine gute Näherung der exakten Bahnen liefert. Daher ist die Lösung des Zweikörperproblems die Grundlage moderner Himmelsmechanik.
Mit der Lösung des Zweikörperproblems ist es möglich, bei Angabe genügend vieler Anfangswerte die Bahnkurve zweier Himmelskörper, die ausreichend genau als Zweikörpersystem angesehen werden können, zu berechnen. In der Himmelsmechanik steht man allerdings meist vor dem inversen Problem: Aus der beobachteten Bahn sollen die Modellparameter (Anfangswerte) berechnet werden. Mit den oben dargestellten Methoden lässt sich dann die Position der Himmelskörper für die (nähere) Zukunft berechnen, wenn die störenden Einflüsse genügend klein sind.
Die Anzahl der zu bestimmenden Anfangswerte ist stets durch das ursprüngliche System von Differentialgleichungen gegeben. Da es sich um eine Gleichung zweiter Ordnung für die Bewegung zweier Körper im dreidimensionalen Raum handelt, sind dies
Die wichtigsten Methoden zur Bestimmung der Bahnelemente aus den Beobachtungsdaten gehen auf Isaac Newton, Pierre-Simon Laplace und Carl Friedrich Gauß zurück.
Das Zweikörperproblem stellt eine Idealisierung dar, die in konkreten Situationen selten hinreichend genau den Sachverhalt widerspiegelt. Ausnahmen bilden lediglich echte Doppelsterne ohne Planeten oder andere dunkle Begleiter, deren Komponenten weit genug voneinander entfernt sind, sodass Gezeiteneffekte vernachlässigbar sind. Als Zweikörperproblem können klassische (nicht-quantentheoretische) Modelle des Wasserstoffatoms betrachtet werden sowie radialsymmetrische Einzentren-Streuprobleme.
In fast allen realen Situationen befinden sich mehr als zwei Körper miteinander in Wechselwirkung. Das Bewegungsproblem mehrerer Körper ist nicht in ähnlicher Weise lösbar, wie dies hier für zwei Körper vorgestellt wurde. Schon das Dreikörperproblem, also die Aufgabe der Bahnberechnung, wenn die Wechselwirkung eines dritten Körpers berücksichtigt wird, ist in der Regel nicht streng lösbar und kann in Allgemeinheit nur numerisch gelöst werden.[A 2] Diese Schwierigkeit setzt sich natürlicherweise bei der Lösung von Mehrkörperproblemen mit weiteren Komponenten fort. Ausnahmen sind dabei nur hochsymmetrische Konstellationen, bei denen beispielsweise die Körper regelmäßige Vielecke bilden, auf einer Linie liegen oder schalenförmig um ein Zentrum ausgedehnt sind. Eine wichtige Anwendung finden solche Anordnungen im Studium der Bewegung kleiner Körper, die sich in einem der fünf Lagrange-Punkte eines Zweikörpersystems befinden.
Ein weiteres Problem stellt die Abweichung eines oder beider Körper von der Kugelgestalt dar. Viele astronomische Körper werden nur ungenau durch eine radialsymmetrische Massenverteilung beschrieben. In einigen Fällen lassen sich die Objekte wesentlich genauer modellieren, wenn man sie als abgeplattete Rotationsellipsoide betrachtet. Dies gilt für viele Planeten und Sterne, aber auch für Spiralgalaxien, die sich gut als flache Scheiben modellieren lassen. Ist dabei einer der beiden Körper wesentlich kleiner als der andere, kann ein solches System als axialsymmetrisches Einzentrenproblem beschrieben werden, das allgemeiner ist als das oben beschriebene, aber weiterhin einer allgemeinen Lösung zugänglich ist. Sind beide Körper von vergleichbarer Größe und nicht in dieselbe Richtung abgeplattet, ist allerdings auch dieser Weg verschlossen. Zudem können Gezeitenkräfte zwischen den Körpern zu dynamischen Verformungen führen, wie dies in engen Doppelsternen oft der Fall ist. Diese führen zu einer komplexen Dynamik zwischen Rotation der Einzelkörper und der Bewegung der Körper umeinander.
Trotzdem ist die Keplerlösung die Basis aller modernen Planetentheorien (wie auch der Mondtheorien und der Bewegungstheorien aller anderen Himmelskörper). Die Bahnen fast aller natürlichen Objekte unseres Sonnensystems, der meisten Mehrfachsterne und auch von Galaxien, sind derart, dass sie sich in erster Näherung durchaus durch die Keplerlösung beschreiben lassen. Die Bahnelemente der Keplerbahnen, die aus den Anfangsbedingungen ermittelt werden, sind dann aber nicht mehr als konstant anzunehmen, sondern werden störungstheoretisch behandelt. Die Bahnelemente, die zu einem gewissen Zeitpunkt gültig sind, werden dann als oskulierend beschrieben, da sie die Keplerbahn bestimmen, die sich der realen Bahn momentan möglichst genau anschmiegt.
Weiterhin lassen sich die Einflüsse der Störkörper auf das Zweikörpersystem oft über längere Zeiträume mitteln, wodurch die Beschreibung des Problems an Symmetrie gewinnt. Solche Einflüsse führen z. T. auf zeitlich konstante oder periodische Veränderungen der Bahnelemente. Beispiele für solche Phänomene sind z. B. die gleichmäßige Drehung der Apsidenlinie, also der Lage der Keplerbahn in der Bahnebene, und die gleichmäßige Verschiebung der Bahnknoten um eine invariante Ebene (die Laplace-Ebene). In der Mondtheorie sind weitere Beispiele solcher periodischen Störungen die Evektion und die Variation.
Die moderne Gravitationstheorie findet ihre Beschreibung in der Allgemeinen Relativitätstheorie (ART). Wenn die Massen der zwei Körper hinreichend klein sind, die Abstände zueinander relativ groß und die Geschwindigkeiten der Körper weit unterhalb der Lichtgeschwindigkeit liegen, kann das System durch den newtonschen Grenzfall der Theorie beschrieben werden. In anderen Worten: Die oben skizzierte Lösung innerhalb der newtonschen Gravitationstheorie bietet eine sehr gute Näherungslösung. Sind die Bedingungen für die Gültigkeit des Grenzfalls nicht erfüllt oder sind die Anforderungen an die Genauigkeit sehr hoch, muss das Problem jedoch innerhalb der vollen ART gelöst werden – eine Aufgabe, die sich als wesentlich komplizierter erweist.
Im einfachsten Fall, der glücklicherweise sehr viele Anwendungen hat, hat einer der beiden Körper eine sehr viel größere Masse als der andere. Es ist dann gerechtfertigt, das kleine Objekt als Testkörper im Feld des großen Objektes zu betrachten, d. h., der kleine Körper verursacht keine merkliche Rückwirkung auf den großen. Man kann das Problem dann analog zur newtonschen Theorie als allgemeinrelativistisches Einzentrenproblem beschreiben. Auch in der ART erweist sich dieses Problem aufgrund der Radialsymmetrie als gut analysierbar. In ähnlicher Form, wie es oben beschrieben wurde, lassen sich Integrale der Bewegung finden.[A 3] Allerdings führt die Analyse auf eine Radialgleichung, die einen zusätzlichen Term gegenüber der newtonschen Theorie enthält, der in der Folge bewirkt, dass die Bahnen auch bei negativer Gesamtenergie nicht geschlossen sind. Stattdessen sind die Bahnen, wie dies auch für Zweikörpersysteme mit anderen Kraftgesetzen als dem newtonschen gilt, Rosettenbahnen. Dieser Effekt hat Berühmtheit erlangt, da er es ermöglicht, die zusätzliche Periheldrehung des Merkur zu erklären.
Das allgemeinrelativistische Zweikörperproblem in aller Allgemeinheit, also mit zwei Körpern, die miteinander wechselwirken, ist ungleich komplizierter. Da die Anwesenheit der beiden Massen die Raumzeit-Struktur selbst verändert, sind Konzepte wie Massenschwerpunkt, Gesamtenergie, Drehimpuls nicht länger anwendbar.[A 4] Daher ist keine Reduktion des Problems auf ein Einzentrenproblem möglich. Außerdem ist die Beeinflussung der Raumzeit in der mathematischen Struktur dadurch verankert, dass das Problem nicht durch gewöhnliche Differentialgleichungen, sondern durch partielle Differentialgleichungen beschrieben wird. Die nichtlineare Struktur dieser Gleichungen macht die Lösung der Gleichungen selbst mit numerischen Methoden problematisch. In heuristischer Herangehensweise kann man im allgemeinen Fall versuchen, die klassischen Konzepte näherungsweise zu übernehmen. Diese Beschreibung führt zu Effekten wie der Abstrahlung von Gravitationswellen und einem damit verbundenen „Drehimpulsverlust“. Die Orbits der Körper beschreiben dann Spiralbahnen um einen gemeinsamen „Schwerpunkt“, die immer enger werden bei kürzer werdender Umlaufzeit. Die exakte Beschreibung dieser Phänomene im Rahmen einer post-newtonschen Näherung[3][4] ist aufgrund ungeklärter Konvergenzeigenschaften der Näherungen umstritten.