Vierervektor

Vierervektor

Ein Vierervektor, ein Begriff der Relativitätstheorie, ist ein Vektor in einem reellen, vierdimensionalen Raum mit einem indefiniten Längenquadrat. Beispielsweise sind die Zeit- und Ortskoordinaten eines Ereignisses in der Raumzeit die Komponenten eines Vierervektors, ebenso die Energie und der Impuls eines Teilchens.

In zwei gegeneinander bewegten Inertialsystemen lassen sich die Komponenten der beiden Vierervektoren durch eine Lorentz-Transformation ineinander überführen.

Schreibweise

Man verwendet die Abkürzungen

Meist werden griechische Indizes verwendet, wenn diese die Werte 0, 1, 2, 3 durchlaufen, während lateinische Indizes nur die Werte 1, 2, 3 der räumlichen Koordinaten durchlaufen. Dabei werden in der Relativitätstheorie bevorzugt die Buchstaben μ,ν geschrieben.

Hierbei wurde die Metrik des Minkowskiraums der speziellen Relativitätstheorie benutzt und der zugehörige metrische Tensor ημν, in der Allgemeinen Relativitätstheorie ist der (ortsabhängige) metrische Tensor gμν zu wählen.

Ortsvektor

Der Ortsvektor oder Orts-Vierervektor eines Teilchens beinhaltet sowohl die Zeitkoordinate t als auch die Raumkoordinaten x=(x,y,z) eines Ereignisses. Die Zeitkoordinate wird in der Relativitätstheorie mit der Lichtgeschwindigkeit c multipliziert, so dass sie wie die Raumkoordinaten die Dimension einer Länge hat.

Die kontravariante Darstellung des Orts-Vierervektors ist

xμ=(ct,x,y,z)=(ct,x).

Dass xμ ein kontravarianter Vierervektor ist, folgt daraus, dass er ein Koordinatenvektor zu einer orthonormalen Basis des Minkowskiraums ist und sich dementsprechend bei Basiswechsel kontravariant mittels einer Lorentz-Transformation ändert.

In der Metrik der flachen Raumzeit hat die Zeitkoordinate das entgegengesetzte Vorzeichen der drei Raumkoordinaten:

ds2=c2dt2dx2dy2dz2

Die Metrik hat also die Signatur (+ − − −) oder (− + + +). Insbesondere in Texten zur speziellen Relativitätstheorie wird überwiegend die erste Signatur verwendet, dies ist aber nur eine Konvention und variiert je nach Autor.

Abgeleitete Vierervektoren

Aus dem Orts-Vierervektor lassen sich weitere Vierervektoren ableiten und definieren.

Vierergeschwindigkeit

Der Vierervektor uμ der Geschwindigkeit ergibt sich durch Differentiation des Ortsvektors xμ nach der Eigenzeit dτ:

uμ=dxμdτ

mit der Eigenzeit τ, die über die Zeitdilatation mit der Koordinatenzeit t verknüpft ist:

dτ=1γdt,

mit dem Lorentzfaktor γ=11(vc)2.

Daraus folgt für die Vierergeschwindigkeit:

uμ=γ ddt(c t, x, y, z)=γ (c, x˙, y˙, z˙)=γ (c, v)

Die Norm der Vierergeschwindigkeit ergibt sich sowohl in der speziellen als auch in der allgemeinen Relativitätstheorie zu

|uμ|=uμ uν ημν=uμ uμ=γ2 (c2  v2)=c .

Viererimpuls

Der Viererimpuls wird analog zum klassischen Impuls definiert als

pμ = m uμ=(γ m c, γ m v),

wobei m die Masse des Körpers ist. Im Vergleich mit der Newtonschen Mechanik wird die Kombination γm zuweilen als „dynamisch zunehmende Masse“ interpretiert und m als „Ruhemasse“ bezeichnet, was allerdings leicht zu falschen Schlussfolgerungen durch eine hier unangemessene klassische Betrachtungsweise führen kann. Im konsequenten Viererkalkül ohne Bezug auf die nicht-relativistische Physik ist nur die koordinatenunabhängige Masse m von praktischer Bedeutung.

Mit der Äquivalenz von Masse und Energie E = γ m c2 kann der Viererimpuls geschrieben werden als

pμ = (E/c, p)

mit dem relativistischen räumlichen Impuls p = γ m v, der sich vom klassischen Impulsvektor um den Lorentzfaktor γ unterscheidet.

Da der Viererimpuls die Energie und den räumlichen Impuls vereinigt, wird er auch als Energie-Impuls-Vektor bezeichnet.

Aus dem Quadrat der Norm des Viererimpulses pμ pμ ergibt sich die Energie-Impuls-Beziehung

E2  p2 c2 = m2 c4,

aus der eine zeit- und ortsunabhängige Hamilton-Funktion für freie, relativistische Teilchen abgeleitet werden kann.

Viererbeschleunigung

Durch nochmaliges Ableiten der Vierergeschwindigkeit uμ = dxμdτ nach τ erhält man die Viererbeschleunigung.

Die 0-te Komponente der Viererbeschleunigung bestimmt sich zu

du0dτ = c ddτ γ = c dtdτ ddtγ = c γ  γ3c2 (v  dvdt) = γ4c (v  dvdt).

Die räumlichen Komponenten der Viererbeschleunigung lauten

dujdτ = dtdτ ddt(γ v) = γ ddt(γ v) = γ4c2 (v  dvdt)  v + γ2 dvdt.

Insgesamt erhält man für die Viererbeschleunigung das Ergebnis

duμdτ = γ4c2 v  dvdt (c, v) + γ2 (0, dvdt).

Die Viererbeschleunigung besteht aus einem Teil mit Faktor γ4c2 und einem Teil mit γ2. Man erhält also für Beschleunigungen parallele und orthogonal zu v unterschiedliche Viererbeschleunigungen. Mit der Graßmann-Identität

v × (v × dvdt) = v (v  dvdt)  dvdt (v  v)

kann man den Ausdruck für den räumlichen Teil des Vierervektors umformen. Man findet, dass

dvdt + 1c2 (v × (v × dvdt)) = dvdt (1  v2c2) + 1c2 v (v  dvdt) = 1γ2 dvdt + 1c2 v (v  dvdt)

ist. Es folgt

dujdτ = γ4 (dvdt + 1c2 (v × (v × dvdt))).

und somit insgesamt

duμdτ = γ4 (1c v  dvdt,  dvdt + 1c2 (v × (v × dvdt)))

Viererkraft und Bewegungsgleichung

Wie bereits beim Viererimpuls kann eine Viererkraft, auch Minkowskikraft genannt, analog zur entsprechenden newtonschen Kraft definiert werden:

Kμ=dpμdτ=γdpμdt

Dies ist die Bewegungsgleichung der speziellen Relativitätstheorie. Sie beschreibt beschleunigte Bewegungen in einem Inertialsystem.

Weiter kann die Viererkraft mit der newtonschen Kraft F in Beziehung gesetzt werden: In dem Inertialsystem, in dem die Masse annähernd ruht (sie ruhe zum Zeitpunkt t=0, dann gilt für genügend kleines t wegen der beschränkten Beschleunigung:vc), muss die klassische Newtonsche Gleichung gelten:

(0F)=dpμdt=1γdpμdτF=1γKiKi=γF

mit dem räumlichen Teil Ki=(K1,K2,K3) der Viererkraft.

In einem beliebigen Inertialsystem gilt

(K0K1K2K3)=(1cuFFu+γFu)=(1cuF(FuFuuu)+γuFuuu),

wobei u=γv der räumliche Anteil der Vierergeschwindigkeit ist. Das heißt, der Raumanteil der Minkowskikraft ist die Newtonsche Kraft, wobei der zur Geschwindigkeit parallele Anteil mit γ multipliziert ist.

Die durch die Beschleunigung mit Kμ übertragene Leistung ist cK0.

In dem Spezialfall, dass eine Newton’sche Kraft F allein parallel zur Geschwindigkeit wirkt, folgt aus der Bewegungsgleichung für Vierervektoren der Zusammenhang zwischen Newton’scher Kraft und räumlicher Beschleunigung:

F=γ3ma

Für räumliche Kräfte senkrecht zur Bewegungsrichtung folgt hingegen

F=γma.

Der bei Impulsbetrachtungen zuweilen eingeführte Begriff einer „dynamischen“ relativistischen Masse für den Term γm ist daher im Vergleich mit der Newton’schen Bewegungsgleichung missverständlich. Denn für beliebige Raumrichtungen ist der Zusammenhang zwischen den räumlichen Größen F und a zwar linear, aber keine einfache Proportionalität.

Ko- und kontravariante Vektoren

Die Komponenten eines kontravarianten Vierervektors a gehen bei Lorentztransformationen Λ über in:

a=Λa

Man schreibt seine Komponenten mit oben stehenden Zahlen: a=(a0,a1,a2,a3)

Die Komponenten eines kovarianten Vierervektors folgen dem kontragredienten (entgegengesetzten) Transformationsgesetz:

b=Λ1Tb

Man schreibt seine Komponenten mit unten stehenden Zahlen: b=(b0,b1,b2,b3)

Die beiden Transformationsgesetze sind nicht gleich, aber äquivalent, denn definitionsgemäß erfüllen sie:

Λ1T=ηΛη1

mit der üblichen Minkowski-Metrik der SRT:

ημν=diag(1,1,1,1)=ημν

Daher ergibt

aμ=(a0,a1,a2,a3)=ημνaν=ηa=(a0,a1,a2,a3)

die Komponenten des kovarianten Vektors, der dem kontravarianten Vektor a zugeordnet ist.

Dabei wird bei den Vierervektorindizes die Einsteinsche Summenkonvention verwendet. Das innere Produkt zweier Vierervektoren im Minkowskiraum ist gegeben durch:

aμbμ=ημνaνbμ=a0b0a1b1a2b2a3b3

Beispielsweise sind die partiellen Ableitungen einer Funktion f(x) die Komponenten eines kovarianten Vektors.

Lorentztransformationen bilden x ab auf:

x=Λx

und definieren die transformierte Funktion f=fΛ1 durch die Forderung, dass sie am transformierten Ort denselben Wert habe, wie die ursprüngliche Funktion am ursprünglichen Ort:

f(x)=f(x)

mit

f(x)=f(Λ1x)

Die partiellen Ableitungen transformieren wegen der Kettenregel kontragredient:

fxm(x)=(Λ1x)nxmfyn|y=Λ1x=Λ1nmfyn|y=Λ1x=Λ1Tmnfyn|y=Λ1x

Siehe auch

Literatur

  • L. D. Landau: Lehrbuch der theoretischen Physik. Band 2: L. D. Landau, E. M. Lifschitz: Klassische Feldtheorie. 12. überarbeitete Auflage. Verlag Harri Deutsch, Thun u. a. 1997, ISBN 3-8171-1327-7.
  • Torsten Fliessbach: Allgemeine Relativitätstheorie. BI-Wissenschafts-Verlag, Mannheim u. a. 1990, ISBN 3-411-14331-2 (mit einem Kapitel über Spezielle Relativitätstheorie).
  • Walter Greiner: Theoretische Physik. Band 3a: Walter Greiner, Johann Rafelski: Spezielle Relativitätstheorie. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. Verlag Harri Deutsch, Thun u. a. 1989, ISBN 3-8171-1063-4.
  • Reinhard Meinel: Spezielle und allgemeine Relativitätstheorie für Bachelorstudenten. 2. Auflage. Springer-Verlag, Berlin 2019, ISBN 978-3-662-58966-3.

Weblinks