Orthogonale Tensoren sind einheitenfreie Tensoren zweiter Stufe, die eine Drehung oder Drehspiegelung im euklidischen Vektorraum ausführen. In der Kontinuumsmechanik werden nur Drehungen betrachtet, denn Drehspiegelungen kommen in den von der Schwerkraft bestimmten physikalischen Gesetzen der makroskopischen Welt nicht vor.
Tensoren zweiter Stufe werden hier als lineare Abbildungen von geometrischen Vektoren auf geometrische Vektoren benutzt, die im Allgemeinen dabei gedreht und gestreckt werden, siehe Abbildung rechts oben. Bei einem orthogonalen Tensor, der eine Drehung oder Drehspiegelung repräsentiert, entfällt die Streckung, sodass der Betrag des Vektors bei der Transformation nicht verändert wird, siehe die untere Abbildung rechts. Orthogonale Tensoren werden üblicherweise mit den Formelzeichen Q oder R bezeichnet, wobei R zumeist für den Rotationstensor in der Polarzerlegung des Deformationsgradienten steht.
Bezüglich der Standardbasis können orthogonale Tensoren wie orthogonale Matrizen geschrieben werden und haben auch analoge Eigenschaften. Anders als Matrizen referenzieren die Koeffizienten eines Tensors jedoch auf ein Basissystem des zugrunde liegenden Vektorraums, sodass sich die Koeffizienten des Tensors bei einem Wechsel des Basissystems auf charakteristische Weise ändern. Jeder Tensor besitzt Invarianten, die bei einem Wechsel des Basissystems unverändert bleiben. Bei einem orthogonalen Tensor geben diese Invarianten über den Drehwinkel, die Drehachse und darüber, ob der Tensor eine Drehung oder Drehspiegelung repräsentiert, Auskunft.
Orthogonale Tensoren treten in der euklidischen Transformation auf, mit der die Beziehung zwischen beliebig bewegten Bezugssystemen und in ihnen vorliegenden physikalischen Größen beschrieben wird. In der Materialtheorie helfen orthogonale Tensoren dabei, bezugssysteminvariante Materialgleichungen aufzustellen. Außerdem wird die Richtungsabhängigkeit eines Materials (Transversale Isotropie, Orthotropie) mit orthogonalen Tensoren beschrieben.
Orthogonale Tensoren sind Tensoren zweiter Stufe Q, für die gilt:
Die hochgestellte −1 kennzeichnet den inversen, (·)⊤ den transponierten Tensor und 1 den Einheitstensor. Wegen
ist
Ein orthogonaler Tensor, der eine reine Drehung repräsentiert, wird eigentlich orthogonal genannt und hat die Determinante +1. Bei det(Q) = -1 führt der Tensor eine Drehspiegelung aus. Weil Spiegelungen in der Mechanik nicht betrachtet werden, ist dort stets det(Q) = +1.
Jede Starrkörperbewegung lässt sich in eine Translation und eine Rotation zerlegen. Als Drehzentrum eignet sich jeder ruhende oder bewegte Punkt und auch der Schwerpunkt des Körpers, siehe Abbildung rechts. Sei
Die Geschwindigkeit des Partikels ist dann
Der Vektor
und besitzt daher einen dualen Vektor
Einsetzen des dualen Vektors in das Geschwindigkeitsfeld führt auf die eulersche Geschwindigkeitsgleichung
die keinen sichtbaren Tensor enthält. Nur im Kreuzprodukt, das einer Tensortransformation entspricht, verbirgt sich noch ein Hinweis auf einen Tensor.
Ein orthogonaler Tensor dreht Vektoren, denn das Skalarprodukt zweier beliebiger Vektoren bleibt unter der linearen Abbildung mit Q erhalten:
Insbesondere ist mit
weswegen ein orthogonaler Tensor Q die Frobeniusnorm eines Vektors nicht verändert. Weil die Drehachse
Ist Q ein uneigentlich orthogonaler Tensor, dann ist
Das Spatprodukt dreier Vektoren ist das Volumen des von den Vektoren aufgespannten Spats, siehe Bild. Werden die drei Vektoren wie im Bild mit
Wenn der Tensor eigentlich orthogonal ist, dann wird das Spatprodukt also durch ihn nicht verändert, andernfalls kehrt das Spatprodukt sein Vorzeichen um. Weiter folgt:
Das gilt für jeden Vektor
geschlossen werden kann. Deshalb kann ein eigentlich orthogonaler Tensor aus dem Kreuzprodukt herausgezogen werden während bei einem uneigentlich orthogonalen Tensor noch ein Vorzeichenwechsel stattfindet.
Mit dem Spatprodukt berechnet sich das Volumenelement und mit dem Kreuzprodukt berechnet sich das Oberflächenelement. Bei einer Drehspiegelung wechseln beide Elemente ihr Vorzeichen, weshalb sie nur bei einer Transformation mit einem eigentlich orthogonalen Tensor Q invariant gegenüber einer euklidischen Transformation sind.
Sei T ein beliebiger Tensor zweiter Stufe, der einen Eigenwert
gilt, und Q sei ein orthogonaler Tensor. Dann ist
Also hat der Tensor S := Q·T·Q⊤ dieselben Eigenwerte wie T aber die mit Q gedrehten Eigenvektoren. Daraus folgt unmittelbar, dass die Hauptinvarianten und Beträge von S und T übereinstimmen.
Bei der Berechnung von orthogonalen Tensoren können sich die drei Aufgaben stellen:
Diese Fragen werden in den folgenden Abschnitten beantwortet.
Sei
eigentlich orthogonal und dreht um die Achse
wenn
Bei einer Drehspiegelung wäre
Der Tensor Q hat jedenfalls die Spur und den schiefsymmetrischen Anteil
Die eingangs angegebene Formel für Q kann auch mit einem Rotationsvektor
Das Exponential der schiefsymmetrischen Matrix
Es können auch Rotationsvektoren mit anderer Länge benutzt werden:
Letztere Variante ist in Anlehnung an die Quaternionen. In Büchter (1992)[1] findet sich eine ausführliche Diskussion der verschiedenen Parametrisierungsmöglichkeiten von Rotationen.
Gegeben seien drei linear unabhängige Vektoren
gilt. Das Symbol
Dieser Tensor erhält mit dem dyadischen Produkt „
Mit der zu
weswegen nun die beiden Darstellungen
vorliegen. Derselbe Tensor Q überführt also auch die dualen Basen ineinander:
Die Determinante des Tensors berechnet sich mit den obigen Darstellungen zu:
weil oben eine Drehung und damit dieselbe Händigkeit der Basen vorausgesetzt wurde. Bei einer Drehspiegelung wäre det(Q) = -1 und die Händigkeiten der beiden Basen wäre verschieden.
Die Drehachse eines orthogonalen Tensors Q ist seine Vektorinvariante
denn das Skalarkreuzprodukt „·×“ mit dem Einheitstensor vertauscht das dyadische Produkt durch das Kreuzprodukt. Wegen
ist die Vektorinvariante tatsächlich ein Eigenvektor und daher parallel zur Drehachse. In der Matrizendarstellung mit den Zeilen
Aus dem Abschnitt #Drehachse und Winkel gegeben sind die folgenden Beziehungen bekannt. Der Drehwinkel berechnet sich aus der Spur
Alternativ kann Drehachse
ermittelt werden.
Das Eigensystem offenbart, dass die beiden konjugiert komplexen Eigenwerte
Wenn drei Vektoren
Die Zahl i ist die imaginäre Einheit und e die Eulersche Zahl. Die Vektoren
Die Händigkeit der Vektorgruppe
Wenn
denn die zweite Hauptinvariante ist die Spur des Kofaktors
Mit der obigen Darstellung
berechnen sich die Hauptinvarianten:
Die Vektorinvariante ist, wie im Abschnitt #Tensor gegeben, die Drehachse, die mit dem Einheitstensor berechnet wird:
Die Frobeniusnorm eines orthogonalen Tensors ist immer gleich der Wurzel der Raumdimension: