Die cauchy-eulerschen Bewegungsgesetze von Augustin-Louis Cauchy und Leonhard Euler sind die lokalen Formen des Impuls- und Drallsatzes in der Kontinuumsmechanik. Es sind Bewegungsgleichungen, die, wenn sie lokal, d. h. in jedem Punkt eines Körpers erfüllt sind, sicherstellen, dass die Bewegung des Körpers als Ganzes – inklusive Verformungen – dem Impuls- bzw. Drallsatz gehorcht.
Das erste cauchy-eulersche Bewegungsgesetz korrespondiert mit dem Impulssatz und lautet im geometrisch linearen Fall an einem materiellen Punkt des Körpers:
Hier ist ρ die Dichte,
Das zweite cauchy-eulersche Bewegungsgesetz entspricht dem lokal formulierten Drallsatz, der sich auf die Forderung nach der Symmetrie des cauchyschen Spannungstensors reduziert:
Das Superskript „⊤“ markiert die Transposition. Die Symmetrie entspricht dem Satz von der Gleichheit der zugeordneten Schubspannungen.[L 1]
Bei großen Verschiebungen können beide Bewegungsgesetze in lagrangescher Betrachtungsweise materiell oder eulerscher Betrachtungsweise räumlich formuliert werden. Die Struktur der Gleichungen bleibt dabei erhalten, aber es kommt zu Modifikationen in den Abhängigkeiten oder im Spannungstensor.
Die cauchy-eulerschen Bewegungsgesetze sind die Basis für die eulerschen Gleichungen der Strömungsmechanik, der Navier-Stokes- und der Navier-Cauchy-Gleichungen. Eine der Grundgleichungen der Verschiebungsmethode in der Finite-Elemente-Methode ist das #Prinzip von d’Alembert in der lagrangeschen Fassung, das eine aus den cauchy-eulerschen Gesetzen folgende Aussage ist.
Für Begriffsklärung empfiehlt sich die Lektüre des Artikels zur Kontinuumsmechanik. Die verwendeten Operatoren und Rechenregeln sind in den Formelsammlungen zur Tensoralgebra und Tensoranalysis aufgeführt.
Das erste cauchy-eulersche Bewegungsgesetz folgt aus dem 1687 von Isaac Newton formulierten und nach ihm benannten zweiten newtonschen Gesetz, das dem Impulssatz entspricht, demgemäß die Änderung des Impulses mit der Zeit gleich der auf einen Körper wirkenden äußeren Kräfte ist:
Der Vektor
Der zweidimensionale Fall im ebenen Spannungszustand lässt sich leichter veranschaulichen und soll daher vorangestellt werden. Dazu wird eine ebene Scheibe der Dicke h betrachtet, die durch in der Ebene wirkende Kräfte belastet wird, siehe oberen Bildteil. Aus dieser Scheibe wird gedanklich ein rechteckiges Stück (gelb) herausgeschnitten, parallel zu dessen Kanten ein kartesisches Koordinatensystem definiert wird, in dem es die Breite dx und Höhe dy hat. Nach dem Schnittprinzip entstehen an den Schnittflächen Schnittspannungen, die an die Stelle des weggeschnittenen Teils treten, siehe Schnittreaktion. Bei einem (infinitesimal) kleinen Scheibenelement können die Schnittspannungen als über die Fläche konstant angenommen werden. Die Schnittspannungen
Das zweite newtonsche Gesetz besagt, dass die an dem Scheibenelement angreifenden Spannungen – multipliziert mit ihrer Wirkfläche – das Scheibenelement beschleunigen. An dem Scheibenelement führt das unter Berücksichtigung der Schwerebeschleunigung in x- und y-Richtung auf
Die Masse
wenn – wie üblich – die Koordinaten nach dem Schema x→1, y→2, z→3 durchnummeriert werden. In drei Dimensionen resultieren die gleichen Differentialgleichungen analog, nur wird von eins bis drei summiert:
Multiplikation dieser Gleichungen mit dem Basisvektor êi der Standardbasis und Addition der resultierenden drei Gleichungen mündet in der Vektorgleichung
Der Nabla-Operator „
Der Schnittspannungsvektor
in der Schnittfläche mit Normalenvektor in x-Richtung ist im cauchyschen Spannungstensor zeilenweise eingetragen, was sinngemäß auch für Schnittspannungsvektoren in y- und z-Richtung gilt.
In der lagrangeschen Darstellung lautet der globale Impulssatz
die den materiellen Punkten (Partikel) zugeordnete physikalische Größen benutzt, siehe Impulsbilanz. Die Partikel werden durch ihre materiellen Koordinaten
Bei den Integralen oben ist das Integrationsgebiet materiell festgelegt, sodass es sich also mit dem Körper mitbewegt, ohne dass neue Partikel zum Gebiet hinzukommen oder wegfallen. Dies wird durch die Großschreibung V bzw. A der Integrationsgebiete symbolisiert.
Weil das Referenzvolumen V somit nicht von der Zeit abhängt, kann die Zeitableitung des Integrals in den Integranden verschoben werden:
Die von außen angreifenden, flächenverteilten Kräfte (Spannungen)
Der Divergenzoperator DIV wird hier groß geschrieben und der Nabla-Operator wird mit einem Index 𝜵0 versehen, weil sie die materiellen Ableitungen nach den materiellen Koordinaten
Diese Gleichung gilt für jeden Körper und jeden seiner Teilkörper, sodass – Stetigkeit des Integranden vorausgesetzt – auf das erste cauchy-eulersche Bewegungsgesetz in der lagrangeschen Darstellung
geschlossen werden kann. Das Vorkommen der materiellen Koordinaten und des Nennspannungstensors N bzw. des ersten-Piola-Kirchhoff’schen Spannungstensors P an Stelle des cauchyschen Spannungstensors berücksichtigt die Formänderung des bei der Betrachtung am Volumenelement oben herausgeschnittenen Teilkörpers bei großen Deformationen. Bei kleinen Verschiebungen ist
In der eulerschen Darstellung lautet der globale Impulssatz
Die räumlichen Punkte werden durch ihre räumlichen Koordinaten
Der aufgesetzte Punkt steht für die substantielle Ableitung und in der ersten Zeile wurde das Oberflächenintegral mit dem gaußschen Integralsatz in ein Volumenintegral überführt. Der unterklammerte Term trägt auf Grund der lokalen Massenbilanz
Das Oberflächenintegral der von außen angreifenden Spannungen wird wie in der lagrangeschen Darstellung mit dem gaußschen Integralsatz in ein Volumenintegral überführt:
denn der cauchysche Spannungstensor σ ist wegen des zweiten cauchy-eulerschen Bewegungsgesetzes unten symmetrisch. Der Nabla-Operator 𝜵 und der Divergenzoperator div beinhalten die räumlichen Ableitungen nach den räumlichen Koordinaten
Mit den vorliegenden Ergebnissen kann die Impulsbilanz als verschwindendes Volumenintegral ausgedrückt werden:
Diese Gleichung gilt für jedes Volumen, sodass – Stetigkeit des Integranden vorausgesetzt – das erste cauchy-eulersche Bewegungsgesetz in der eulerschen Darstellung
abgeleitet werden kann. Hier ist die substantielle Zeitableitung der Geschwindigkeit bei festgehaltenem Partikel
Der räumliche Operator grad berechnet den räumlichen Geschwindigkeitsgradienten mit Ableitungen nach den räumlichen Koordinaten x1,2,3. Der konvektive Anteil
in der substantiellen Beschleunigung berücksichtigt das Hindurchfließen des Materials durch das bei der Betrachtung am Volumenelement oben festgehaltene Volumen V bei großen Verschiebungen. Bei kleinen Verschiebungen kann der quadratische konvektive Anteil vernachlässigt werden, sodass mit
das eingangs angegebene Bewegungsgesetz entsteht.
Die verlangte örtliche Stetigkeit der Integranden wird unter realen Verhältnissen verletzt, wenn beispielsweise Dichtesprünge an Materialgrenzen oder Stoßwellen auftreten. Solche flächigen Sprungstellen können jedoch berücksichtigt werden, wenn die Fläche selbst örtlich stetig differenzierbar ist und so in jedem ihrer Punkte einen Normalenvektor besitzt. Die Fläche – im Folgenden Sprungstelle genannt – muss keine materielle Fläche sein, kann sich also mit einer anderen Geschwindigkeit bewegen als die Masse selbst. Durch diese Fläche wird die Masse in zwei Stücke v+ und v− geteilt und es wird vereinbart, dass der Normalenvektor der Sprungstelle as in Richtung der Sprungstellengeschwindigkeit
Dann lautet das Reynolds-Transport-Theorem mit Sprungstelle:[L 2]
Der zweite Term mit der Sprungklammer [[...]] kommt neu hinzu. Die Integrale über die von außen angreifenden Kräfte werden getrennt für die Volumina v+ und v− berechnet:
Die Normale soll immer nach außen gerichtet sein und geht daher auf der Sprungstelle einmal mit positivem und einmal mit negativem Vorzeichen ein. Die Vereinigung der Oberflächen a+ und a− ergibt die Oberfläche a des gesamten Volumens v, zu dessen Oberfläche die innere Fläche as nicht gehört. Die Summe der drei Gleichungen führt nach Umformungen, wie sie oben bereits angegeben wurden, auf
Jenseits der Sprungstelle verschwindet die rechte Seite und die lokale Impulsbilanz ohne Sprungstelle folgt. An der (flächigen) Sprungstelle ist dv=0 und die linke Seite kann vernachlässigt werden, sodass bei Stetigkeit des Integranden mit der Sprungklammer in der Fläche[L 3]
abgeleitet werden kann. Wenn die Sprungstelle eine materielle Fläche ist, wie beispielsweise an Materialgrenzen, dann ist
Die Schnittspannungen auf beiden Seiten einer materiellen Sprungstelle müssen gleich sein.[L 4]
Das zweite cauchy-eulersche Bewegungsgesetz folgt aus dem 1754 von Leonhard Euler aufgestellten Drallsatz, nach dem die zeitliche Änderung des Drehimpulses
Der Vektor
Es wird ein belasteter Körper betrachtet, aus dem gedanklich ein würfelförmiger Teilkörper (im Bild gelb) herausgeschnitten wird, der die Kantenlänge 2L hat und in dessen Massenmittelpunkt ein zu den Würfelkanten parallel ausgerichtetes kartesisches Koordinatensystem gelegt wird. An den Würfelflächen entstehen dem Schnittprinzip zufolge Schnittspannungen
Bei homogener Dichte hat der Würfel die Masse
Die inneren Kräfte in einem Kontinuum sind momentenfrei. Bei kleiner werdendem Teilkörper wird
Hieraus folgt der eingangs erwähnte Satz von der Gleichheit der zugeordneten Schubspannungen.[L 1] Die obige Summe kann mit der Vektorinvariante
Denn in der Vektorinvariante ist das dyadische Produkt ⊗ durch das Kreuzprodukt × ausgetauscht. Nur der schiefsymmetrischer Anteil des Tensors trägt zu seiner Vektorinvariante bei, die hier verschwindet, sodass die Symmetrie des cauchyschen Spannungstensors folgt:
Diese Tensorgleichung, die in beliebigen Vektorraumbasen eines Inertialsystems gilt, ist die koordinatenfreie Version des lokalen Drallsatzes.
Der Drehimpulssatz lautet in globaler lagrangescher Formulierung:
worin die physikalischen Größen zumeist sowohl vom Ort
Das Oberflächenintegral wird wie gehabt mit dem gaußschen Integralsatz in ein Volumenintegral umgeschrieben:
Hier wurde die Produktregel
Mit den vorliegenden Ergebnissen kann die Drehimpulsbilanz als verschwindendes Volumenintegral ausgedrückt werden:
Der unterklammerte Term trägt wegen der lokalen Impulsbilanz nichts bei. Das letzte Integral gilt für jeden beliebigen Teilkörper, sodass bei stetigem Integrand
Multiplikation von links mit
Der Tensor
die Erfüllung der Drehimpulsbilanz sicherstellt. Bei kleinen Verschiebungen stimmen der zweite piola-kirchhoffsche und der cauchysche Spannungstensor näherungsweise überein:
In globaler eulerscher Formulierung lautet der Drehimpulssatz:
worin die physikalischen Größen zumeist Funktionen sowohl vom Ort
Das erste Integral wird wie bei der Impulsbilanz mit dem reynoldsschen Transportsatz berechnet:
Der unterklammerte Term trägt aufgrund der Massenbilanz nichts bei. Das Oberflächenintegral in der Drehimpulsbilanz wird analog zur lagrangeschen Darstellung mit dem gaußschen Integralsatz in ein Volumenintegral umgeschrieben:[F 2]
Abweichend von der lagrangeschen Darstellung tritt hier der cauchysche Spannungstensor an die Stelle des Nennspannungstensors und wegen
Mit den vorliegenden Ergebnissen kann die Drehimpulsbilanz als verschwindendes Volumenintegral ausgedrückt werden:
Der unterklammerte Term trägt wegen der lokalen Impulsbilanz nichts bei und das letzte Integral gilt für jedes beliebige Volumen, sodass bei stetigem Integrand auf
Analog zum ersten cauchy-eulerschen Bewegungsgesetz lautet das Reynolds-Transport-Theorem mit Sprungstelle hier:
Der zweite Term mit der Sprungklammer [[...]] kommt neu hinzu. Die Integrale über die von außen angreifenden Kräfte werden getrennt für v+ und v− berechnet:
Die Summe der drei Gleichungen führt nach Umformungen, wie sie oben bereits angegeben wurden, auf
Jenseits der Sprungstelle verschwindet die rechte Seite und die Symmetrie des Spannungstensors folgt wie oben. An der (flächigen) Sprungstelle ist dv=0 und die linke Seite kann vernachlässigt werden, sodass bei Stetigkeit des Integranden mit der Sprungklammer in der Fläche
abgeleitet werden kann, was wegen der Sprungbedingung im ersten cauchy-eulerschen Bewegungsgesetz identisch erfüllt ist.
Aus den Bewegungsgesetzen können weitere, materialunabhängige, zu Prinzipien äquivalente Gleichungen gefolgert werden. Das erste cauchy-eulersche Bewegungsgesetz lautet:
Diese Gleichungen werden mit einem Vektorfeld
Je nach Vektorfeld
Beweis |
Skalare Multiplikation des ersten cauchy-eulerschen Bewegungsgesetzes mit dem Vektorfeld Der letzte Term auf der rechten Seite wird mit der Produktregel umgeformt: In der materiellen Form wird noch der Deformationsgradient einmultipliziert: Im letzten Schritt wurde Das Volumenintegral des Divergenzterms wird mit dem gaußschen Integralsatz in ein Oberflächenintegral umgewandelt: Zusammenführung dieser Ergebnisse resultiert in den angegebenen Gleichungen. |
Das Prinzip von d’Alembert hat eine grundlegende Bedeutung für die Lösung von Anfangsrandwertaufgaben der Kontinuumsmechanik, insbesondere der Verschiebungsmethode in der Finite-Elemente-Methode. Für das Vektorfeld
zu fordern. Auf
Die Menge
In der materiellen Darstellung stehen die virtuelle Verzerrungen
mit dem virtuellen Deformationsgradient
Wenn für
Auf der linken Seite steht die zeitliche Änderung der kinetischen Energie und auf der rechten Seite steht die Leistung der äußeren Kräfte (volumen- und flächenverteilt) abzüglich der Verformungsleistung. Dieser Satz wird auch Arbeitssatz[L 5] oder „Satz von der geleisteten Arbeit“ (englisch Theorem of work expended[L 6]) genannt.
Beweis |
Die Zeitableitung der kinetischen Energie ist gleich der Leistung der Trägheitskräfte
was die ersten Terme auf den linken Seiten begründet. In der räumlichen Formulierung wurde der reynoldssche Transportsatz und die Massenbilanz angewendet. Der materielle Gradient der Geschwindigkeit ist die Zeitableitung Die Leistungen der äußeren Kräfte ergeben sich durch Ersetzung des Vektors |
In einem konservativen System gibt es eine skalarwertige Funktion Wa, die potentielle Energie, deren negative Zeitableitung gemäß
die Leistung der äußeren Kräfte ist, und eine Formänderungsenergie Wi, deren Zeitableitung
die Verformungsleistung ist. Mit der Abkürzung
für die kinetische Energie schreibt sich die Bilanz der mechanischen Energie:
Die mechanische Gesamtenergie E, bestehend aus der kinetischen Energie, der Formänderungsenergie und der potentiellen Energie, ist mithin in einem konservativen System zeitlich konstant, was als Energieerhaltungssatz bekannt ist.
Wird bei kleinen Verformungen, linearer Elastizität und im statischen Fall für das Vektorfeld
Der symmetrische Anteil des Verschiebungsgradienten ist der linearisierte Verzerrungstensor. Der zweite piola-kirchhoffsche Spannungstensor geht bei kleinen Verformungen in den cauchyschen Spannungstensor über und es resultiert der Arbeitssatz[L 7]
Der Integrand auf der linken Seite ist das Doppelte der Formänderungsenergie